Prostitution ist Menschenhandel!

Catherine MacKinnon
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Niemand ist für illegalen Menschenhandel. Der Frauenhandel hat heutzutage ebenso wenig Befürworter wie die Sklaverei. Mit der Prostitution ist das anders.

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Einige sind dafür und unterstützen sie tatkräftig. Noch mehr halten es für politisch korrekt, sie zu tolerieren. Und die meisten finden Prostitution zwar nicht wirklich wünschenswert, aber doch irgend­wie notwendig, unvermeidbar und letztlich harmlos.

Doch ist Prostitution wirklich etwas anderes als Frauenhandel? Ist sie eine ­Variante sexueller Freiheit – oder der ultimative Verlust derselben? Ist Prostitution ein „Beruf wie jeder andere“ oder „sexuelle Ausbeutung“?

Bezeichnet man Prostitution als „Sex­arbeit“, versteht man sie als „ältestes Gewerbe der Welt“, das in gegenseitigem Einvernehmen stattfindet, schließlich wird dafür bezahlt. Stigmatisiert werde die „Sexarbeit“ nur, weil sie illegal ist. Sowieso sei sie ein Job wie jeder andere, der nur nicht genügend anerkannt wird. Einige Anhänger dieser Position verstehen Prostitution gar als eine Form der sexueller Befreiung: SexarbeiterInnen, die meisten von ihnen Frauen, kontrollierten die sexuelle Interaktion, würden für etwas vergütet, was von Frauen normalerweise umsonst erwartet wird, führten ein unabhängiges Leben und hätten anonymen Sex mit wechselnden Partnern – Verhaltensweisen, die sonst nur den Männern zugebilligt werden.

Die AnhängerInnen der Prostitution als „sexuelle Ausbeutung“ hingegen betrachten Prostitution als die älteste Form der Unterdrückung und einen Eckpfeiler der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern; Prostitution ist für sie eine Folge mangelnder Wahlmöglichkeiten von Frauen. Der körperliche und psychische Zwang, der sich dahinter verbirgt, produziert einen Wirtschaftssektor des Missbrauchs, dessen Profite an andere gehen. Bei diesen „Transaktionen“ ist das Geld entscheidend, nicht das gegenseitige Einvernehmen, was Prostitution zu einer Praxis von Serienvergewaltigungen macht. Folgt man dieser Analyse, kann Prostitution nichts mit Gleichheit und Befreiung zu tun haben.

Beide Sichtweisen haben eine dazugehörige rechtliche Seite: So fordert der „Sexarbeit“-Ansatz die Entkriminalisierung sowie Legalisierung der Prostitution. Sein Ziel ist, alle Akteure der Sexindustrie von Sanktionen zu befreien, so dass Prostitution genauso legal und legitim wird wie jede andere Tätigkeit. Die Niederlande, Deutschland, Neuseeland, Victoria in Australien sowie weitere zehn Staaten in Nevada/USA, haben diesen Ansatz übernommen, auch wenn mittlerweile einige wieder zurückrudern.

Der Ansatz der „sexuellen Ausbeutung“ hat die Abschaffung der Prostitution zum Ziel. Wie man dieses Ziel erreichen kann, wird diskutiert. Aber mit der Kriminalisierung der Käufer (die Freier) als auch der Verkäufer (die Zuhälter und Menschenhändler) bei gleichzeitiger Entkriminalisierung der Prostituierten (die Ware), geht man derzeit in Schweden, Island, Norwegen und seit kurzem auch in Großbritannien in die Offensive. Gleichzeitig werden den Frauen in der Prostitution Unterstützung und Hilfe beim Ausstieg angeboten.

Jeder, der sich mit der Problematik auseinandersetzt, entscheidet, welcher der beiden Ansätze am besten die Realität ­widerspiegelt und die Welt abbildet, in der er gerne leben würde. Doch jenseits von Präferenzen, Haltungen und Werten kann jede Position an dem gemessen werden, was über die Sexindustrie bekannt ist; inklusive der Umstände, unter denen Frauen beginnen, sich zu prostituieren, ihrer Behandlung in der Prostitution sowie ihren Ausstiegsmöglichkeiten.

Überall auf der Welt sind Prostituierte arm, meistens bettelarm. An dieser Tatsache gibt es keinen Zweifel. Finanzielle Not ist der häufigste von Prostituierten genannte Grund für ihren Einstieg in den Sexhandel. Allerdings schafft es praktisch keine, durch Prostitution der Armut zu entkommen. Prostituierte sind froh, wenn sie mit ihrem Leben davon kommen. So errechnete eine kanadische Studie die Sterblichkeitsrate einer Prostituierten als 40 mal höher als die anderer Frauen.

Prostituierte entstammen unverhältnismäßig häufig sozial benachteiligten Gruppen und unteren Schichten. In Vancouver zum Beispiel liegt die Zahl der Indianerinnen, die sich prostituieren, weit über ihrem Anteil an der Bevölkerung. Und obwohl in Indien das Kastenystem illegal ist, gibt es eine Prostituierten-Kaste. Diese äußeren Lebensumstände legen fest, wer in dieser Industrie ausgebeutet wird und wer nicht. Und niemand sucht sich diese Lebensumstände selbst aus.

Eine weitere weltweite Gemeinsamkeit der Prostitution, die niemand bestreitet, ist, dass Prostituierte oft sehr jung einsteigen. In diesem Zusammenhang hat das ­indische Kastensystem die gleiche ­Funk­tion wie der sexuelle Missbrauch in der Kindheit: Beides zeigt dir, wozu du da bist. In Kalkutta stehen 13-jährige Mädchen an den Straßen der Rotlichbezirke, die ich ­besucht habe. Als ich einmal eine enge Gasse hinunterschaute, sah ich eine winzige, maxi­mal Sechsjährige die mit gespreizten Beinen ihr Geschlecht präsentierte. Hatte dieses Mädchen eine „Wahl“?

Wenn Prostitution nicht kriminalisiert ist, ist es nicht nötig, sie zu definieren. Aber es könnte für die Debatte hilfreich sein, Sex zu definieren. Sex sollte freiwillig und erwünscht sein. Vermutlich verteidigen Prostitutions-Befürworter die Prostitution deshalb mit dem Argument, der Sex zwischen Prostituierter und Freier sei freiwillig und erwünscht. Aber wenn man Sex mit jemandem hat, mit dem man Sex haben möchte, dann muss man dafür nicht bezahlen. Wenn aber Sex dem Überleben dient – wie es der Begriff „survival sex“ ausdrückt – dann ist die Prostituierte zum Sex genötigt, weil sie sonst eben nicht überleben kann. In Ländern, in denen Frauen gleiche Rechte haben, wird eine solche Nötigung als Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung definiert.

In Namibia ist Prostitution als sexueller Akt definiert, der „mit einer nicht-sexuellen Gegenleistung“ vergolten wird. Wie simpel: Die Belohnung für Sex ist eigentlich Sex. Wenn Sex einvernehmlich geschieht, ist dies bereits die „Vergütung“.

Augenscheinlich gibt es aber jede Menge Männer, für die Sex eben nicht bereits das „Honorar“ ist, weil sie Menschen bezahlen, die nicht die Wahl haben – und deren Lohn meist wiederum an andere Männer geht.

Befürworter von Sexarbeit erklären oft, „Indoor-Prostitution“ würde Prostituierten mehr Kontrolle geben. Obwohl sie gleichzeitig behaupten, eine Kriminalisierung der Freier mache Prostitution gefährlicher, weil sie dann hinter verschlossener Tür stattfinde.

Doch die angeblichen Vorteile von Bordellen, wie etwa Kontrolle und Schutz, sind eine Illusion. Wie Untersuchungen zeigen, ist das Gegenteil der Fall. Prostitution in Bordellen bedeutet vor allem mehr Kontrollmöglichkeiten für Zuhälter. Die Video-Überwachung (Zuhälter schauen diese Live-Pornografie) und Alarmknöpfe sorgen selten dafür, dass die Frau rechtzeitig Hilfe bekommt. Die Unterscheidung zwischen Straßen- und Bordellprostitution ist rein ideologisch und dient vor allem dazu, den Mythos aufrecht zu erhalten, Prostituierte würden den Beruf aus freien Stücken ausüben, seien gut bezahlt und hätten viel Spaß daran. Sie könnten zudem jederzeit kündigen und verletzt würden sie auch nicht. Zumindest nicht sehr. Vielleicht sollten die Leute, die das behaupten, es einfach mal selber ausprobieren.

Straßenstrich oder Bordell und egal, wie Frauen in den Sexhandel gerutscht sind: Das posttraumatische Belastungssyndrom (PTSD), das bei Prostituierten gemessen wird, ist ähnlich hoch wie bei Kriegsveteranen, Folter- oder Vergewaltigungsopfern. Das Syndrom entwickeln Menschen, die Gewalttaten erleben, die mental nicht zu ­ertragen sind. Oft kommt es dann zu einer Abspaltung: Man schiebt die Gewalt weg, verlässt innerlich das Geschehen, unterdrückt oder verleugnet es, verlässt das Ich, das weiß, dass es passiert ist.

Viele Prostituierte sind drogenabhängig oder trinken übermäßig Alkohol, um auszuhalten, was ihnen geschieht. Manchmal werden sie von ihren Zuhältern abhängig gemacht. Die Drogen dämpfen den Schmerz über das immer wieder erlebte Trauma, indem sie Körper und Seele voneinander entfernen und machen außerdem gefügig und abhängig vom Zuhälter.

Um den Missbrauch, der konstant in der Prostitution stattfindet, auszuhalten, muss man davon dissoziieren. Man kann sich ein neues „Ich“ schaffen, ihr einen neuen Namen geben; sie ist eine andere Person, sie geht raus und macht diese „Arbeit“ und verteidigt sie womöglich auch. Aber wenn man nicht in seinem eigenen Kopf und Körper leben kann, nicht der Mensch sein kann, der man ist – ist das Freiheit? Stetigem Missbrauch ausgesetzt sein; mit Prügeln zum Weitermachen erpresst werden; daran gehindert werden, nach anderen Optionen zu schauen; das Trauma eines Kriegsüber­lebenden oder Folteropfers erleiden, Drogen brauchen, um durchzuhalten – ist das ein „Beruf wie jeder andere“? Wenn Sie sich sagen: „Ich besorge mir einen Job“, ist es das, was Sie damit meinen?

Der Unterschied zwischen Menschen, die sich prostituieren und solchen, die diese Menschen kaufen und verkaufen ist, dass die einen bedienen, während die anderen bedient werden; die einen werden gekauft, die anderen kaufen; die einen sind stigmatisiert, die anderen behalten ihr Ansehen. Die einen sind kriminell, die anderen nicht. Während die einen meistens Frauen sind, sind die anderen meist Männer. Wäre Prostitution ein Beruf wie jeder andere, würden mehr Männer ihn ausüben.

Was genau wird in der Prostitution tatsächlich gekauft und verkauft? Manche Männer verkaufen Frauen an andere Männer, damit diese einen intimen Zugang zu ihnen und Macht über sie erhalten: „Du machst, was ich sage“-Sex. Sie kaufen Sex ohne Widerworte; ohne Beziehung zu der Frau als Mensch; um bedient zu werden von einer Person, die nicht wirklich da ist; die dissoziiert und sich weggebeamt hat, die die Risse in der Decke zählt, auf die Uhr schaut; Sex, bei dem sie selbst auf sexueller Ebene nichts für die Frau tun müssen.

Fairerweise muss man sagen, dass die meisten Freier sehr wohl wissen, dass die Frauen den Sex mit ihnen nicht genießen und das alles vor allem aus finanzieller Not tun. Wie Shakespeares Romeo wissen sie, dass sie Armut, nicht den freien Willen kaufen. Aber sie nennen das „einvernehmlich“. Er fühlt sich mit dieser Sicht besser dabei, sie zu benutzen. Sie hat den Sex des missbrauchten Kindes: Sex, den sie niemals hätte, wenn er nicht mehr Macht hätte als sie. Und das ist kein Beruf wie jeder andere.

Die Anhänger des „Sexarbeit“-Modells unterstellen häufig, Prostitutionsgegner seien auch Sexgegner. Das ist, als würde man sagen: Wer gegen Vergewaltigung ist, ist auch gegen Sex. Dieselbe Fraktion behauptet oft auch, dass der ganze Missbrauch, die Vergewaltigungen und die Schläge erfunden oder übertrieben sind von uns ideologisierten puritanischen Nörglern, die nicht das Zeug zu dem haben, was Huren tun. Die Zuhälter sind ebenfalls erfunden. Die Frauen sind unabhängige Unternehmerinnen – gut, einige haben Manager.

Die Konzession, die die Befürworter des Sexarbeit-Ansatzes machen, ist, Prostitution zwar zu verteidigen, Menschenhandel aber zu abzulehnen. Aber was ist Menschenhandel?

Laut Definition des Palermo-Protokolls der Vereinten Nationen von 2005 ist Menschenhandel jede sexuelle Ausbeutung zu kommerziellen Zwecken durch Nötigung, Drohung und Betrug, also all das, was in der Sexindustrie tatsächlich passiert. Und diese Definition – und auch das ist Realität in der Sexindustrie – bezieht sich auch auf sexuelle Ausbeutung durch „Machtmissbrauch oder das Ausnutzen von Schwäche und Verletzbarkeit“. Klasse, Rasse oder Alter können der Grund für eine solche Verletzbarkeit sein. Und das Geschlecht.

Damit wir von Menschenhandel sprechen müssen, ist also weder das Überschreiten von Ländergrenzen noch rohe Gewalt nötig. Entscheidend ist, dass eine dritte Person involviert ist. Daher erklärte Sigma Huda, von 2004 bis 2008 UN-Sonderbeaftragter für Menschenhandel, dass „Prostitution, so wie man sie aktuell in der Welt praktiziert, in der Regel die Kriterien für Menschenhandel erfüllt“.

Schweden hat die Prostitution in den Kontext der Gewalt gegen Frauen gestellt. Man hat die Freier kriminalisiert und den Kauf von Sex zum Verbrechen erklärt, gleichzeitig hat man die Hilfsangebote für Aussteigerinnen ausgeweitet. Das Gesetz erklärt, dass Frauen nicht käuflich sind. Prostituierte zu entkriminalisieren, erhöht ihren Status – Freier zu kriminalisieren, verringert seine Privilegien. Das ­schwe­dische Gesetz ist de facto ein Gesetz für sexuelle Gleichberechtigung.

Es war harte Arbeit, die schwedische Polizei davon zu überzeugen, dass Freier Ausbeuter sind. Nun werden sie überwacht und verhaftet. Das Resultat ist ein messbarer Rückgang der Prostitution – um 80 Prozent in einigen Teilen Schwedens – und die niedrigsten Frauenhandels-Zahlen in Europa.

Auch wenn die Umsetzung des Gesetzes noch verbessert werden muss, so ist das schwedische Gesetz bisher doch der einzige Ansatz zur Bekämpfung des Frauenhandels, der überhaupt jemals funktioniert hat. Auf der anderen Seite zeigen die Erfahrungen, dass, wenn man Prostitution legalisiert, der Frauenhandel boomt. Das ist zum Beispiel in den Niederlanden oder in Deutschland zu beobachten. Aus kommerzieller Sicht macht es Sinn, Mädchen und Frauen da zu verkaufen, wo das Geschäft Prostitution legal ist, denn das Risiko für die Händler ist minimal, auch wenn der Menschenhandel offiziell verboten ist. Wenn man offen operieren kann, sind die Profite astronomisch. Wenn man Prostitution legalisiert, explodiert der illegale Frauenhandel.

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