Şiir Eloğlu-Die Komische

© Bettina Flitner
Artikel teilen

Hier sitzt Şiir Eloğlu. Sie könnte Ihnen bekannt sein. Zum Beispiel aus dem Kinofilm „Almanya“, in dem Şiir eine türkische Mutter spielt. Oder aus dem Fernsehfilm „Kückückskind“, in dem Şiir eine türkische Mutter spielt. Oder aus der Kino-Komödie „Einmal Hans mit scharfer Soße“, in dem Şiir - wir ahnen es: eine türkische Mutter spielt. Der Hans mit der scharfen Soße ist ein Publikumserfolg, und das lag auch an Şiir. Selbst in einem Veriss stand: „Witzig sind nur die Szenen, die Şiir Eloğlu als Hatices Mutter an sich reißt. Wenn Eloğlu das Klischee der türkischen Mama gleichzeitig feiert und untergräbt, funkeln plötzlich Ironie und Dialog auf.“ (Die Zeit) Seither kennen die ZuschauerInnen nicht mehr nur ihr Gesicht, sondern auch ihren Namen. Auch wenn die meisten ihn nicht aussprechen können. Schi-ir heißt es, mit „Sch“ vorne. Das bedeutet auf Türkisch „Gedicht“. Den Namen hat ihr Vater, der Dichter, ausgewählt. Aber dazu später mehr.

Anzeige

Es liegt an der Kombination aus Name, Herkunft und Alter, weswegen die Schauspielerin zurzeit auf die Rolle der türkischen Mutter gebucht ist. Prinzipiell ist das kein Problem, denn Şiir könnte tatsächlich eine Mutter sein. Sie lebt zwar als Single und kinderlos in Berlin, hat aber eine für ihre Generation typische deutsch-türkische Biografie.

Die gebürtige Istanbulerin kam im Alter von vier Jahren Ende der Sechziger zusammen mit ihrer Mutter und dem Bruder in ein kleines Dorf im Schwarzwald und dann nach Köln, wuchs zweisprachig auf und besuchte in Köln-Kalk das Gymnasium. Danach ein Jahr lang an der Uni Bonn islamische Kunstgeschichte und schließlich das Schauspielstudium in Saarbrücken. Es folgten erste Rollen am Theater und im Fernsehen. 2011 tauchte Şiir in einer Bild-Serie über „gelungene Integration“ auf.

Eine gelungene Integration scheint Şiir auch „Ritas Häkelclub“. Sie trinkt gerne Tee im Showroom des Modelabels „Rita de Palma“ in Neukölln, wo Türkinnen mit und ohne Kopftuch Wunderbares häkeln und Deutsch-Türkisch sprechen. Die im Rheinland aufgewachsene Şiir redet schnell und viel und zwischendurch auch mal im kölschen Singsang. Als Schauspielerin könnte Şiir auch einfach mal eine Sabine spielen. Das ist nur in den Film und Fernsehredaktionen noch nicht angekommen. Şiirs Alltag und Şiirs Rollen, das sind zwei Welten. Die Frauen, die sie spielt, sprechen ein gebrochenes Deutsch, sind Hausfrauen, tragen Kopftuch und bunte Kleider im Schicht-Look. So, wie sich die Deutschen vor vierzig Jahren die anatolische Mama vorgestellt haben.

Im Leben ist Şiir eine Frau, die sich wenig von ihren gleichaltrigen deutschen Freundinnen unterscheidet. Außer durch ihre ausgeprägte kosmopolitische Seite: Sie hat Freundinnen und Freunde von Japan bis Amerika und besucht die auch gerne und regelmäßig. Gleichzeitig träumt Şiir, die seit knapp 50 Jahren in Deutschland lebt, von einem Häuschen auf dem Land. In der Türkei. Sie ist eben beides: Deutsche und Türkin.

Allerdings nicht so eine Türkin, wie sie die Kostümbildnerinnen gerne haben. Die drücken ihr am Set ein Kopftuch in die Hand: „Sie wissen ja, wie man das bindet!“ Şiir hat noch nie ein Kopftuch getragen. Zuletzt sei ihr das bei den Dreharbeiten zu einem Fernsehfilm passiert, erzählt sie. Da ging selbst der auch im Leben komischen Schauspielerin der Humor flöten. Regie, Kostüm und Şiir waren sich einig gewesen: Die türkische Mutter trägt kein Kopftuch. Doch nach dem ersten Drehtag meldete sich die deutsche Redakteurin und forderte Şiir auf, ein Kopftuch umzubinden. Şiir knotete sich das ungeliebte Tuch um den Kopf. Wieder Anruf Redaktion: Sie solle das Kopftuch bitte „richtig“ tragen, also islamistisch, will heißen: Der Haaransatz dürfe nicht sichtbar sein. Şiir findet das schlicht zum Kotzen.

Übrigens: Sieben von zehn Frauen mit muslimischem Hintergrund in Deutschland haben noch nie ein Kopftuch getragen.

Diese Klischees kennt Şiir schon aus dem (evangelischen) Kindergarten. Da hatte die kleine Şiir ihre erste große Rolle: die Maria im Krippenspiel. Doch bevor das türkischstämmige Mädchen die christliche Ikone mimen durfte, rief die Hortleiterin fürsorglich die Mutter an. Ob das okay sei für „eine Muslimin“? Muslimin? Nicht einmal ihre Verwandten in der Türkei seien religiös, spottet Şiir.

Und dabei denkt die Deutsch-Türkin zum Beispiel an die „Zocker-Tante“ in Istanbul. Nachdem die Eltern sich nach fünf Jahren Ehe trennten, lebte Şiir für einige Monate bei der Tante. Die pokerte in ihrem 200-Quadratmeter-Appartement mit Blick auf den Bosporus ketterauchend mit Freundinnen um Geld. Ihre Mutter Güzin Ergur nahm nach der Scheidung sofort wieder ihren Mädchennamen an, hat Studienabschlüsse in französischer Literatur, Jura und Journalismus und arbeitete in der Türkei für das Kulturressort des türkischen Magazins Frau. In Deutschland, wohin sie mit Tochter und Sohn aber ohne Mann zog, war sie Zimmermädchen, Zahnarzthelferin und zuletzt Lehrerin für türkische Kinder.

Für Şiir war es also ganz normal, dass die Frauen in der Familie das Geld verdienten. Ihr Vater Metin war zwar in der Türkei ein berühmter Maler und Lyriker, aber eine Familie ernähren konnte er damit nicht. Ein Querkopf, sagt Şiir. Erst nach seinem Tod 1985 entdeckte sie in seiner Biografie, dass er immer Schauspieler hätte werden wollen.

Zurzeit ist Şiir in der Lindenstraße zu sehen. Sie spielt eine türkische Architektin. Ohne Kopftuch.

Artikel teilen
 
Zur Startseite