Österreich: Heimat großer Söhne

Andreas Gabalier: "Ich sehe keine Veranlassung, den Text anders zu singen."
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Jetzt geht das schon wieder los! In Österreich tobt erneut ein Streit um die „großen Töchter“ in der Bundeshymne. Wir erinnern uns: Seit dem 1. Januar 2012 besingen die ÖsterreicherInnen nicht mehr nur die „Heimat großer Söhne“, sondern die „Heimat großer Töchter und Söhne“. Dafür hatten die Frauen des Landes jahrelang gekämpft. Eine parteiübergreifende Gesetzesinitiative brachte den Durchbruch: Der Nationalrat beschloss im Dezember 2011 ein entsprechendes Gesetz.

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Das interessiert den österreichischen Musiker Andreas Gabalier aber nicht. Der 29-jährige nennt sich „Volks-Rock’n’Roller“, was so viel beutetet wie: Er singt aufgepoppte Volksmusik, trägt Lederhosen, schmiert sich seine Haare mit Pomade zur Rockabilly-Tolle und guckt so bemüht-rebellisch in die Kamera wie ein in die Jahre gekommener Altrocker.

Nur „große Söhne“, kein Ton
von den Töchtern

Den Österreichern scheint das zu gefallen. So sehr, dass Gabalier bei der Eröffnung des Formel-1-Rennens in Spielberg die Ehre zu Teil wurde, die Nationalhymne zu singen. Und weil sich Gabalier scheinbar nicht nur seine Frisur, sondern auch seine Haltung gegenüber Frauen aus den 50er Jahren ausgeliehen hat, sang er kurzerhand die alte Fassung der Hymne aus dem Jahr 1946: Nur „große Söhne“, kein Ton von Töchtern.

Nun hat es in der Vergangenheit schon öfter Fälle gegeben, in denen Prominente aller Nationen vor lauter Aufregung den Text der Nationalhymne auf Großveranstaltungen nicht mehr zusammenbekamen. In Deutschland zum Beispiel sang Sarah Connor bei einem Fußballspiel in München im Jahr 2005 "Brüh' im Lichte dieses Glückes...". Aber das ist hier nicht der Fall.

Denn Andreas Gabalier stellte nach seinem Auftritt klar: „Den Text der österreichischen Bundeshymne lernte ich mit acht Jahren in der Schule im Sachkundeunterricht und ich sehe keine Veranlassung, ihn anders zu singen“. Er habe außerdem den Eindruck, dass sich ein überwiegender Teil seiner Landsleute „die alte Hymne zurückwünscht“. Gegen Frauen hat Andreas Gabalier, der Hits wie „Zuckerpuppen“ und „Fesche Madln“ schreibt, natürlich nichts. Ganz im Gegenteil. Er sagt: „Wer sich mit mir und meinen Liedern, vor allem auch den Texten schon einmal auseinandergesetzt hat, dem dürfte es nicht entgangen sein, dass ich vor Frauen den allerhöchsten Respekt habe.“

Die österreichische Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) sah das offensichtlich anders. Sie postete auf ihrer Facebook-Seite ein Foto, auf dem sie ein Schild mit dem korrekten, also neuen Text der Nationalhymne in die Kamera hält (Foto rechts). Und schrieb dazu: „Im Sinne des lebenslangen Lernens hier eine kleine Lernhilfe für Andreas Gabalier“. Heinisch-Hosek gehört zu den Politikerinnen, die sich für die Umdichtung der Bundeshymne stark gemacht hatten.

Nun würde man ja eigentlich erwarten, dass sich die ÖsterreicherInnen selbst zu ihrer durchsetzungsfähigen und zudem auch noch witzigen Frauenministerin gratulieren. Aber weit gefehlt. Heinisch-Hoseks Posting entfachte einen Shitstorm gegen sie im Netz, der so sehr aus dem Ruder lief, dass nun die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie in der Sache ermittelt. „Geh Scheißen!“ - „Die Frau gehört zurückgevögelt und abgetrieben. Wertlose Steuerfresserin!“ - „Auf den Scheiterhaufen mit ihr! Hexen müssen verbrannt werden!“ – so und ähnlich lauteten die Kommentare unter dem Bundeshymnen-Selfie der Ministerin.

Und auch einige Medien des Landes, das gerade erst mit dem Auftritt von Conchita Wurst den Grand Prix abgeräumt hat, scheint die so feministische Grundstimmung nicht in den Kram zu passen. So schreib Johannes Roth, Chefredakteur der steirischen Gratis-Zeitschrift Weekend Magazin in einem abfälligen Kommentar über die “übertriebene Political Correctness“ seines Landes: „Ich bin mir sicher, dass ein entsprechender Nationalratsbeschluss in Kürze auch die seit Conchita notwendige Ergänzung ‚Heimat großer Transgender’ festlegen wird“. Andreas Gabaliers „ziviler Ungehorsam“ sei für ihn Grund zum „Applaus“.

Gabalier selbst kündigte an, dass er weiterhin die alte Fassung der Bundeshymne singen wird – vorausgesetzt, jemand fragt ihn noch mal. Jetzt kommt er aber erst mal auf Deutschland-Tournee. Der Sender Hitradio Ö3 hat derweil eine Umfrage gestartet: Ist es in Ordnung, die Hymne ohne die Töchter zu singen? 90 Prozent der AnruferInnen finden: Ja! Was ist nur los in Österreich? 

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Österreich singt für Frauen und Männer

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Nationalhymnen sind in den seltensten Fällen emanzipiert und umso erfreulicher ist, dass in Österreich die Bundeshymne für Männer UND Frauen bald beschlossene Sache ist. Auf gemeinsame Initiative der Frauensprecherinnen von ÖVP, SPÖ und der Grünen, allen voran Ex-Frauenministerin Maria Rauch-Kallat (Foto), besingen die ÖsterreicherInnen voraussichtlich ab Januar 2012 nicht mehr nur die Hälfte ihrer Bevölkerung. „Heimat großer Töchter, Söhne“, soll es dort heißen, wo bisher nur die Söhne gepriesen wurden. Seitdem ist begeistert von der „Töchterhymne“ die Rede – und Männerrechtler schäumen. „Werde ich nicht mehr singen“, so lauten wütende Kommentare auf derStandard - und Anti-Facebook-Gruppen gibt es auch schon. Töchter, Söhne, das klinge ja wie Töchtersöhne, eine Verstümmelung der Grammatik und des Versmaßes und wer will schon ein Töchtersohn sein? „Natürlich sind sie das, alle Männer – was denn sonst“ kommentiert die Linguistin Luise F. Pusch das Gezeter treffend. Musikerin Christina Stürmer hatte schließlich schon vor einem Jahr die Töchter in ihrer Version eingebaut. Und mal ehrlich: Hierzulande wäre es alles andere als kompliziert, die Nationalhymne für alle umzudichten. Statt „Vaterland“ hieße es dann z.B. Heimatland – und statt „brüderlich“ freundschaftlich. Also?

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