EU-Sprache ist eine Zeitungsente

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Tatsache ist, dass der Europarat diese „durchgedrehte“ Forderung gar nicht ­gestellt hat. Vielmehr handelt es sich um frei erfundene Vorschriften, die der Schweizer Blick, das Pendant zur deutschen Bild-Zeitung, bereits im Juni dem Stadtrat von Bern unterstellt hatte: „Sprach-Irrsinn: Weder Vater noch Mutter – Beamte sollen künftig ‚das Elter‘ sagen“. Zahllose andere Blätter haben das dann im Sommer einfach nachgebetet. Sozusagen, um das Loch Ness zu stopfen. Und nun taucht das Sprachungeheuer wieder auf.

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Doch was hat der Berner Stadtrat mit dem Europarat zu tun? Gar nichts – außer dem Reizthema geschlechtergerechte Sprache. Der Stadtrat von Bern verabschiedete im Juni einen sehr vernünftigen Leitfaden gegen sexistischen Sprachgebrauch. Die Schweizer Boulevardpresse griff das Thema im Sommerloch dankbar auf: „Die ganze Schweiz lacht über den politisch korrekten Blödsinn“ (Blick). Der Köder wurde der LeserInnenschaft hingeworfen, und die reagierte prompt mit endlosen Kommentaren.

Die langjährige Schweizer National- und Europarätin und promovierte Germanistin Doris Stump ist in der Schweiz bekannt als engagierte Befürworterin einer geschlechtergerechten Sprache – und wurde ebenso prompt mit den „lächer­lichen Vorschlägen aus Bern“ assoziiert: „Diese SP-Frau hat uns den ‚Zebrastreifen‘ verordnet“ titelte das Boulevardblatt Blick. Dabei hatte sie an den Berner Empfehlungen gar nicht mitgewirkt. Wohl mitgestaltet, ja initiiert, hatte die Schweizerin die Europaratsdebatte über die ­„Bekämpfung sexistischer Stereotype in den Medien“.

Im März 2009 wurde ich als Expertin zur Anhörung nach Paris eingeladen, trug dort vor und hörte mir die erschütternden Vorträge der Expertinnen aus Frankreich, Belgien und Kanada an. Unsere Beiträge gingen in die in diesem Sommer verabschiedeten Empfehlungen ein (zu googeln unter „Resolution 1751“ und „Recommendation 1931“).

Die Resolution gegen den Sexismus in den Medien kam den Medien gerade recht zum Losprügeln. Da Doris Stump in den Empfehlungen als Initiatorin der Debatte genannt wurde, suchte mann im Internet und wurde sofort fündig: Hatte Stump doch schon im Juni mit ihren „hirnrissigen Sprachforderungen“ (die, wie gesagt niemand gestellt hatte) so schön Anstoß erregt. Das konnte mann doch nun einfach noch einmal auflegen.

Effektive Frauenpolitik erkennt frau am ­Geschrei der Männer – die Erkenntnis gilt nach wie vor. Die unflätigen Anwürfe der Presse wegen der „durchgedrehten EU-Sprachregelung“ stammen überwiegend von Männern. Der einzige vernünftige Artikel stammt von einer Frau: „Eine geschlechtsabstrakte Sprache schon ab dem Strampel­alter will der Europarat nicht durchsetzen. Ein bisschen mehr Bewusstsein für unsere Sprache schon.“ (Birgit Holzer in der ­Märkischen Allgemeinen).

Um herauszubekommen, wie Blick auf die Idee kam, die Wörter „Mutter“ und „Vater“ sollten offiziell durch „das Elter“ ersetzt werden, habe ich mir die Empfehlungen im Original angeschaut. Die ­Recherche war einfach, sie dauerte etwa zehn Minuten, denn die umstrittenen Empfehlungen stehen alle im Internet. 1. In dem kurzen „Sprachleitfaden: Geschlechtergerecht formulieren“ aus Bern kommt das Wort „Elter“ nicht vor. 2. Für diejenigen, die es genauer wissen wollen, gibt es eine Broschüre von 192 Seiten (zu googeln unter „Sprachleitfaden Bern“).

In der Broschüre werden viele linguistische Fachbegriffe anhand von Beispielen erläutert. So auch der Begriff „geschlechtsabstrakt“ (den ich übrigens 1980 erfunden habe): Als Beispiele werden in der Broschüre u.a. genannt: Person, Mitglied, Waise, Elternteil, Elter (mit Zusatzvermerk: selten). Auf der nächsten Seite heißt es: „Geschlechtsabstrakte Formen sind zurückhaltend zu verwenden, denn im Gegensatz zu Paarformen wirken sie oft unpersönlich und distanzierend“. Mit anderen Worten: das Wort „Elter“ wird nicht nur nicht vorgeschrieben, es wird noch nicht einmal empfohlen, ja, von ­seinem Gebrauch wird sogar abgeraten.

Wie mann darin eine Vorschrift erkennen konnte, die Wörter „Mutter“ und „Vater“ zugunsten von „Elter“ abzuschaffen, ist unerfindlich. Es kann sich eigentlich nur um ein böswilliges Missverständnis und gezielte Desinformation handeln. Hetze gegen Feministinnen ist ein beliebter Sport der Männerpresse. Das Volk will vom Rest der Empfehlungen, in die jahrelange empirische Forschung und komplexe Erwägungen internationaler Expertinnen eingegangen sind, dann gar nichts mehr wissen.  Was mehr als schade ist, denn die Empfehlungen sollen die Lage der Menschen verbessern und uns aus unseren Geschlechtsrollen-Gefängnissen heraushelfen.

Erarbeitet wurden Empfehlungen, wie der Sexismus der Medien zu bekämpfen wäre - kein Wunder, dass die männerdominierten Medien um sich schlagen und den Fortschritt im Keim ersticken wollen. Dass die Medien entschlossenen feministischen Widerstand brauchen, haben sie wieder einmal bewiesen.

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