Ohne Kampf geht nichts

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Das "F-Wort" galt vor zehn Jahren als mega-out und peinlich, die berühmt-berüchtigte lila Latzhose (die nur wegen der drei 'L' so oft zitiert wird, denn im wirklichen Leben der 70er Jahre war sie ein eher seltenes Einzelstück) wurde zum Symbol eines überlebten, verbiesterten, unerotischen Feminismus. Dahin wollte keine junge Frau zurück, und von da wollte auch keine herkommen. Dann der Schock: Frauen sind schlauer als Männer, sie sind fleißiger und machen öfter Abitur, steigen aber dennoch nicht auf. Weder in der Wissenschaft, noch in der Wirtschaft. Woran liegt das? Was stimmt nicht? Plötzlich war er doch wieder gefragt, der Feminismus mit seinen Machtfragen, seinen Genderstudies und seinem Blick für subtile Herrschaftsbeziehungen. Allerdings sollte er jetzt, zum Ende des Jahrtausends, "neu" sein, frisch, frech, schick und sexy. Na denn.

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Wie war es nochmal zehn Jahre zuvor gewesen, Ende der 80er Jahre? Auch da fand der weibliche Teil der jungen Generation, die Frauen hätten "es" doch geschafft, man könne die lila Latzhose einmotten, und vor allem diese Männerfeindlichkeit, die sei von gestern. Es war die Zeit der Wiedervereinigung, und die Ostfrauen mischten sich mit tadelndem Unterton in den Disput: Vorwärts ginge es nur mit den Männern, nicht gegen sie. Überhaupt sei die Frauenfrage abgehakt, man könne nun einträchtig die großen Probleme der Umwelt und des Friedens bearbeiten.

Dann der Schock: Frauen waren engagierter als Männer, sie waren politischer, sie waren hartnäckiger. Aber sie gelangten dennoch kaum an die Spitzen von Parteien und Parlamenten, sie blieben im zweiten Glied. Woran lag das? Was stimmte nicht?

Heimlich schlugen die ehrgeizigen "Girlies" der späten 80er, frühen 90er in den Pamphleten und Analysen der überwundenen alten Frauenbewegung nach und entdeckten sie dort sämtlich, die brennenden Fragen. Es sprach sich herum, dass damals, vor fast zwanzig Jahren, als die Frauen aufbrachen, manches auf die Tagesordnung gesetzt worden war, was dort immer noch hingehörte. Und die eine oder andere Frau bekannte nun entschlossen: Ich bin Feministin.

Was sich vor zehn und vor zwanzig Jahren schon mal zugetragen hat, geschieht jetzt erneut. Junge Frauen, wie kürzlich der Spiegel resümierte ("Weder Muse noch Madonna"), haben eine Zeitlang geglaubt, sie hätten doch längst alles erreicht, sie seien rundum gleichberechtigt und hätten auch mit Latzhosen gar nichts im Sinn. Diese Frauen erkennen allmählich: Die Gleichheit ist noch weit entfernt – und werden "so zu Wegbereiterinnen eines neuen, anderen Feminismus". Das schreiben die Spiegel-Autorinnen Anke Dürr, Ulrike Knöfel und Claudia Voigt über die Autorinnen Juli Zeh, Charlotte Roche, Julia Franck, Karen Duve u.a.

Zum soundsovielten Mal also passiert es wieder mal, dass ein neuer, frecher, erotischer usw. Feminismus ausgerufen wird, den vor allem eins auszeichnet: seine entschiedene Distanz zu der verbissenen, veralteten, zu Recht vergessenen Frauenbewegung der 70er Jahre samt ihren Fossilien EMMA, Alice Schwarzer, Simone de Beauvoir und lila Latzhose. Hat dieser Wiederholungszwang Methode? Müssen die Ursprünge totgesagt werden, damit es eine Weiterentwicklung gibt? Was steckt hinter dieser rituellen Abkehr von der Geschichte?

Man kennt den Kampf der Generationen. Die Jugend will sich neu erfinden und leugnet gern, dass schon was da war, bevor sie die Bühne der Geschichte betrat. Reift sie, sieht sie ein, dass ein Erbe, welches sie antritt, nicht von ihr selbst geschaffen sein kann. Sie erwirbt einen historischen Blick und prüft, was von den alten Beständen sie halten und verwalten und was sie loswerden oder runderneuern will.

Dieser Prozess einer normalen Generationenfolge ist bei den Frauen, soweit ihre Emanzipation sie bewegt, gestört. Zwar gibt es auch junge Frauen, die genau wissen, was sie der EMMA – hier Symbol für den so genannten Altfeminismus – auch heute weiterhin verdanken, aber die scheinen in der Minderheit zu sein. Denn immer wieder und neuerdings fast zwanghaft im Spiegel inszenieren Frauen ihren Aufbruch mit lautstarker Negation von dessen Wurzeln. So heißt es in "Weder Muse …": "Nachdem Alice Schwarzer sich zur Wortführerin der Frauenbewegung gemacht hatte, spielten die Vorstellungen (…) der Mütter keine große Rolle mehr, weil Schwarzer ein Leben ohne Kinder führte. (…) Die jungen Frauen lehnen Schwarzer auch deshalb ab. Ihrer Hybris (…) wollen sich die selbstbewussten Dreißigjährigen nicht mehr unterordnen."

Liebe Frau Dürr und Co, Sie sind sicher zu jung, um damals dabei gewesen zu sein, aber können Sie sich vorstellen, dass eine so vitale und massenhafte Bewegung wie der feministische Aufbruch der 70er Jahre sich geschlossen der "Hybris" einer kinderlosen Wortführerin untergeordnet hätte? Die alte Frauenbewegung war ein sehr bunter Haufen, und es waren viele junge Mütter dabei, die sich schon damals keinen Deut darum scherten, wenn Alice Schwarzer Beauvoir zitierte, die fand, frau solle sich vor der "Kinderfalle" hüten. Die alte Frauenbewegung war ausgesprochen vielstimmig, sie war – als Erbin der Studentenbewegung – antiautoritär und interessierte sich, was Schwarzer betrifft, für deren publizistische Stärken, anstatt auf ihre Schwächen oder Leerstellen (keine Kinder) zu starren. Es gab genug andere Emanzen, die sich um die Belange der Mütter und Kinder kümmerten, die Verfasserin dieses Artikels eingeschlossen.

Im Übrigen war die neue Frauenbewegung hedonistisch, experimentierfreudig und hocherotisch. Nie zuvor und nie mehr danach hat frau als bewegte Frau das Leben, fern jeglicher Verbissenheit, so sehr als Fest empfunden. Freiheit nämlich – und die ersten Keime sprossen damals – ist, wenn sie greifbar ist, ein Hochgenuss.

Die Frauenbewegung war aber noch etwas anderes: Sie war kämpferisch. Und dieses Attribut macht sie, vermute ich, den jungen Frauen von heute verdächtig. Wir leben in einer Epoche der Kompromisse, der Verständigung und der psychologisch fundierten Gesprächskultur, und jetzt haben wir auch noch eine Große Koalition. Da wirken Ohne-wenn-und-aber-Positionen leicht gestrig. Alice Schwarzer wird vermutlich nicht wegen ihrer Themen immer wieder als "veraltet" abgelehnt, sondern weil sie eine kompromisslose Denkerin und resolute Polemikerin war und ist.

Man bevorzugt heute die ausgestreckte Hand und verurteilt die Faust. Das geht im Sinne der Demokratie, die auf den Kompromiss angewiesen ist, auch in Ordnung. Nicht aber im Sinne sozialer Bewegungen, zu denen der Feminismus zählt. Die Arbeiterbewegung oder was von ihr übrig ist, hat dasselbe Problem, ganz zu schweigen von der Umweltbewegung. Die alten Gewerkschaften wirken "verbissen", ebenso die Fundis bei den Grünen, man kann doch heute über alles reden.

Wirklich? Es sieht so aus, als handele es sich nur um ein ästhetisches Problem: Der offensive Ton des Extrems ist out, in ist die Charmeoffensive. Man möchte vor allem cool bleiben. Das aber ist bei Diskursen, die Machtfragen benennen, nicht möglich. Da muss man auch mal auf den Tisch hauen. (Die jüngsten Streiks im Öffentlichen Dienst zeigen, dass diese Botschaft sich wieder Geltung verschafft.)

Die "junge" angebliche Frauenbewegung oder die "neu"-feministisch inspirierten Autorinnen werden es schon noch merken: Parteilichkeit im Sinne von sturem Festhalten an Essentials wie Quoten, geschlechtsneutrale Stellenausschreibungen, gleichem Lohn, Väterurlaub und was der klassischen Postulate mehr sind, bleibt unabdingbar – wenn Gleichheit konkret werden soll. Und erst wenn sie erreicht ist, kann die Verschiedenheit ihren Charme entfalten. Ohne Kampf geht das nicht ab.

Anscheinend muss jede Mädchen-Generation diesen Zusammenhang im Zehn-Jahres-Rhythmus neu lernen, wenn sie mit ihrem "anderen", ihrem coolen Feminismus auf die Nase gefallen ist. So wird es auch mit den so genannten Alpha-Mädchen kommen, die der Spiegel schon vor Jahresfrist gegen den Alt-Feminismus in Stellung brachte (und nach denen sich diese "neuen Feministinnen" benannt haben).

Zu großen Anteilen ist der Widerwille, der den jungen Frauen in Sachen Altfeminismus unterstellt oder abverlangt wird, ein Medienhype. Wie lustig ist es doch, Schwarzer alt aussehen zu lassen, während die Nachgeborenen "ungewohnt ehrliche Weiblichkeitsbilder" (Spiegel) entwerfen. Genau das taten die "Altfeministinnen" zu ihrer Zeit auch – und manche, darunter die gescholtene Schwarzer, tun es noch. Die Jungen können das alles abwehren und abwerten, wie der Spiegel empfiehlt (die Spiegel-Männer werden sich ins Fäustchen lachen über so naive Kolleginnen). Sie können aber auch heilfroh sein, dass sie etwas besitzen, was den Alten fehlte: eine Tradition, die von Erfolgen sprechen kann und deren Schöpferinnen befragbar sind.

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