Youtube ist super!

Ist Youtube die neue "Bravo"? - Foto: Westend61/imago images
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Meine neunjährige Tochter ist empört: Ihr Lehrer habe gesagt, Mädchen seien fleißiger als Jungs, und würden sich nicht ständig während des Unterrichts prügeln! Sie habe ihm gesagt, dass das voll sexistisch sei.

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Ich lobe sie, obwohl ich den Lehrer auch ein bisschen verteidigen muss. Schließlich sind Mädchen tatsächlich braver und fleißiger – das zeigen jedenfalls etliche Studien. Ob er das so sagen sollte, ist ein anderes Thema. Vor allem interessiert mich aber ihr Gebrauch des Worts „sexistisch“. Was sie denn darunter verstehe? Sauber definiert sie: „Wenn man sagt: Mädchen sind so und Jungs sind so. Also zum Beispiel: Jungs spielen gern Fußball, Mädchen gehen gern shoppen. Das ist falsch. Denn jeder Mensch ist anders.“ Wow, denke ich. Das hat sie nicht von mir.

Ich finde, Kinder sollen im Wald spielen

Natürlich reden wir über Ungerechtigkeiten. Ich habe den Plattenspieler repariert und die alten Grips-Theater-Platten aus den 1970ern rausgeholt mit so schönen Liedern wie „Wer sagt, dass Mädchen dümmer sind, der spinnt!“ Aber den Begriff „sexistisch“ hielt ich bisher für nicht kindgerecht. Naiv frage ich: „Hast du das in der Schule gelernt?“

„Nö, auf Youtube!“ Ich bin baff. Seit meine Kinder Tablets haben, halte ich Youtube für ein Grundübel der Menschheit. Wenn man sie nicht ständig ermahnt, sitzen sie stundenlang irgendwo herum und schauen sich an, wie andere Menschen Computerspiele spielen. Ich finde, Kinder sollten im Wald spielen. Aber die Wirklichkeit macht bescheiden: „Spielt doch wenigstens mal selber ein Computerspiel.“ Ich wäre nie darauf gekommen, dass Kinder auf Youtube etwas Vernünftiges lernen können.

Ein paar Tage später klärt mich meine große Tochter auf. Eigentlich wollte ich nur mal nachhaken, ob das mit der Aufklärung in der Schule auch so klappt, immerhin ist sie zwölf. Wie umfassend heute aufgeklärt wird, entnehme ich den Protesten der AfD dagegen, dass Grundschüler etwas über Analverkehr lernen. Meine Tochter erzählt, eine Mitschülerin habe gefragt, ob man davon schwanger werden könne. Die Lehrerin habe das dann erklärt. „Das ist toll, dass ihr solche Fragen in der Schule besprecht“, sage ich. „Wir haben über sowas nur in der Bravo gelesen.“ „Die liest man eigentlich nicht“, bescheidet mich meine Tochter. „Die ist voll sexistisch.“

Ich werde augenblicklich zum Fan
von Rick

Und nun muss ich Youtube gucken. Die Comedy heißt „Wenn Bäume für Sexismus sterben müssen“. Der für den allgemeinen Geschmack vielleicht etwas zu zottelige und etwas zu dickliche, aber durchaus charmante Youtuber Rick startet stark: „Fickt euch, ihr sexistischen Drecksschweine!“ Das geht an die Redaktion von Bravo.

Dann hält Rick ein Cover von Bravo Girl in die Kamera. Angepriesen werden darauf Beauty-Tipps. Der junge Mann legt los wie eine professionelle Feministin. Zunächst liest er die Modetipps vor. Da erklären Jungs, wie sie gern hätten, dass Mädchen sich anziehen. Rick erklärt, was der Haken ist: „Nicht ihr sollt euch darin wohlfühlen, sondern die Jungs sollen euch heiß finden.“ Schlankheitstipps, Pflegemittel – alles zieht Rick durch den Kakao. Sein Rat: „Hast du Akne? Nein? Dann brauchst du nichts davon.“

Sodann kommt Rick zu der „allergrößten Kacke“. Das sind „10 Sätze, die wir gern von Jungs hören würden“. Rick findet das so Kacke, dass er fratze-ziehend Stinkefinger in alle Richtungen streckt. Der erste Satz, den Mädchen angeblich gern hören würden, lautet „Ich verzichte heute mal auf Fußballschauen und wir gehen zusammen shoppen.“ Sein Kommentar: „Natürlich: Alle Jungen mögen Fußball und alle Mädchen wollen unbedingt shoppen gehen. Was ist das für eine sexistische Scheiße?“

Aha. Daher hat die Kleine ihre präzise Definition.

Ich werde augenblicklich zum Fan und abonniere Ricks-Kanal.

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