Wohin führt die „Genderklage“?

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Alex Jürgen war der erste. Oder die erste. Denn Alex Jürgen ist intergeschlechtlich, ist also körperlich weder eindeutig Mann noch Frau. Er/sie war 2019 der erste Mensch in Österreich, der in seinem Reisepass in der Rubrik „Geschlecht“ weder ein F noch ein M stehen hatte, sondern ein X.

Für das Recht, sich in den Ausweispapieren nicht vereindeutigen zu müssen, hat der/die heute 46-Jährige jahrelang gekämpft. Alex zog bis vor das österreichische Verfassungsgericht, das im Juni 2018 entschied: Intergeschlechtliche Menschen dürfen in ihren Dokumenten nicht gezwungen werden, sich für den Eintrag „weiblich“ oder „männlich“ zu entscheiden. Sie müssen einen anderen Geschlechtseintrag wählen können: „divers“, „inter“ oder „offen“. Sie können auch gar kein Geschlecht angeben.

Wie schmerzhaft es ist, sich vereindeutigen zu müssen, hat Alex Jürgen am eigenen Leib erfahren: Dem Jungen Jürgen wurde mit sechs Jahren der Penis amputiert, mit zehn die Hoden, mit 15 bekam er eine Vaginalplastik und hieß jetzt Alexandra. Alex Jürgen hat den männlichen Chromosomensatz XY, aber aufgrund seiner Intergeschlechtlichkeit blieb sein Penis sehr klein. Zu klein, um nach dem Verständnis der Ärzte ein „richtiger“ Junge zu sein. Sie überredeten die Eltern, aus dem intergeschlechtlichen Kind ein „Mädchen“ zu machen. „Das hinterlässt so viele Schäden, dass man es sich gar nicht vorstellen kann“, sagt Alex, der/die bis heute gegen die „traumatisierenden Operationen“ kämpft. Alex‘ Geschichte wurde 2006 in der Doku „Tintenfischalarm“ verfilmt.

Auch in Deutschland entschied das Bundesverfassungsgericht 2018, dass es den dritten Geschlechtseintrag „divers“ geben muss. Und das auch deshalb, weil Eltern sich so womöglich weniger leicht drängen lassen, aus ihren Kindern „richtige“ Mädchen oder „richtige“ Jungen machen zu lassen.

Wer sich in Österreich als „divers“ eintragen lassen möchte, muss bis heute, ganz wie in Deutschland, ein ärztliches Attest über die körperliche „Intergeschlechtlichkeit“ vorlegen. Diese Pflicht jedoch möchte die Initiative „Genderklage“ nun abschaffen. Ihr Ziel: Alle Menschen, die sich auf keine Geschlechtsidentität festlegen wollen, sollen dies in ihrem Ausweis bekunden können. Im Mai 2021 reichte die Initiative Klage beim Wiener Verwaltungsgericht ein, jetzt liegt sie eine Instanz höher beim Landesverwaltungsgericht.

Doch welche Konsequenzen hätte es, wenn auch biologische Frauen und Männer ihren Geschlechtseintrag einfach so ändern könnten, nur weil sie sich als „nicht-binär“ oder „genderqueer“ definieren? Es wäre ein Schritt in die Richtung, die in Deutschland die Ampelkoalition mit ihrem „Selbstbestimmungsgesetz“ gehen will: das Geschlecht nicht mehr als biologische Realität, sondern gefühlte Selbstdefinition.

Und so wundert es nicht, dass „Genderklage“ Teil einer weiteren Initiative ist, die auch in Österreich das Selbstbestimmungsgesetz einführen will. Im Mai 2021 forderten rund 50 Initiativen in einem Offenen Brief an den damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz: „Jeder Mensch muss durch Selbstauskunft in dem Geschlecht anerkannt werden, in dem er lebt!“

Doch bevor die österreichische Regierung dieser Forderung nachkommt, sollte sie die Empfehlungen ihrer Bioethik-Kommission aus dem Jahr 2017 lesen. Die Mitglieder trennen sauber zwischen den völlig unterschiedlichen Phänomenen Inter- und Transsexualität. Zu letzterer erklärt die Kommission: „Eine intensive Beratung und psychologische Betreuung von Personen mit einem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung – einschließlich einer sachverständigen Begutachtung der Ernsthaftigkeit und voraussichtlichen Irreversibilität des Wunsches – dient dem Schutz vor übereilten Entscheidungen mit schwerwiegendsten Folgen für den weiteren Lebensweg der Betroffenen und nicht deren Bevormundung.“

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