Senta Trömel-Plötz: Sprache & Macht
Seit Frauen sich politisch als Gruppe verstanden und damit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerieten, seit sie auf ihre Benachteiligung aufmerksam machen, begann auch in der Linguistik ein Interesse, ihrer Benachteiligung in der Sprache und durch die Sprecher nachzuspüren. Es ist nur plausibel, dass eine weitreichende gesellschaftliche Diskriminierung sich auch sprachlich niederschlägt und zwar nicht nur als Widerspiegelung, so dass bestimmte gesellschaftliche Fakten ein unmittelbares sprachliches Analogon haben, sondern viel interessanter, weil diskriminierende Akte häufig einfach sprachliche Akte sind oder weil Diskriminierung in einer bestimmten Situation eben auch verbal zum Ausdruck kommt.
Die Diskriminierung besteht gerade sehr oft darin, wie eine Frau angeredet oder nicht angeredet wird, wie ihr Redebeitrag abgetan, nicht gehört, missverstanden, falsch paraphrasiert, unterbrochen und ignoriert wird, wie sie lächerlich gemacht, bevormundet oder entwertet wird, und nicht zuletzt darin, wie man über sie redet.
Linguistinnen, Psychologinnen, Soziologinnen und Anthropologinnen, die sich heute mit Frauensprache beschäftigen, haben deshalb ein anderes Anliegen und andere Fragestellungen als die wenigen Linguisten und Anthropologen von früher. Das heutige Interesse an der Frauensprache basiert auf der Erfahrung der Ungleichheit: Überall wird die Frau anders und d. h. in diesem Fall schlechter behandelt als der Mann.
Linguistische Fragen, die heute gestellt werden, lauten: Wie werden Frauen von der Sprache behandelt, z. B. welche Möglichkeiten zu sprechen und dabei Frauen ein- oder auszuschließen sind im sprachlichen System vorgegeben? Wie werden Frauen von den Sprechern behandelt, d. h. wie lassen sie mit sich und über sich reden? Wie dürfen und können sich Frauen artikulieren, d. h. wie folgen sie den sprachlichen und kommunikativen Erwartungen, die man an sie stellt, und wie können sie sich dagegen wehren?
Bei beiden Aspekten – der Ungleichheit im sprachlichen System des Deutschen und der geschlechtsspezifischen Unterschiedlichkeit im Sprechen von Frauen und Männern – interessiert mich die Veränderungsmöglichkeit, die Möglichkeit, das Sprachsystem zu ändern und die, unsere verbalen Gewohnheiten zu ändern – und schließlich das erstere durch die letzteren. (…)
In den Untersuchungen darüber, wie Frauen reden, wie sich ihre Sprache von der der Männer unterscheidet, finden wir u. a. folgende Beobachtungen: Frauen benützen mehr Formen der Verniedlichung, z. B. Diminutiva und Euphemismen, und andere Liebkosungsformen als Männer. Frauen kaufen sich ein Kleidchen oder Täschchen, ein Kettchen oder Ringlein, kochen ein Süppchen, trinken ein Tässchen Kaffee, begrüßen sich mit „Tagchen“ und bleiben ein Viertelstündchen zu einem Likörchen, wenn nicht Schnäpschen. Frauen haben auch mehr als Männer mit den Ärmchen, Händchen, Köpfchen, Beinchen, Strampelhöschen, Bettchen, Fläschchen ihrer Babies zu tun.
Redet eine Frau wie ein Mann wird sie dafür entwertet, ihr die Weiblichkeit abgesprochen
Die Funktion von Euphemismen und bestimmter Diminutiva, z. B. im Bereich des Trinkens von Alkoholika, ist, gefällig zu sprechen, so dass die Ohren der anderen nicht verletzt werden, das Grobschlächtige zu verschönern und zu verfeinern, um es akzeptabel zu machen.
Euphemismen und Diminutiva können auch die Funktion haben, die Stärke der Aussage abzuschwächen und zu vermindern. Sie nehmen gleichsam zurück, was gesagt wird, und dienen der Beschwichtigung und Verharmlosung, auch hier um die Äußerungen akzeptabel zu machen.
Auch Männer beherrschen diese Sprache der Verniedlichung, beherrschen und reden in bestimmten Situationen wie Frauen. Es ist interessant, dass die drei Funktionen, die ich allein im Zusammenhang mit der Verniedlichung herausgearbeitet habe, nämlich – 1. gefällig und verschönernd zu reden, 2. abschwächend und verharmlosend zu reden und 3. liebenswürdig und emotional zu reden – bei anderen Eigenschaften der Frauensprache immer wieder nachgewiesen werden können. (…)
Könnte es nicht sogar sein, dass ich, je mehr ich mit der Gefälligkeit meiner Äußerungen befasst bin, desto weniger die Inhalte vertreten kann; dass ich, je „besser“ ich sprechen muss, desto weniger mit Nachdruck behaupten kann. Das schöne Sprechen hätte die Auswirkung, dass sowohl für den Gesprächspartner wie für die Sprecherin die Inhalte weniger wichtig werden, ihre Gespräche weniger gewichtig, unernst, wie beim Flirt zur Spielerei werden, wo man sogar Inhalte um der Darbietung, um ihrer Form willen akzeptiert.
In diesen Bereich gehört vielleicht das positive Vorurteil Frauen gegenüber, das so manche Frau dazu verführt zu glauben, sie hätte Vorteile auf Grund der Tatsache, dass sie eine Frau ist. Auch hinter der Bevorteilung steckt die Diskriminierung.
Mögen das Spekulationen sein, für die ich zum jetzigen Zeitpunkt nur starke Intuitionen habe, jedenfalls steht fest, dass Höflichkeit und Abschwächung der Äußerung die kommunikative Wirkung haben; dass die Sprecherin dem Gesprächspartner Raum gibt (auch mehr Raum, sie zu unterbrechen); dass sie ihre Meinung nicht aufzwingen will, sondern Widerspruch akzeptiert; dass sie bereit ist zur Kooperation, wenn nicht zum Rückzug. Die Folge solchen Redens ist, dass die Äußerungen weniger Gewicht haben und der Sprecherin weniger Autorität zukommt – sie kann sich nicht behaupten.
Die Vorliebe für Übertreibungen und Wiederholungen, für Emphase und Superlative, die Frauen nachgesagt wird, und die auch, auf nachdrückliches Sprechen basierend, auf Stärke und Autorität hinweisen könnte, steht dazu nicht im Widerspruch. Sie sind einfach andere Mittel, um gehört zu werden, die für den Mächtigen gar nicht nötig sind, und die wahrscheinlich sowieso auf bestimmte emotionale Inhalte beschränkt sind, wo Frauen expressiv sein dürfen.
So dürfen Frauen ihre positive gefühlsmäßige Anteilnahme zeigen, während sie ihre negativen, aggressiven Gefühle wie Ärger nicht stark ausdrücken dürfen. Umgekehrt dürfen Männer ihre zärtlichen Gefühle nicht ausdrücken, so dass keinem, weder Frau noch Mann, das gesamte Spektrum der Gefühlsausdrücke erlaubt ist.
Wieder stoßen wir auf die „double bind“-Situation (Zwickmühle): Um ernst genommen und gehört zu werden, muss die Frau so reden wie der Mann. Redet sie aber so wie ein Mann, dann ist sie männlich und wird als Frau entwertet. Eine gescheite Frau ist schnell ein Blaustrumpf, eine Intellektuelle, eben nicht feminin. Sie wird deshalb als Frau abgetan: Weder wird sie vom Mann akzeptiert, noch wollen sich Frauen mit ihr identifizieren.
Redet sie aber wie eine Frau, d. h. macht höfliche, schwache, unsubstantielle Beiträge zum Gespräch, ist feminin, das heißt liebenswürdig, schwach und hilflos, dann wird sie nicht ernstgenommen und braucht nicht gehört zu werden.
Vielleicht reden Frauen an der Universität, in der Politik, in wissenschaftlichen Veranstaltungen wie Konferenzen und Vorträgen, sowie in Gremien als Reaktion auf diese „double bind“- Situation so wenig und schweigen so viel. Vielleicht lassen die Erwartungen, die man an ihr Reden knüpft und die sie oft verinnerlicht haben, sie verstummen.
Um Interferenzen durch solche negativen Erwartungen zu entgehen, sobald sie als Frauen identifiziert werden, haben Schriftstellerinnen Männerpseudonyme angenommen. Da Frauen, wenn sie sprechen, immer als Frauen identifizierbar sind, können sie sich den Vorurteilen, die über ihr Sprechen bestehen, nicht entziehen. Bewertungen des Inhalts und der Quelle sind untrennbar miteinander vermischt. Neuere Untersuchungen unterstützen unsere Erfahrung, dass Reaktionen auf den Inhalt davon beeinflusst sind, ob der Sprecher eine Frau oder ein Mann ist. So wird in den USA Frauen als Nachrichtensprecherinnen wegen ihrer hohen Stimmlage die Glaubwürdigkeit und Autorität abgesprochen, so wurden identische wissenschaftliche Arbeiten schlechter beurteilt, wenn sie Frauen zugesprochen wurden, und so wurden sogar dieselben Kleinkinder in ihrem Verhalten anders beurteilt, wenn sie mit Mädchennamen versehen waren.
Wenn wir Sprache anders nutzen, wird sich das auch im Verhalten zeigen
Frauen sind mehr als Männer darauf angewiesen, sich sprachlich zu definieren, denn ihr möglicher professioneller Status ist nicht so offenkundig wie beim Mann. Die Annahme ist immer zuerst, eine Frau im Krankenhaus sei Krankenschwester und nicht Ärztin, eine Frau an der Schule sei Lehrerin und nicht Rektorin, eine Frau an der Universität Sekretärin und nicht Dozentin. Wenn Frauen außerhalb ihres beruflichen Kontexts sind, außerhalb von Krankenhaus, Schule, Forschungsinstitut, Finanzamt, Ministerium usw. oder überhaupt nicht im Berufsleben stehen, sind sie noch stärker angewiesen auf ihre Selbstdarstellung durch Sprache und andere Attribute des Verhaltens oder des Aussehens.
Deshalb ist es keineswegs verwunderlich, dass soziolinguistische Ergebnisse zeigen, dass Frauen sensibler auf Statusunterschiede reagieren als Männer und sich an der sprachlichen Variante mit dem höheren sozialen Prestige orientieren. Wenn also Frauen sich dadurch definieren, wie sie reden, tragen sie damit auch zu den Erwartungen bei, die Männer von ihnen haben, sind sie mitverantwortlich für das Bild, das man sich von ihnen macht.
Wenn deshalb Frauen anfangen, anders zu reden, werden Männer beginnen, ihre Erwartungen zu ändern, d. h. auch anders über sie und mit ihnen reden. Dadurch wird sich auch das Sprachsystem in dem Maß ändern, in dem Frauen und Männer die Sprache anders benützen. Heute reflektiert unsere Sprache und unser Sprechen die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in unserer Gesellschaft. Wenn Frauen und Männer bewusst sexistische Sprache vermeiden und Sprache gleichberechtigt einsetzen, d. h., da Sprechen ja ein Großteil unseres Handelns ist, auch als gleichberechtigte Partner miteinander umgehen, wird sich das neue sprachliche Verhalten auch in einer allmählichen Sprachveränderung niederschlagen – zu einer Sprache hin, in der die Benachteiligung von Frauen und Männern aufgehoben ist.
Der hier leicht gekürzte Text erschien 1978 in der Fachzeitschrift „Linguistische Berichte“.
„Frauensprache in unserer Welt der Männer“ (1982, Konstanzer Universitätsreden).
Alle Bücher von Senta Trömel-Plötz auch im FMT: www.frauenmediaturm.de
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