Österreich: Keine höhere Gewalt

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In Kitzbühel hat ein 25-jähriger Mann fünf Menschen erschossen: seine Ex-­Freun­din, deren neuen Freund, ihre Eltern und ihren Bruder. Für Bürgermeister Klaus Winkler war das „höhere Gewalt“. Was würden Sie ihm entgegnen?
Ich verstehe zwar, dass er als Bürgermeister versucht, seiner Gemeinde diese Interpretation anzubieten. Aber natürlich war das keine höhere Gewalt. Der junge Mann hat seinen Besitzanspruch an die Frau durchsetzen wollen. Dass er gleich fünf Menschen umgebracht hat, hängt aber auch damit zusammen, dass er eine Schusswaffe hatte.

Der Täter war offenbar ein ganz normaler junger Mann aus einer „angesehenen Familie“.
Ich mag den Begriff der ‚toxischen Männlichkeit‘ zwar nicht besonders, weil manche ihn so verstehen, als wäre der Mann giftig und gehöre auf den Sondermüll. Gemeint ist ja aber nicht der konkrete Mann, sondern ein bestimmtes Männlichkeitsbild: Die Mädchen sollen lieb und brav sein, aber der Bub darf schonmal dreinhauen. Und die permanente gesellschaftliche Abwertung von Frauen spiegelt sich natürlich auch im Privatleben.

Sie haben dazu geforscht, ob es bei Beziehungsgewalt ein Stadt-Land-Gefälle gibt.
Kitzbühel hat zwar nur 8.000 EinwohnerInnen, aber es ist allein schon durch den Tourismus kein rückständiges Kaff. In diesem Fall scheint mir das also kein Land-Phänomen. Wenn man aber in Tirol in ein tiefes Tal geht, sind die Männlichkeitsbilder tatsächlich noch archaischer als in der Stadt. Und bei vielen Migranten aus muslimischen Ländern ist das noch ausgeprägter.

Und wie sieht es mit den Männlichkeitsbildern bei der Polizei aus?
Vor 20 Jahren habe ich Interviews geführt, in denen mir Polizeibeamte gesagt haben: „Ich kann doch den Mann nicht aus dem Haus wegschicken, das er mit seinen eigenen Händen gebaut hat!“ Das hat sich inzwischen geändert. Das hat auch damit zu tun, dass die Beamtinnen und Beamten inzwischen deutlich jünger sind. Diese alte Macho-Kultur ist sozusagen wegpensioniert.

Am 1. Januar 2020 tritt eine Reform des Gewaltschutzgesetzes in Kraft. Sie kritisieren diese Reform. Warum?
Bisher konnte die Polizei gegen einen Mann, der seine Frau gefährdet hat, ein Betretungsverbot aussprechen. Das galt nicht nur für die Wohnung, sondern zum Beispiel auch für den Weg zur Arbeit der Frau oder zur Schule der Kinder. Ab Januar gibt es stattdessen ein „Annäherungsverbot“ auf 100 Meter. Und ich fürchte, dass sich ab jetzt viele Gefährder herausreden können, indem sie sagen: „Das waren doch gar keine 100 Meter, sondern 105!“ Oder dass die Polizei eine Frau beim Notruf dreimal fragt: „Sind Sie sicher, dass es wirklich 100 Meter sind?“

Ursprünglich sollte die Arbeit mit den Tätern verbessert werden. Was ist daraus geworden?
Wenn die Polizei ein Betretungsverbot ausspricht, bekommen die Interventionsstellen, die die Frauen unterstützen, automatisch die Adresse der Frau und nehmen Kontakt mit ihr auf. So wollten die Männerberatungsstellen das auch mit den Tätern tun und ihnen ein Angebot machen. Dieser Vorschlag wurde aber abgelehnt. Die Täter sind jetzt verpflichtet, sich selbst innerhalb von drei Tagen bei einer Männerberatungsstelle zu melden und drei Stunden an einem Präventionsprogramm teilzunehmen. Aber das müssen sie selbst bezahlen. Und ich fürchte, dass sich die Motivation der meisten Täter in Grenzen hält.

Sie haben auch zu Frauen geforscht, die ihre Männer umgebracht haben.
Ich habe mir sämtliche gerichtlich verurteilten Tötungen und Tötungsversuche angesehen, die innerhalb von drei Jahren im Rahmen von Beziehungsgewalt in Österreich passiert sind. Bei den Männern waren es durchweg Morde. Bei den Frauen waren es fast ausnahmslos fahrlässige Tötungen, also keine Vorsatzdelikte. Eine typische Situation: Ein Paar streitet und betrinkt sich. Er will sich dem Gespräch entziehen und ins Gasthaus gehen, sie nimmt das Küchenmesser und sticht zu. Alle Frauen haben die Polizei, einen Rettungswagen oder eine Freundin angerufen und um Hilfe geschrien: „Ich hab was Furchtbares getan, der verblutet, rettet ihn!“ Dieses über sich selbst Erschrecken und es rückgängig machen wollen, gab es bei keinem der Männer. Die haben ihre Frauen geplant ermordet. Und der Grund war meistens, dass sie einen neuen Freund hatte. Oder dass er das glaubte.

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