Wer macht meine Klamotten?

Foto: Suitcase Magazine
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Orsola, warum brauchen wir eine ­Fashion Revolution?
Weil wir mit unserer Mode eine Spur des Elends hinterlassen! Wir wissen, dass die Mode-Industrie die zweit-umweltschädlichste Industrie der Welt ist. Wir wissen, dass weltweit über 75 Millionen Menschen für diese Industrie arbeiten. Wir wissen, dass rund 80 Prozent davon weiblich sind. Wir wissen, dass diese Frauen häufig unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten. Das alles geht uns alle an. Wir tragen schließlich alle Kleidung. Und gerade in den letzten 20 Jahren hat sich die Modeindustrie enorm verändert.

Inwiefern?
Wir haben es mit einer Gigantifizierung zu tun: Wachstum, Wachstum, Wachstum! Gleichzeitig arbeitet die Mode-Industrie unglaublich ineffizient: Da weiß innerhalb der Lieferkette der eine nicht, was der andere tut. Deswegen können auch alle so einfach die Augen verschließen.

Das hat vor vier Jahren zur Rana-Plaza-­Katastrophe geführt: In Bangladesch stürzte eine Textil-Fabrik ein, über 2.000 NäherInnen starben in den Trümmern.
Das war der Startschuss für unsere „Fashion Revolution“. Der Einsturz war ja vorhersehbar. Er wäre leicht zu verhindern gewesen. Wenn wir uns einfach nur an ganz grundsätzliche Regeln der Verantwortung, Sicherheit und Transparenz gehalten hätten. Seither hat sich die Haltung der Konsumenten verändert: Es gibt heute ein Bewusstsein für diese Probleme.

In Köln, dem Sitz der EMMA-Redaktion, hat ein Jahr nach dem Unglück eine ­Filiale des irischen Billig-Discounters „Primark“ eröffnet. Die Menschen standen am Eingang Schlange.
Klar, wenn ein solcher Laden aufmacht, dann verhalten sich die Menschen wie die Schafe. Sie rennen super-billigen Angeboten hinterher. Aber gleichzeitig sehen wir ja auch die, die unsere Kampagne unterstützen. Und wir sehen ein Umdenken bei den großen Modemarken. „Who made my clothes?“ Das ist unser Aufruf der ersten Stunde. Das fragen wir bis heute. Als wir für 2016 das erste Mal den Transparenz-Index veröffentlicht haben, hatten nur eine Handvoll Unternehmen öffentlich gemacht, mit welchen Zulieferern sie arbeiten. In diesem Jahr sind es schon 93 Unternehmen.

Wie funktioniert der Index?
Wo lassen die Modefirmen produzieren? Haben sie einen Firmenkodex? Wie gehen sie mit Themen um wie faire Löhne, Umweltschutz oder Abfallvermeidung? Wenn ein Unternehmen diese Informa­tionen offenlegt, kann es auch zur Verantwortung gezogen werden.

2016 hat H&M besonders gut abgeschnitten, ausgerechnet. Ein Mode-Gigant, der wie kaum ein anderer für Fast Fashion steht.
Was die Transparenz angeht, ist H&M einfach besser als alle anderen. Gleichzeitig sind sie natürlich auch in der Massenproduktion besser als alle anderen. Sie dürfen den Index nicht als Freibrief missverstehen, dass man bei einer Marke ohne schlechtes Gewissen einkaufen kann. Und was die so genannte Fast ­Fashion angeht: Es gibt unendlich viele Marken, die billig und unethisch produzieren lassen. Und sie bekommen dafür trotzdem nie einen drauf. Wir wissen von sehr großen Modeherstellern, die nichts tun, einfach gar nichts, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Und vergessen sie nicht die Firmen, die auch so genannte White-Label-Produkte herstellen. Die produzieren Millionen und Abermillionen Kleidungsstücke, ohne dass ihr Name auf einem Schildchen auftaucht.

Wie sieht eine typische Lieferkette aus?
Die Modeindustrie umfasst sehr viele andere Industrien – von der Landwirtschaft bis zur Kommunikation. Das macht es so kompliziert. Aber grundsätzlich gibt es drei Hauptbereiche. Der erste betrifft die Bekleidungshersteller. Man könnte annehmen, dass eine Modemarke zumindest weiß, wo ihre Kleidung produziert wird, oder? Aber manche wissen nicht einmal das, weil es auf dem Weg bis zum Verkauf zu viele Mittelsmänner gibt. Der zweite Bereich betrifft kleinere Utensilien oder auch Webereien. Und der dritte Bereich ist der Härteste, der betrifft die Materialien: Handelt es sich um einen von Hand hergestellten Stoff – oder um einen synthetischen? Welche Chemikalien werden eingesetzt? Nehmen Sie die Jeans-Industrie, da war bis vor einigen Jahren noch die Sandstrahltechnik üblich. Für die Lungen der Arbeiterinnen und Arbeiter war das reines Gift.

Die Textil-Fabriken stehen häufig in Ländern, in denen Frauenrechte klein geschrieben werden. Wie will man unter ­diesen Bedingungen überhaupt gute ­Arbeitsbedingungen für sie schaffen?
Gewerkschaften gründen – das ist der einzige Weg, um die Würde am Arbeitsplatz zu sichern. Und die Konsumentin hat mehr Macht als sie denkt! Die Botschaft, die bei den Modemachern ankommen muss, lautet: Ich kaufe lieber eine hochwertigere Jeans als zwei in eurer schlechten Qualität! Damit die Produzenten aufhören, die TextilarbeiterInnen zu trimmen, 120 Jeans oder 170 T-Shirts in einer Stunde zu produzieren. Wir müssen diese Menschen auch besser ausbilden, damit sie qualitativ hochwertigere Kleidung herstellen können. Ich denke da immer an Italien. Als dort die Modeproduktion losging, herrschten Zustände wie in Bangladesch! Wir waren einer der billigsten Produktionsorte. Und wir haben es geschafft, diese ganze Industrie in eine Form von Nationalstolz zu verwandeln: Made in Italy!

In der Dokumentation „The true cost“ kommt eine junge Mutter aus Indien zu Wort, die einen Näherinnen-Protest mitorganisiert hat. Als die Frauen ihren Vorgesetzten ihre Forderungen vorgetragen hatten, schlossen die Männer die Tür ab und schlugen sie zusammen.
Der Film ist ja schon etwas älter. Inzwischen gibt es wirklich tolle Beispiele für Frauen, die sich zusammengeschlossen haben, speziell in Bangladesch. Es gibt gewerkschaftlich organisierte Frauen in Kambodscha und in Myanmar.

Wir werden ja regelrecht dazu erzogen, massenhaft zu konsumieren.
Ja, wir haben die Modeindustrie einfach zu diesem Monster werden lassen, das uns alle verprügelt. Wir haben eingetrichtert bekommen, dass wir Dinge besitzen und kaufen müssen, die wir kein bisschen brauchen und die schlecht gemacht sind. Die Konsumentin ist also auf gewisse Weise auch ein Opfer. Wir brauchen einen Kulturwandel, und der hat sehr grundsätzlich mit dem Frauenbild, also mit Feminismus zu tun.

Gerade findet auch die Fashion Revolution Week statt, die Sie ins Leben gerufen ­haben. Und eine Aktion richtet sich direkt an junge Frauen. Sie fordern die Mädchen unter dem Hashtag #haulternative dazu auf, eine Alternative zu den Hauling-­Videos zu drehen, mit denen YouTuberinnen inzwischen mehr ZuschauerInnen generieren als das Fernsehen. In diesen Werbevideos geht es häufig um Shoppen und Schminken.
Wenn Sie sich die YouTuberinnen anschauen, dann sehen sie natürlich als erstes den Konsum. Aber es gibt auch noch eine andere Seite, und die hat mit Kommunikation zu tun. Das sind Leute, die eines Tages aufgestanden sind und den Mut hatten, sich an ihren Computer zu setzen und zu Millionen zu sprechen. Und die sagen vielleicht genau in dieser Minute: Flicke deine Jeans, teile deine Klamotten mit Freundinnen, kaufe Second-Hand, sei neugierig, mache etwas selbst! Bei der Haulternative-Aktion machen ganz unterschiedliche Frauen mit, von der Top-Influencerin bis hin zum Mädchen aus ärmeren Verhältnissen, das vorher noch nie in einem Second-Hand-Shop war und das jetzt einfach mal ausprobiert hat.

Geben Sie EMMA ein paar Tipps, Orsola: Was können unsere LeserInnen tun?
Mein wichtigster Tipp lautet: Entscheide, etwas zu ändern! Das kann die Entscheidung sein, ein Kleidungsstück einfach mal nicht zu kaufen. Oder lerne, wie man einen Knopf annäht oder eine Tasche flickt, damit deine Lieblingsjacke nicht im Schrank vergammelt. Und: Wenn du wirklich mal etwas wegwerfen willst, studiere vorher ganz, ganz genau, wie und wo! Es ist wirklich nicht gut, die Sachen einfach in den Müll zu werfen! Und mein letzter Tipp: Denkt darüber nach, ob die Kleidung fair hergestellt ist – und wer sie macht!

http://fashionrevolution.org

Das Gespräch führte Alexandra Eul.

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