Stark dirigiert

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Als die australische Dirigentin zum ersten Mal die berüchtigten Wiener Philharmoniker dirigierte, war sie im achten Monat schwanger und sagte: "Ich will nicht befehlen, ich will überzeugen."

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Zuerst die gute Nachricht: Die letzte wahre Männerdomäne, die Welt der E-Musik, ist dabei, nun endlich auch von Frauen erobert zu werden. Und jetzt die schlechte: nur einer einzigen Frau ist es bisher gelungen, bei den großen Orchestern der Welt als Dirigentin am Pult zu stehen, nur eine einzige hat sich international durchgesetzt: Simone Young. 39 Jahre ist sie alt, in Sidney geboren, Mutter von zwei Töchtern, und seit dem 1. Januar Chefdirigentin der Australian Opera in Sidney und Melbourne. Aber was hat sie alles dafür in Kauf nehmen müssen.
Erst den Rausschmiss von zu Hause, als die junge Frau nicht Anwältin wie der Vater, sondern Musikerin wie sonst niemand in der Familie werden wollte. Später das große Interesse von Intendanten an ihren High Heels – ihrem Lieblingsspleen – und das geringe Interesse an ihren fachlichen Qualitäten.
Aber Simone Young ließ sich nicht beirren: "Ich habe schon immer einen starken Willen gehabt", sagt sie. Und viel Humor. In den letzten zehn Jahren hat sie sich 65 (!) Opern angeeignet. Dazu sechs Sprachen gelernt, damit sie "die Opernliteratur im Original lesen und musikalisch besser nachvollziehen kann".
Young arbeitet 14 Stunden am Tag, ist ständig zwischen London, Bergen, Wien, Berlin, Paris und Sidney unterwegs. Und bei vielen ihrer Dirigate war sie die erste Frau überhaupt, die am Dirigentenpult stand. An der Met in New York oder der Wiener Staatsoper zum Beispiel, einem Haus, das über Jahrhunderte Frauen nicht einmal als Ersatzmusikerinnen zuliess.
Wie schwer der Anfang gerade hier gewesen sein muss, ist an der kaum wahrnehmbaren Genugtuung zu merken, mit der sie erzählt, dass die Entscheidung, auch Frauen in das Orchester aufzunehmen, ausgerechnet in der Zeit fiel, in der sie im achten Monat schwanger die Wiener Philharmoniker dirigierte: "Ich glaube, da war ich so eine Art lebendiges Argument. Ich habe Fakten geschaffen, die einfach nicht zu übersehen waren."
Zu den Dingen, die anders sind, wenn sie als Frau dirigiert, zählt Simone Young neben ihrem alle einbeziehenden Arbeitsstil – "Ich will nicht anordnen. Ich will von meiner Klangvision überzeugen!" – die Umkehrung der Erotik, die zwischen Dirigent und Orchester besteht. "Ich habe das Gefühl, dass eher die Frauen im Orchester Probleme haben, dass ihnen etwas fehlt, wenn ich vorne stehe, nicht die Männer." Seit ihrem 16. Lebensjahr trainiert sie klassischen Tanz. "Ich habe darüber noch nie nachgedacht", sagt Simone Young, "aber es ist schon so, dass ich die Musik körperlich wahrnehme." Und dann gibt sie mir einen kleinen Kurs in Dirigiertechnik.
"Als ich zum ersten Mal Wagner dirigiert habe, in Bayreuth, musste ich sitzen. Da steht nämlich ein Stuhl für den Dirigenten im Orchestergraben. Wenn er von dem aufstehen will, stößt er sich unweigerlich den Kopf. Inzwischen habe ich mir angewöhnt, immer bei Wagner zu sitzen: Es ist besser für die Konzentration über so einen langen Abend und über so einen riesigen Apparat von Musikern, wo man jederzeit alle Abteilungen hören muss. Da hat man mehr Arbeit mit dem Kopf zu leisten. Bei Verdi und Rossini dagegen muss ich stehen, oftmals auf Zehenspitzen. Ihre rhythmische Vitalität braucht den ganzen Körper."
Die zierliche energiegeladene Frau im hochgeschlossenen schwarzen Anzug, mit schwarzer Lockenmähne und auf den berüchtigten High Heels, strahlt, wenn sie über Musik spricht. Sie gestikuliert mit der rechten Hand und macht genau vor, was sie meint, wenn sie davon spricht, wie mit Gesten nicht nur der Einsatz für Tempo und Rhythmus und der Einsatz einzelner Solisten und Orchestergruppen gegeben wird, sondern auch der Klang bestimmt wird, den der Dirigent – pardon, die Dirigentin – hören will.
Für sie muss man nur gut vorbereitetet sein, ganz in der Musik versinken, mit den Musikern dasselbe Ziel haben. "Es ist ganz einfach ausgedrückt so, als ob Sie einen Ball hart und weit werfen wollen." Sie streckt den Arm abrupt und dynamisch nach vorne aus. "Das gibt eher einen harten, eckigen, militärischen Klang." Dann erhebt sie die rechte Hand nach hinten. "Oder wenn Sie einem Kind einen Ball zuwerfen, da ergibt die Bewegung praktisch einen weichen vollen runden Klang."
Diese Frau spürt die Musik nicht nur mit dem ganzen Körper – sie macht sie auch mit vollem Körpereinsatz. Trotz High Heels.
Carola Wedel, EMMA 4/2001

 

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