Nicht hart genug?

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Ihren Namen muss man gar nicht mehr nennen. Die Anhänger reden einfach nur von „ihr“, die Gegner nennen sie mit spitzen Lippen „diese Frau“. Zipi Livni, Israels Außenministerin und stellvertretende Regierungschefin, ist derzeit die populärste Politikerin des Landes – und demnächst vielleicht die neue Premierministerin. Der von Korruptionsvorwürfen geplagte Ehud Olmert hat seinen Rücktritt schon angekündigt. Dann hätte „sie“ die große Chance, als zweite Frau nach Golda Meïr Israel zu regieren.

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Livni hat viele Gegner. Sie mag ja als integer, intelligent und sauber gelten. Aber sie sei zögerlich, unentschieden und feige, heißt es. Gerade gut genug, „um einen Frauenverband zu leiten“, tönte ein Kommentator. „Nicht hart und macht erfahren genug“ für einen Staat, der sich im Dauerkriegszustand gegen Hamas und Hisbollah befindet.

Doch laut Umfragen erwartet eine Mehrheit von 40 Prozent vom neuen Premierminister vor allem einen „einwandfreien Charakter“. Erst an zweiter Stelle müsse er – oder sie – fähig sein, die Sicherheit des Staates zu garantieren und den Frieden voranzubringen.

Vor diesem Hintergrund hätte Livni gute Karten. Es ist gerade ihre Reputation als „saubere Politikerin“, die die gelernte Juristin heute wie eine Lichtgestalt neben dem der Korrup tion beschuldigten Ehud Olmert erscheinen lässt.

Mitte August meldete sich überraschend Ehud Barak zu Wort, der Chef der linken Arbeitspartei, die der Koalitionspartner von Livnis konservativer Kadima ist. Er erklärte öffentlich, der zukünftige Regierungschef müsse über „militärische Erfahrungen“ verfügen – und stützt damit den blassen und nicht sehr beliebten Gegenkandidaten von Livni, Ex-Armeechef Schaul Mofas. Tut Barak das aus eigener chauvinistischer Überzeugung? Oder mit Blick auf die ultraorthodoxe Schas-Partei, auf deren Stimmen die neue Regierung vermutlich angewiesen sein wird? Für Schas sind Frauen in der Politik tabu und Homosexuelle verantwortlich für das letzte Erdbeben.

Anders als Olmert und ihr einstiger politischer Ziehvater Ariel ist Zipi Livni erst vor zwölf Jahren in die Politik eingestiegen. Das Etikett der vom politischen Sumpf unberührten Außenseiterin hat sie bis heute. Die lasse sich nicht einmal auf einen Teller Kichererbsenbrei einladen, sagt man über die Politikerin, die phasenweise drei Ministerressorts gleichzeitig vorstand: Außenpolitik, Justiz und Einwanderung.

Ob jemand allerdings tatsächlich das Zeug zu einem der wohl schwierigsten politischen Ämter der Welt hat, wird in Israel letztendlich wohl doch am Verhalten in Kriegs- und Krisenzeiten gemessen, die hier immer noch eine andere Relevanz haben als anderswo. Israels jüngster Krieg endete im Sommer 2006. Livni hatte sich damals in weiser Voraussicht des herannahenden Debakels schon nach zwölf Kriegstagen für Verhandlungen ausgesprochen. Daraufhin war sie von Olmert in die Schranken gewiesen und bei Konsultationen zwischen Militärführung und Regierung einfach übergangen worden.

Ganz offensichtlich arbeiten ihre Berater an diesem „Makel“. Es ist wohl kein Zufall, dass die Öffentlichkeit vor einigen Monaten erstmals (via Sunday Times) Genaueres über Livnis Vergangenheit beim legendären Geheimdienst Mossad erfahren hat. Während ihrer vierjährigen Tätigkeit – im Alter von 22 bis 26 – sei sie kein Büromädchen gewesen, wurde da berichtet, sondern habe sich von Paris aus aktiv an der Jagd auf palästinensische Terroristen beteiligt. Diese biografischen Details sollen ihr nicht nur Killerinstinkt bescheinigen. Sie sollen ihr auch helfen, sich später als Premier unter lauter Männern durchzusetzen.

Inmitten dieser Image-Kampagnen geht beinahe unter, dass Livni in den vergangenen Jahren wie kaum eine andere Persönlichkeit – männlich oder weiblich – die politische Landschaft Israels geprägt hat. Sie war es, die Ariel Sharon zum Paukenschlag gedrängt hatte: dem Austritt aus dem rechten Likud und der Gründung der Kadima als neuer Zentrumspartei. Sie war es, die die Grundsätze der Partei geschrieben und unermüdlich auf allen Kanälen und Frequenzen erläutert hat: Israel müsse einen palästinensischen Staat zulassen, denn nur so ließe sich ein jüdischer und demokratischer Staat erhalten. Ohne sie wäre der Abzug aus Gaza im Sommer 2005 womöglich gar nicht zustande gekommen.

Viele alte Weggefährten haben Livni, die aus einem ultrarechten Elternhaus stammt, das bis heute nicht verziehen. Beide Eltern gehörten der Untergrundbewegung Irgun an, die mit allen Mitteln gegen die britische Besatzungsmacht kämpfte. Ihr Vater Eitan, der als Sechsjähriger mit seinen Eltern, überzeugte Zionisten, ins gelobte Land kam, saß nach der Staatsgründung für die Herutpartei in der Knesset. Daraus ging später der Likud hervor.

„Territoriale Kompromisse im Gegenzug für Frieden“ – das war ein Gedanke, der im Haus der Livnis gar nicht erst diskutiert wurde. Zipi Livni wuchs mit dieser Ideologie in einer Zeit auf, da die Arbeitspartei die politische und kulturelle Lufthoheit hatte. Zogen am 1. Mai alle Kinder mit roten Fahnen durch die Straßen, hielt sie die israelische Flagge hoch. Es war, politisch gesehen, eine Kindheit als Außenseiterin.

Die vielen Anfeindungen hinterließen Spuren bei ihr. Eine Zeitlang verkroch sie sich regelrecht. Aber Zipi Livni weiß: Wer Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt erhebt, muss mit solchen Hieben fertig werden.

Über ihr heutiges Privatleben, zu dem ein Ehemann und zwei fast erwachsene Söhne gehören, dringt nichts an die Öffentlichkeit. Persönliches, sagte sie einmal einem Kollegen im Außenministerium, bespreche sie mit der Familie.

Um sich zu entspannen, macht sie Musik: sie trommelt.

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