Lieber schwuler Freund!

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Ein paar Jahre ist es gut gegangen mit uns. Wir haben uns zusammengerauft und ein paar wichtige Sachen zusammen durchgekriegt, die Homo-Ehe zum Beispiel oder das Antidiskriminierungsgesetz. Wir hatten eine Art friedliche Koexistenz - über die Dinge, die uns trennen oder über die wir unterschiedlicher Meinung sind, haben wir geschwiegen. Du hast dich zwar immer noch gewundert, warum wir Frauen so oft unendlich lang Rotwein trinken und bei Kerzenschein reden, bevor wir miteinander ins Bett gehen. Und ich blieb irritiert darüber, wie und warum du auf Klos und hinter Büschen mit irgendwelchen Typen vögelst, die du nicht kennst. Aber egal. Dein Ding.
Ab und zu war ich sauer, weil immer nur du in den Medien vorkommst. Die "Schwulenehe", die "Schwulenproteste" in Russland, die schwulen Bürgermeister von Hamburg, Berlin, Paris. Ihr als hübsche, hippe, gestylte Jungs. Und im Krimi ist der Mörder immer noch die Lesbe. Aber gut. Die Klischees und unsere schlechte PR in eigener Sache konnte ich nicht dir persönlich verübeln.
Unser einvernehmliches Schweigen darüber, dass ihr Männer seid und wir Frauen - was durch die einen oder anderen Crossdresser und Genderswitcherinnen immer mal wieder verwischt wird - und darüber, was das in einer immer noch patriarchalen Gesellschaft bedeutet, funktionierte so lange, wie es aufwärts ging mit der Sache der Frauen.
So lange auch wir in der Politik, an den Unis und sogar in der Wirtschaft zunehmend Fuß fassten, konnten wir die fundamentalen Streitigkeiten der 70er ruhen lassen, an deren Ende sich schon damals die zwischen Frauen- und Schwulenbewegung hin- und hergerissenen Lesben schließlich für ihre (weiblichen) Schwestern entschieden hatten. Mit gutem Grund.
Jetzt stellen wir an den Unis die Mehrheit, haben eine Kanzlerin und eine Familienministerin, die nichts Geringeres einfordert als einen radikalen Rollenwechsel der Männer. Und wie das immer so ist, wenn einer gesellschaftlichen Gruppe der Stuhl unterm Hintern weggezogen wird - in diesem Fall einer sehr mächtigen: den Männern - folgt der Backlash auf dem Fuße. Und das ist nun der Moment, lieber schwuler Freund, wo du Farbe bekennen musst. Und das auf einem Feld, dem du, aus naheliegenden Gründen, sehr ambivalent gegenüberstehst: auf dem der Prostitution und der Pornografie.
Uns macht gerade eine zunehmende öffentliche Degradierung und Entwürdigung von Frauen auf breiter Front zu schaffen. Das fängt an bei superangesagten Rap-Texten, in denen weibliche Wesen überhaupt nur noch als "Nutten" vorkommen, die man fickt und anschließend wegschmeißt wie ein Stück Scheiße. Es geht weiter mit dem Porno-Regal in deiner Stammvideothek, in dem nicht nur deine Schwulenpornos mit den gutgebauten Sahneschnitten stehen, sondern vor allem weibliche platinblonde Silikonmonster als "spermageile Bumslöcher" tituliert werden.
Ein Regal weiter dann Computerspiele namens "Rotlicht Tycoon", in denen derjenige Punkte kriegt, der seine Mädels am gewinnbringendsten auf den Strich schickt. Die Konsumenten all dessen können das Ganze dann in echt bei der Gang Bang Party im Pascha nachstellen. Mit "devoten" Frauen, die behaupten, dass sie drauf stehen. Oder sie können bei den Frauen mitmachen, die die ebenfalls sehr beliebten "Lesbenspiele" im Repertoire haben.
Die Frauen tun das freiwillig? Stimmt. Frauen tun vieles "freiwillig": Sie bleiben "freiwillig" jahrelang bei ihren prügelnden Ehemännern. Sie hungern sich "freiwillig" zu Tode. Das Ganze hat System, verstehst du?
Ich schildere das so ausführlich, weil ich nach den Ereignissen der letzten Wochen den Verdacht habe, dass du eben nicht verstehst, was es für mich heißt, wenn ich neuerdings in der Kölner U-Bahn ein Plakat sehe, auf dem das Logo des Sommerblut-Festivals in friedlicher Eintracht mit dem Pascha-Logo steht.
Mag sein, dass du Porno und Gang Bang geil findest. Als Fantasie, als Inszenierung, als was auch immer. Mag sein, dass der Schritt von deinem anonymen Sex im Park zum Bezahlen für eine "sexuelle Dienstleistung" nicht weit und dir daher nicht so fremd ist.
Aber worauf es jetzt ankommt bei der Frage, ob wir unsere friedliche Koexistenz aufrecht erhalten können, ist, dass du den Unterschied begreifst. Den Unterschied, den es macht, ob da zwischen zwei Gleichen gespielt wird oder ob es da ein Machtgefälle gibt. Den Unterschied, den es macht, ob du dich als ein Angehöriger des objektiv starken Geschlechts hingibst oder meinetwegen auch "unterwirfst" - oder ob das eine Frau tut, weil sie es schon immer tun musste. Das eine ist - im besten Fall - eine Erweiterung des Rollenspektrums. Das andere der Rückfall in die ohnehin vorgesehene und gelebte Demütigung.
Ist vielleicht zugegebenermaßen nicht ganz leicht für dich, weil du eben Anmache durch einen Mann als Rollenbruch goûtieren kannst und sie nie als aggressiven Akt erfahren musstest, der unschöne Folgen haben kann. Weil du vielleicht zu denen gehörst, bei denen ihre eigene Diskriminierungserfahrung zur "Toleranz" gegenüber allem und jedem geführt hat. Oder zu denen, die sich so ausschließlich in einer reinen Männerwelt bewegen, dass sie die Entwürdigung von Frauen nicht mehr interessiert.
Du, lieber schwuler Freund, musst dir jetzt überlegen, wo du dich verortest. Willst du dich wirklich auf die Seite deiner heterosexuellen Geschlechtsgenossen schlagen und uns in schöner Männereintracht Lustfeindlichkeit und Zickentum vorwerfen? Es täte mir Leid, wenn ich dich abschreiben müsste. Eigentlich auch für dich. Denn bisher konntest du auf mich zählen.

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Deine Chantal

EMMA Juli/August 2007
Artikel im EMMAonline-Forum diskutieren

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