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Rosmarie Wydler: Will gewinnen!

Rosmarie Wydler-Welti hofft auf einen Sieg vor Gericht. - Foto: Jean-Christophe Bott/Keystone/dpa
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Geht doch ins Pflegeheim oder backt Kuchen und kümmert euch um eure Enkelkinder!“ schallte es Rosmarie Wydler-Wälti und Mitstreiterinnen entgegen, als sie Klage einreichten bei der Schweizer Regierung. Gegenstand: „Die Schweiz schützt ältere Frauen nicht ausreichend vor Hitze. Sie verletzt mit ihrer ungenügenden Klimapolitik unser Recht auf Leben und Gesundheit!“

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2.500 Frauen haben geklagt, alle im Rentenalter. Nachdem sämtliche Instanzen in Bern die Frauen abgewiesen hatten, zogen sie vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Denn das Recht auf Leben und Gesundheit ist nicht nur in der Schweizer Verfassung, sondern auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Der Europäische Gerichtshof nahm sich 2023 der Klage an mit einer öffentlichen Verhandlung durch die Große Kammer und machte damit die Schweizer „KlimaSeniorinnen“ ad-hoc international bekannt. Heute lacht niemand mehr über sie. Die Klage der Frauen gilt als eine der aussichtsreichsten in ganz Europa. Im März, April wird das Urteil erwartet. Es könnte bahnbrechend sein: Womöglich erstreiten die „KlimaSeniorinnen“ nichts Geringeres als ein Menschenrecht auf Klimaschutz.

Die Klimaseniorinnen wollen das Menschenrecht auf Klimaschutz erstreiten

Die Idee zur Klage stammt nicht von den Frauen selbst, sondern von Greenpeace Schweiz. Die Umweltorganisation suchte nach der vulnerabelsten Gruppe ihres Landes, die vom Klimawandel betroffen und damit klageberechtigt ist. Und das sind in großer Mehrheit Frauen ab 75 Jahren.

Sie leiden am stärksten unter den Hitzewellen. Denn mit zunehmendem Alter ist die Körpertemperatur schlechter regulierbar, das Durstgefühl schwindet, der Körper schwitzt weniger, körpereigene Hormone spielen eine Rolle. Frauen werden älter als Männer, sie leben öfter allein und haben oft weniger Geld als gleichaltrige Männer zur Verfügung – alles Risikofaktoren für hitzebedingte Sterblichkeit. In den Hitzesommern 2003 und 2022 starben in Europa jeweils um die 70.000 ältere Menschen. Fast Dreiviertel davon waren weiblich.

Protest der Schweizer Klima-Seniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. - Foto: Greenpeace
Protest der Klima-Seniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. - Foto: Greenpeace

Schnell kam von Seiten der Medien Kritik auf, die „KlimaSeniorinnen“ hätten sich von Greenpeace instrumentalisieren lassen. Die „Trojanerinnen von Greenpeace“ titelte die NZZ am Sonntag im August 2022. „Da sehe ich überhaupt kein Problem“, sagt Rosmarie, „Greenpeace braucht uns, und wir brauchen sie! Wir sind ein selbstständiger Verein.“

Damals haben wir ein Kernkraftwerk verhindert. Und heute? Mal sehen...

Als Greenpeace sich 2016 bei ihr meldete, war sie bereits in dem Netzwerk „Großmütterrevolution“ für ökologische und vor allem feministische Projekte engagiert. „Die Idee von Greenpeace erschien mir absolut plausibel. So eine Klage stemmt man nicht allein“, sagt die Schweizerin. 150 Frauen schlossen sich ihr an und sie gründeten den Verein der „KlimaSeniorinnen“. Rosmarie Wydler-Wälti und Anne Mahrer wurden ihre Präsidentinnen.

Die aktuelle März/April-EMMA gibt es als Print-Heft und als eMagazin im www.emma.de/shop
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Revolutionen zu initiieren, wurde der Baslerin derweil nicht in die Wiege gelegt. Geboren wurde Rosmarie 1950, in eine „harmonische Familie“. Die Mutter Sekretärin, der Vater Polizist. Eine Schwester. „Ich habe mich nie benachteiligt gefühlt, hatte gar nicht das Bedürfnis aufzubegehren“, sagt sie rückblickend.

Das änderte sich 1971 mit dem „Frauenstimmrecht“ in der Schweiz. Früher war sie Kindergärtnerin und „da lag plötzlich was in der Luft, es hat in mir gebrodelt. Ich wollte mich für Frauen und für die Umwelt engagieren!“, sagt sie. 1977 wurde Rosmarie EMMA-Leserin der ersten Stunde.

Mit 23 wird sie schwanger. In einer Pillenpause. Die Pille war gerade erst auf dem Schweizer Markt. „Aber ich war schnell sehr glücklich mit meinem Baby.“ Innerhalb von zehn Jahren folgten drei weitere. Abends übernahm ihr Mann, ein Chemie-Lehrer, die Kinder. Und Rosmarie zog los, protestieren und in diverse Frauen- und Umweltgruppen. Auch gegen ein geplantes Kernkraftwerk setzte sie sich ein. „Das haben wir damals tatsächlich verhindert! Zuerst hieß es: Das schafft ihr nie! Ja, so kann es gehen“, lacht Rosmarie vielsagend und hofft auf einen zweiten Sieg.

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