Streit um die Sicherungsverwahrung

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Friedhelm B. ist frei. Viermal war er seit 1970 verurteilt worden, das erste Mal, weil er ein Kind missbraucht und ermordet hatte. Er bekam zehn Jahre Haft. Gleich nach seiner Entlassung: Gefährliche Körperverletzung, drei Jahre. Es folgten: Gefährliche Körperverletzung, versuchte Vergewaltigung, versuchter Totschlag. Das vierte Gericht verhängte 1991 Sicherungsverwahrung.

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Karlheinz F. ist frei. Auch er wurde viermal verurteilt, zu insgesamt 14 Jahren und sechs Monaten Haft. Die erste Verurteilung 1973 wegen sexuellen Missbrauchs, die letzte wegen gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung. Das vierte Gericht verhängte 1981 Sicherungsverwahrung.

Dass die beiden notorischen Wiederholungstäter vor einigen Wochen entlassen wurden, haben sie Reinhard M. zu verdanken. Auch er ist seit Ende Juni ein freier Mann und lebt in Marburg. Der 53-Jährige hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) in Straßburg seine Entlassung aus der Sicherungsverwahrung erklagt. Und nicht nur seine. Rund 15 Männer, die von Gutachtern nach wie vor für gefährlich gehalten werden – andernfalls hätte man ihre Sicherungsverwahrung schon aufgehoben – sind nach dem Spruch aus Straßburg bereits freigelassen worden. Und wäre es nach Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegangen, hätte sie sich in die Entlassung weiterer Serientäter in Sicherungsverwahrung – rund 80 in diesem Jahr, mehrere hundert in den nächsten Jahren – gefügt. Glücklicherweise intervenierten ihre konservativen KabinettskollegInnen und JustizministerInnen der Länder.

Die Vorgeschichte: M. war 1986 wegen versuchten Mordes an einer Frau vom Landgericht Marburg zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Weil er vorher bereits mehrfach wegen anderer Gewaltverbrechen im Gefängnis gesessen hatte und als Wiederholungstäter galt, verhängte das Gericht Sicherungsverwahrung. Nach der damaligen Gesetzeslage betrug diese zehn Jahre. Anschließend wurden Straftäter automatisch entlassen, unabhängig davon, ob Gutachter sie noch für gefährlich hielten oder nicht. Diese untragbare Gesetzeslücke behob 1998 die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Seither ist die Sicherungsverwahrung unbegrenzt. Alle zwei Jahre werden die Täter gutachterlich überprüft und gegebenenfalls entlassen, falls man ihnen – oft genug irrtümlich – eine gute Prognose ausstellt.

Reinhard M. war noch nach altem Recht verurteilt worden. Im Jahr 2001 hatte er die zehn Jahre Sicherungsverwahrung abgesessen und ging davon aus, jetzt entlassen zu werden. Aber das Landgericht Marburg lehnte ab und verwies auf das „gewalttätige und aggressive Verhalten des Beschwerdeführers in der Haft“. Reinhard M. klagte. Aber das Bundesverfassungsgericht erklärte: Zwar gelte in Deutschland der Grundsatz, dass ein Täter zu einer Strafe nur nach einem Gesetz verurteilt werden könne, das zum Zeitpunkt seiner Straftat galt. Aber: Die Sicherungsverwahrung sei eben keine Strafe, sondern eine „Maßnahme zur Besserung und Sicherung“.

Straßburg sah das anders. Die RichterInnen erklärten: Die Sicherungsverwahrung, so wie sie in Deutschland gestaltet ist, sei sehr wohl als Strafe zu bewerten. Die Haftbedingungen unterschieden sich nicht grundsätzlich.

Jetzt schlugen die zuständigen MinisterInnen verschiedene Strategien ein. Während die Bundesjustizministerin ein neues Gesetz zur Sicherungsverwahrung für die Zukunft plante und die zu entlassenden „Altfälle“ ad acta legte, gaben sich die konservativen KollegInnen noch nicht geschlagen. Ihr Konzept: Die Sicherungsverwahrung so schnell wie möglich so umgestalten, dass sie den Anforderungen des Straßburger Gerichtshofs genügt. Also: Gesonderte Orte „mit therapeutischer Betreuung und wohnlichen Verhältnissen“ zu schaffen. Dann, so erwartet nicht nur der niedersächsische Justizminister Bernd Busemann, werde „Karlsruhe die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach wie vor für gerechtfertigt halten“.

Nach wochenlangem Koalitions-Gerangel – in dessen Verlauf weitere Wiederholungstäter entlassen wurden – einigten sich Liberale und Konservative schließlich auf eine rasche Neugestaltung der Sicherungsverwahrung.

Dafür rang Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger der CDU ein Zugeständnis ab: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung soll abgeschafft werden. Zwar will die Justizministerin, dass Gerichte künftig auch schon Ersttäter zu Sicherungsverwahrung verurteilen können. Außerdem sollen RichterInnen öfter als bisher die “vorbehaltene Sicherungsverwahrung“ aussprechen, also die Möglichkeit offen lassen, dass ein Täter während seiner Haft auf seine Gefährlichkeit geprüft wird. Aber: Verhängt das Gericht diesen „Vorbehalt“ nicht, gibt es ohne die „nachträgliche Sicherungsverwahrung“ später keine Chance mehr, den Täter unter Verschluss zu behalten.

„Ungeheuerlich“ lautet das Urteil der bayerischen Justiministerin Beate Merk (CSU). „Wir haben immer wieder Fälle, in denen eine Persönlichkeitsstörung erst in der Haft offenbar wird.“ Die Hoffnung, dass die Justizministerin auch hier noch einlenkt, ist vermutlich unbegründet.
 

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