Alice Schwarzer schreibt

Feminismus: Sandberg meets Steinem

Alice Schwarzer - Foto: Bettina Flitner
Artikel teilen

Auf meinem Schreibtisch liegt eine fliederfarbene Karte. Eine Postwurfsendung, die ich aus meinem Briefkasten auf dem Land gefischt habe. „Herzlich willkommen“, steht da. Und: „In Dir steckt mehr als Du denkst!“ Es ist die Einladung zu einem „Frühstückstreffen für Frauen“ im ­benachbarten Gemeindehaus. Daneben liegt ein potenzieller Bestseller: „Lean in – Frauen und der Wille zum Erfolg“. Die Autorin, Sheryl Sandberg, sieht mir direkt in die Augen, mit einem strahlenden Lächeln, gewandet in einen weißen V-Ausschnitt-Pullover. Beide ­Druck­erzeugnisse wollen mir ein und dasselbe vermitteln, das eine auf bescheidenem Provinz-Niveau, das andere im ambitiösen Weltmaßstab: Du bist zwar nur eine Frau, aber du kannst es schaffen!

Anzeige

Undenkbar, dass mein Nachbar auf dem Land Adressant einer solchen Einladung zum „Frühstückstreffen für Männer“ wäre. Und nicht weniger denkbar, dass ein erfolgreicher amerikanischer Top-Manager eine Anleitung für „Männer und den Willen zum Erfolg“ schreiben würde. Männer würden höchstens über „den Weg zum Erfolg“ referieren – der Wille wird ­vorausgesetzt.

Ich gebe zu: Ich habe zu dem Buch von Sheryl Sandberg mit maximaler Voreingenommenheit gegriffen. Noch so eine nervende amerikanische Think-positiv-Tante … Doch schon die ersten Seiten belehrten mich eines besseren. Sandberg, laut Forbes die fünftmächtigste Frau der Welt (also nur vier Plätze hinter der deutschen Kanzlerin), steht ihren Mann, aber vergisst die nicht privilegierten Frauen nicht. Gleich in ihrer ­Widmung legt die Geschäftsführerin von Facebook und verheiratete Mutter zweier Kinder die Karten auf den Tisch: Sie dankt ihren „Eltern, weil sie mich in dem Glauben erzogen, dass alles möglich ist. Und meinem Ehemann, der alles möglich macht“. Damit benennt sie die Grundvoraussetzungen für A. den Willen zur und B. die Machbarkeit einer Karriere für eine Frau,die gleichzeitig Kinder hat.

Sandberg beginnt mit einer Szene aus dem Jahr 2004. Da ist sie noch Top-Managerin bei Google und zum ersten Mal schwanger. Sie ­erzählt uns, wie beschwerlich und beschämend es war, mit geschwollenen Füßen und schwerem Bauch Tag für Tag den weiten Weg vom Parkplatz in ihr Büro „zu watscheln“. Eines Tages wurde sie darum beim obersten Chef vorstellig und forderte Schwangeren-Parkplätze direkt am Eingang. Etwas, was sich vorher keine Frau ­getraut hatte, weil die modernen Karrierefrauen so unverletzlich und alert sein wollen (und ­müssen) wie Männer.

Und Sandberg, Tochter aus sozial engagiertem bürgerlich-jüdischem Haus und Geschäftspartnerin von Mark Zuckerberg (deren Vermögen heute auf mehrere hundert Millionen Dollar ­geschätzt wird), vergisst auch die anderen nicht. Sie erinnert an die „4,4 Millionen Frauen und Mädchen, die zur Prostitution gezwungen“ werden. Und an die gänzlich Rechtlosen in Ländern wie Afghanistan oder Sudan. Dagegen geht es uns ja noch Gold. Relativ gesehen.

Das wäre bisher in Deutschland undenkbar: Eine erfolgreiche Karrierefrau, die ohne Umschweife feststellt: „Männer regieren nach wie vor die Welt.“ Und die auch das böse F-Wort nicht scheut, im Gegenteil: „Ich bin stolz, eine Feministin zu sein!“, schreibt die Facebook-Chefin und rechte Hand von Mark Zuckerberg.

Wie sie es so weit geschafft hat? Indem sie sich nichts vorgemacht hat. Sandberg benennt die äußeren, aber auch die realen inneren Hürden, die den Frauen von heute weiterhin den Weg in die Welt verstellen. Sehr bewusst legt die ­Autorin den „Schwerpunkt auf die Dinge, die Frauen selbst in der Hand haben“. Denn das könnten sie selber hier und jetzt verändern. ­ Sie appelliert an ihre Schwestern, „sich ­rein­zuhängen“ (Lean in).

Die moderne Top-Managerin greift damit den Sound der frühen 1970er Jahre auf, die Jahre des Aufbruchs der Frauenbewegung. Das war die Zeit, in der es für Feministinnen selbstverständlich war, neben den äußeren Hindernissen auch die real begründeten inneren Barrieren zu thematisieren, die Frauen auf dem Weg in die Welt zu überwinden haben. Dieses ­selbst­kritische Bewusstsein ist dem heutigen Quoten-Feminismus leider ebenso abhanden gekommen wie der Flut von Psycho-Ratgebern, Stil „Du musst es nur wollen“. Die Facebook-Chefin aber knüpft im Jahr 2013 offen am frühen Feminismus an. Forward to the roots.

Beschämt erinnert die Erfolgreiche sich, wie sie als College-Studentin zwar „Feministische Studien“ belegt hatte, sich aber gleichzeitig ­entschieden dagegen verwehrte, eine Feministin zu sein. Grund: „Wir nahmen die hässliche ­Karikatur der BH-verbrennenden, humorlosen und männerhassenden Feministin einfach hin. Diesem Vorbild wollten wir nicht nacheifern – auch deshalb, weil so jemand wohl kaum einen Freund bekommen würde. Fürchterlich, ich weiß. Welch traurige Ironie, dass der Feminismus abgelehnt wird, um die Aufmerksamkeit und Zustimmung von Männern zu gewinnen. Zu unserer Verteidigung kann ich nur sagen, dass meine Freundinnen und ich naiverweise glaubten, dass Feministinnen überflüssig ­geworden wären.“

Das Leben bringt Sheryl und Freundinnen rasch bei, dass sie sich leider geirrt haben. Und eine Begegnung mit Gloria Steinem überzeugt sie vollends. Nicht nur die Intelligenz und das Bewusstsein der 79-jährigen Gründerin von Ms. (der amerikanischen Vorläuferin von EMMA) beeindrucken die heute 43-jährige Sandberg, sondern auch deren „Warmherzigkeit und ihr Humor“.

Heute ist Sandberg eine überzeugte Feministin. Anders geht es ja auch nicht. Wie will frau sinnvoll über Emanzipation reden oder schreiben, ohne Feministin zu sein?!
Die erwachsen gewordenen Töchter der Emanzen ergreifen also die Flamme und tragen sie weiter. Zumindest in Amerika. Das lässt ­hoffen für Europas Zukunft. Schließlich hat die Women’s Liberation in Amerika auch ein paar Jahre früher angefangen, und Europa hinkt bis heute hinterher.

Nur einen Aspekt, allerdings einen zentralen, klammert die Tüchtige leider aus: die frühe Brechung des weiblichen Menschen durch sexuelle Gewalt. Die ist ja nicht nur in Afghanistan oder im Sudan ein Problem, sondern auch in Amerika oder Deutschland. Die sexuelle Gewalt betrifft heute direkt jedes dritte bis vierte Mädchen und jede zweite erwachsene Frau – indirekt bedroht sie uns alle. Uns Frauen. Das gilt auch für die USA, wie wir an dem dort aktuell die Gemüter bewegenden Skandal einer Gruppenvergewaltigung in Steubenville sehen, mit der die Täter sich auch noch im Internet brüsteten. Von einer regelrechten „Vergewaltigungskultur“ spricht in diesem Zusammenhang die britische Feministin Laurie Penny; einer Kultur der Akzeptanz und des Wegsehens, der endlich Einhalt geboten werden müsste.

Dennoch: Kein Zweifel, das Bekenntnis zum Feminismus ist wieder im Kommen für die Töchter und Enkelinnen der Pionierinnen. Aber noch gibt es sie, diese fatale Teilung in hie die frohe Botschaft (Trau dich!) und da die traurige Erkenntnis (Ich weiß, warum du Angst hast). Eine wirkliche Zukunft aber können Frauen nur haben, wenn beide Stränge zusammenlaufen: die Hoffnung und der Mut zum Aufbruch zusammen mit der Wahrheit über die Verletzungen und ihre lähmenden Folgen.

Artikel teilen
 
Zur Startseite