Sie ist so frei

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21 Jahre nach ihrem Tod richtet Bern seiner Künstlerin, eine der ganz Großen des 20. Jahrhunderts, eine Retrospektive aus.

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Endlich! Die Freiheit! Die Harpunen fliegen. Der Regenbogen lagert in den Straßen." Meret Oppenheim ist eine Legende. Ob im jugendlichen Übermut oder im Alter faszinierte sie als Person und als Erscheinung und wurde – insbesondere in den 80er Jahren – für viele Frauen zum Vorbild. Das Zitat stammt von der Künstlerin und ist Teil eines wahren Märchens, das man immer wieder gerne hört. Es ist die Geschichte von der jungen Frau, die 1932, erst achtzehnjährig, mit ihrer Freundin Irène Zurkinden von Basel nach Paris aufbrach, um Künstlerin zu werden. Dass sie dort so berühmten Künstlern wie Man Ray, Max Ernst oder Picasso den Kopf verdrehte, ist noch lange nicht die Pointe.
Das Objekt 'Déjeuner en fourrure' – die Tasse, die sie mit Pelz bezog – sicherte Oppenheim quasi über Nacht einen Ehrenplatz in der Kunstgeschichte. Um sich finanziell über Wasser zu halten, hatte die junge Künstlerin begonnen, Schmuck zu entwerfen, den sie auch selbst trug. Zum Beispiel ein zu einem Armreifen gebogenes Metallrohr, das sie mit Pelz bezogen hatte. Das exzentrische Artefakt – man bedenke: Die Geschichte ereignet sich 1936 – verleitete Picasso im 'Café de Flore' zur Bemerkung, dass man eigentlich alles mit Pelz beziehen könne. "Ja", soll Oppenheim geantwortet haben, "auch diese Kaffeetasse". Ein an sich banaler Einfall, den sie einige Zeit später, als André Breton sie aufforderte, ein Objekt zu einer Ausstellung in der Galerie Charles Ratton beizusteuern, in die Tat umsetzte.
Dass aus Oppenheim statt einem schnell verglühenden Kunststernchen doch noch eine große Künstlerin wurde, ist ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken. Die Rolle der kreativen Muse, auf die ihre Kollegen sie reduzierten, war ihr zu wenig. So verließ sie den um 22 Jahre älteren Max Ernst, mit dem sie in Paris für kurze Zeit liiert war und zog sich, noch vor Ausbruch des Krieges, in ihre Heimatstadt Basel zurück. Dort durchstand sie eine harte Zeit, die von Depressionen und einer heftigen Schaffenskrise gezeichnet war. 41-jährig startete sie jedoch nochmals so richtig durch.
Nach einem frühen Erfolg können gerade bei Künstlerinnen Jahre oder gar Jahrzehnte vergehen, bis die eigene Position gefestigt ist. Die späte Karriere der fast gleichaltrigen Louise Bourgeois ist eine auffällige Parallele, deren Anfänge ebenfalls im Surrealismus wurzeln. "Bei den Künstlern ist man es gewöhnt, dass sie ein Leben führen, wie es ihnen passt – und die Bürger drücken ein Auge zu. Wenn aber eine Frau das Gleiche tut, dann sperren sie alle Augen auf", kommentierte Oppenheim im Rückblick. Gerade für Künstlerinnen gelte: "Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen." Was Meret Oppenheim mit dieser Freiheit alles anstellte, ist jetzt im Kunstmuseum Bern zu sehen.

Katalog hrsg. von Therese Bhattacharya-Stettler und Matthias Frehner (Hatje/Cantz, 39.80 Euro)

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