Berufsnetzwerke: Give first, then take!

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Hier können Frauen sich Rat holen -  und Rat geben. Femity-net ist das größte Community-Portal für berufstätige Frauen.

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Anne de Vries stand nahe am Abgrund. Die Auftragslage ihres Design- und Werbestudios war mau. Ihre finanziellen Ressourcen schmolzen dahin. Wie neue Kunden finden, draußen auf dem Land, als Einzelkämpferin? Eines war Anne sofort klar: Flennen hilft nicht, da muss ein professionelles Krisenmanagement her. Und zwar schnell.

Sie wandte sich an das Forum von femity.net, schilderte ihre Lage und fragte die Mitglieder im Netzwerk: "Habt ihr einen Rat, bevor ich untergehe?" Sie hatten. Binnen Stunden. Zum Beispiel Unternehmensprofil schärfen, Kontakte aufbauen, sich mit anderen zusammenschließen, und eine größere Firma gründen. Es gab Tipps für "Gelddiäten", Akquisestrategien von Branchenprofis und viel Zuspruch.

Die Designerin meisterte ihre berufliche Krise. "Ihr glaubt nicht, wie sehr ihr mir geholfen habt!" Und so geht es seit einem dreiviertel Jahr recht gut. Inzwischen tun sich sogar neue Lösungen auf - noch nicht in Sack und Tüten - aber ein dicker Lichtblick. "Ohne Hilfe des Netzwerkes hätte ich es wohl nicht geschafft", sagt Anne. "Diese geballte Ladung an Fachwissen und Erfahrung bekommt man alleine einfach nicht hin."

femity.net ist das größte Community-Portal für berufstätige Frauen im deutschsprachigen Raum. Das Netzwerk startete im Oktober 2001 als privat betriebene Community-Plattform. Mittlerweile gibt es 11.586 registrierte Mitglieder, die sich in 16 verschiedenen Foren zu Job & Karriere, Unternehmensführung, Worklife-Balance oder der so genannten Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegenseitig unterstützen. "Emanzipation auf pragmatischer Ebene" nennt das Pia Bohlen-Mayen, Initiatorin des Projekts.

Mit einem 20-köpfigen Team organisiert und moderiert sie die Plattform ehrenamtlich. Die Hauptpfeiler von femity.net sind die verschiedenen Fachforen, die Mitgliederprofile der Frauen und deren privates Postfach, über das sie kommunizieren. "Unser Ansatz ist altruistisch: Nicht mit seinem Wissen knausern, sondern offenen Austausch und gegenseitige Unterstützung kultivieren. Das ist in der Tat genau das Gegenteil dessen, was man in vielen männerdominierten Netzwerken vorfindet."

Ansonsten gilt bei femity.net: Handeln statt klagen, nach vorn blicken - nicht nach hinten. "In Deutschlands Foren wird gern gejammert, dabei bringt das niemanden weiter. Mit einem konstruktiven Community-Geist wollen wir etwas dagegen setzen", erklärt Pia Bohlen-Mayen, "Und wir dulden keine Zickenclans: Wir wollen weiterkommen, Führungspositionen besetzen, erfolgreich sein!" In der Tat zahlt sich geschicktes Netzwerken aus.

Aus den Kontakten im Netz ergeben sich neue Aufträge, Jobs und - Freundschaften. Susanne Adler, Heidi Schapke und Susanna Künzl fanden über die Webgrrls zueinander und wurden Geschäftspartnerinnen. Sie vereinten ihr Expertinnenwissen in Grafik, Öffentlichkeitsarbeit, Konzept und Programmierung zu einer virtuellen Kooperation.

"Wenn man als Freelancer allein arbeitet, kommt man nicht an die großen, finanzkräftigen Kunden heran", erklärt Adler, "zusammen ist man stärker". Dass die drei Frauen an unterschiedlichen Wohn- und Arbeitsplätzen wirken, ist kein Hindernis. Alle paar Monate treffen sie sich live, ansonsten kommunizieren die Unternehmerinnen per Skype, Mail oder Telefon.

Susanne Adler hatte den Weg in die Selbstständigkeit bewusst geplant. "Ich hatte zwar eine Führungsposition in der Verlagsbranche. Aber ich wollte mich nicht in die linientreue Männergesellschaft einordnen." Immer, wenn sie mit Frauen arbeitete, merkte Susanne Adler, wie effektiv die Arbeit vorangetrieben wurde, während sie Männer beobachtete, die "nutzlos als Pfau herumstolzierten. Frauen arbeiten an Projekten, Männer an Karrieren."

Die drei Geschäftsfrauen sind nach wie vor bei den Webgrrls aktiv. 1997 gegründet, sind die Webgrrls das erste Berufsnetzwerk für Frauen, das seine Aktivitäten schwerpunktmäßig im virtuellen Raum entfaltete. Zielgruppe sind weibliche Fach- und Führungskräfte, die in Neuen Medien und Technologiebranchen arbeiten. Der Austausch von Fachkenntnissen und Berufserfahrung erfolgt über Mailinglisten, die das Gerüst des Beziehungsgeflechtes bilden.

Typisches Beispiel: Eine Webdesignerin muss am nächsten Tag ihre frisch programmierte Internetseite vorstellen. Leider gibt es einen technischen Defekt. Das Ding läuft nicht richtig. Sie schreibt eine Anfrage in die Liste, die alle Mitglieder als E-Mail erhalten. Wer Rat weiß, antwortet ihr direkt. Und damit ist die Präsentation gerettet. Als Dankeschön schreibt die Webdesignerin an die gesamte Mitgliederliste eine Zusammenfassung aller hilfreichen Hinweise und Lösungsansätze, damit die gesamte Community vom Know-How profitieren kann.

"Give first and then take!" ist das Motto aller erfolgreichen Frauennetzwerke. Der Konkurrenzgedanke ist gering, der Wille zur gegenseitigen Förderung groß. "Es sind die gemeinsamen Arbeits- und Bildungsräume, der große Wissenstransfer auf Tauschbasis, der die Netzwerke so erfolgreich macht", erklärt Bettina Duval, Diplompsychologin und Medienwissenschaftlerin an der Universität Klagenfurt. "Selbst Berufsanfängerinnen können so auf Fachwissen zurückgreifen, das andere erst mit jahrelanger Berufserfahrung erwerben können."

Bettina Duval arbeitet gerade an ihrer Dissertation über  Bildungsräume durch virtuelle Frauennetzwerke. Das Kommunikationsverhalten dieser Initiativen unterscheide sich wesentlich von den männergeprägten Berufskontaktbörsen wie Xing. "In Xing geht es hauptsächlich um Kontakte, diese sollen möglichst zahlreich und nützlich sein. In Frauennetzwerken geht es dagegen um Wissen, Qualität und Empowerment", erklärt Bettina Duval. "Männer knüpfen Seilschaften, Frauen knüpfen Netzwerke".

Der Unterschied: Netzwerke funktionieren auf gleicher Augenhöhe, Seilschaften schaffen Hierarchien. Auch sei die Kommunikation unter den Frauen tiefgründiger und es werde intensiver auf Probleme anderer eingegangen. Es ist verpönt, über vermeintliche Anfängerfragen zu lästern, um sich zu profilieren. Und die Selbstreinigungskräfte gegen Schnorrerinnen, die niemals andere unterstützen und selbst nur konsumieren, sind erstaunlich hoch, wie Duval beobachtet.

Stabilität gewinnen die Netzwerke insbesondere dann, wenn sie auch außerhalb des virtuellen Raumes lebendig sind. Wer in eine andere Stadt umzieht, nimmt nicht nur seinen virtuellen Freundes- und Kolleginnenkreis mit. Die Mitglieder aus der Region treffen sich auch persönlich zu Stammtischen. Netzwerkerinnen stellen sich ihre Internetplattform wie eine Stadt vor, in der nur Frauen leben.

Eine Stadt mit Privathäusern und Büros, mit Postamt und Dorfbrunnen, mit Zeitungen, Bildungsstätten, Regeln und Verantwortlichen. Eine Stadt gebaut aus Bits und Bytes, geschaffen von Frauen, die etwas bewegen wollen.
EMMA 6/2007
www.webgrrls.de

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