Vorurteile: Wie wär's mit Wahrheiten?

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Zwei Forscherinnen haben sich die gängigen Klischees genauer angesehen – und siehe da: Sie sind unhaltbar! Sechs Argumente für die nächste Party, Taxifahrt oder Ehekrise.

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Frauen können nicht räumlich denken!

FALSCH: Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Frauen sehr wohl in der Lage sind, räumlich zu denken. Sie bevorzugen allerdings tendenziell andere „Denkstrategien“. Das führt dazu, dass die Mehrheit der Frauen zum Beispiel in Aufgaben zur so genannten Mentalen Rotation, dem „Drehen von Figuren im Kopf“, langsamer sind und etwas mehr Fehler aufweisen. Neurowissenschaftliche Untersuchungen mit bild­gebenden Verfahren zeigen, dass Frauen und Männer sowohl gleiche als auch verschiedene Hirnregionen bei Aufgaben zum räumlichen Denken nutzen. Allerdings sind Frauen, die zum Beispiel mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer studieren oder in diesem Bereich gelernt haben, in der Regel ebenso gut wie ihre männ­lichen Kollegen. Erfahrung und Training beeinflussen also signifikant die jeweiligen Leistungen. Auch die so genann­ten Geschlechterrollen-Stereotypen in unseren Köpfen prägen unsere Leistungen. Allein der Glaube, dass Frauen angeblich nicht räumlich denken können (oder Männer schlechte sprachliche Leistungen aufweisen), beeinträchtigt die Leistung der Geschlechter bei solchen Tests. Studien zeigen, dass ein Loslösen von diesen Stereo­typen existierende Unterschiede kleiner werden lassen könnte.

Frauen können sich nicht orientieren!

FALSCH: Männer und Frauen orientieren sich im Durchschnitt einfach anders. Auch hier bevorzugen die Geschlechter oft unterschiedliche Strategien. So geben bei Befragungen Männer eher an, sich an Himmelsrichtungen zu orientieren; während Frauen eher Landmarken, wie die Post, die Kirche oder den Bäcker bevorzugen. Beide Strategien führen gleichermaßen zum Ziel. Interessanterweise nutzen auch „orientierungsängstliche“ Männer eher die Landmarkenstrategien. Andererseits haben Mädchen und Frauen oft weniger Erfahrung beim Zurechtfinden in verschiedenen Umgebungen und entsprechend mehr Angst beim Orientieren. Dies wiederum kann dazu führen, dass sie sich zurückziehen, sich von den Eltern zur Freundin fahren lassen, oder lieber den Mann am Steuer sehen. So beginnt ein Teufelskreis, der nur durch die eigene Aktivität, die Überwindung der „Angst vor dem Raum“ durchbrochen werden kann.

Frauen sind emotionaler als Männer!

FALSCH: Die Mehrheit der wissenschaftlichen Untersuchungen finden in kontrollierten Laboruntersuchungen keine gravierenden Unterschiede in der emotionalen Wahrnehmung zwischen den Geschlechtern. Es scheint lediglich so zu sein, dass Frauen einige Tausendstel-Sekunden eher die emotionale Bedeutung eines gehörten Wortes wahrnehmen als Männer. Bittet man aber die Versuchspersonen, auf den Inhalt der Worte zu achten, so verschwinden die Geschlechtsunterschiede gänzlich. Allerdings: Die meisten Frauen erinnern sich länger und stärker an emotionale Ereignisse – Männer wiederum reagieren etwas stärker auf gewalt- und aggressionsbesetzte Bilder als Frauen.

Frauen haben ein kleineres Gehirn und können darum nicht so gut denken!

FALSCH: Frauen haben zwar ein um zirka acht bis zehn Prozent kleineres Gehirn als Männer. Es gibt jedoch keine Unterschiede in der allgemeinen Intelligenz zwischen Männern und Frauen. Frühere Untersuchungen behaupten, der Balken, die Verbindung zwischen beiden Hirnhälften, sei insbesondere im hinteren Bereich bei Frauen größer. Dies ist inzwischen nicht mehr unwidersprochen. Auch ein Zusammenhang mit den kognitiven Leistungen konnte nicht nachgewiesen werden. Die aktuelle Datenlage zum weiblichen und männlichen Gehirn ist widersprüchlich. Einige Studien finden Differenzen, andere nicht. Außerdem ist der Zusammenhang zwischen dem Hirn und gewissen Leistungen keineswegs geklärt.

Männer können nicht reden & nicht zuhören!

FALSCH: Ähnlich wie bei den räumlichen Leistungen gibt es nicht den Unterschied in den sprachlichen Fähigkeiten zwischen den Geschlechtern. Männer und Frauen unterscheiden sich nicht prinzipiell in ihrer verbalen Intelligenz oder ihrem Vokabular. Die in verbale Aufgaben involvierten Hirnareale sind bei Frauen und Männern sehr ähnlich. Einige Tests zur so genannten „Wortflüssigkeit“ bescheinigen Frauen, dass sie in einer Minute mehr Wörter mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben nennen können als Männer – es gibt jedoch auch Untersuchungen, in denen diese Unterschiede nicht gefunden wurden. Außerdem zeigen einige Studien, dass Frauen im Schnitt ein besseres verbales Gedächtnis haben, sich also Worte besser als Männer merken, insbesondere dann, wenn diese frei wiedergegeben werden müssen. Beim einfachen Wiedererkennen gelernter Worte hingegen gibt es keinen Geschlechtsunterschied.

Was noch zu sagen wäre!

Ja, es gibt gewisse Unterschiede in den Gehirnen und auch den kognitiven Leistungen zwischen den Geschlechtern. Aber es gibt gleichzeitig eine ständige Interaktion zwischen Biologie und Umwelt. Die oben genannten Differenzen sind keinesfalls zementiert und unveränderbar. Unser Gehirn ist plastisch, also in permanenter Veränderung. Wir sind in der Lage, vieles durch Training zu lernen, auch Denkstrategien. Das wiederum führt nicht nur zu funktionellen, sondern auch zu anatomischen Veränderungen im Gehirn.
Kirsten Jordan und Claudia Quaiser-Pohl, EMMA Juli/August 2007
Dr. Jordan forscht als Neurobiologin an der Uni Göttingen, Prof. Dr. Quaiser-Pohl ist Medizinerin und Psychologie-Professorin an der Uni Siegen. Sie veröffentlichten "Warum Frauen glauben, sie könnten nicht einparken und Männer ihnen Recht geben" (TB, dtv).

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Dossier Biologismus (4/07)

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