Alice Schwarzer schreibt

Alice Schwarzer: Mein Mini

Alice Schwarzer in Marimekko vor dem schiefen Turm von Pisa.
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Auf diesem Foto bin ich 24 und posiere ironisch vor dem schiefen Turm von Pisa. Wir schreiben das Jahr 1967, und das Kleid ist nicht von der gerade verstorbenen Mary Quant, sondern von der Finnin Maija Isola, Chefdesignerin von Marimekko. Inzwischen hatte der Mini der Engländerin längst die ganze westliche Welt erobert. Und auch mich.

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Der Mini, wie wir sagten, war übrigens seltener ein Minirock und im Original eher ein Minikleid. Er war ein Hänger, oft auch mit langen Ärmeln, und wurde ohne Strümpfe oder mit blickdichten Strumpfhosen getragen, auf keinen Fall aber mit Nylonstrümpfen, das wäre uncool gewesen. Und immer mit flachen Schuhen.

Denn der Mini wollte nicht sexy sein, sondern frech. Und er war in der Tat ein wesentlicher Teil der Jugendrevolte: Endlich nicht mehr in Mamas Kleidern stecken und aussehen wie eine junge Erwachsene, sondern etwas Eigenes haben: Elvis, die Beatles, den Mini!

Ich selbst habe den Mini bis Ende 20 getragen, dann geriet er irgendwie aus der Mode und hatte auch seine Unschuld verloren. Ich habe das am eigenen Leibe erfahren.

 Korrespondentin Alice Schwarzer interviewt Jean-Paul Sartre.
Korrespondentin Alice Schwarzer interviewt 1970 Jean-Paul Sartre.

Wir schreiben das Jahr 1970. Inzwischen bin ich 27, junge Korrespondentin in Paris und trage immer noch gerne Minis. An besagtem Tag, einem Sommertag, einen Mini aus Strick, dunkelblau und mit blauweißem Bord, von der damals in Frankreich sehr angesagten Dorothée Bis.

Als Journalistin bin ich spezialisiert in den Folgen des Barrikaden-Mai 1968 und führe ein Interview mit Jean-Paul Sartre, neben Marcuse damals eines der Idole der internationalen Protest-Linken. Es geht um die Frage der „revolutionären Gewalt“. Ist die berechtigt? Wenn ja, nur gegen Sachen oder auch gegen Menschen?

Mein Minikleid reicht im Sitzen knapp über meinen Slip (das sehe ich aber erst im Nachhinein auf dem Foto). Ich habe keine Strümpfe an und trage Sandalen. Aber das ist mir nicht bewusst. Ich bin nur ein bisschen aufgeregt wegen des Gespräches mit dem großen Philosophen.

Mitten im Interview dreht sich der Schlüssel in der Tür der Einzimmer-Wohnung von Sartre. Herein tritt – Simone de Beauvoir. Sie wirft einen eisigen Blick auf mich und sagt: „Sartre, Sie haben hoffentlich nicht unsere Pressekonferenz vergessen?!" Dann setzt sie sich mit dem Rücken zu uns an den Schreibtisch und liest.

"Mein Leben", die Autobiografie von Alice Schwarzer (Kiepenheuer & Witsch)
"Mein Leben", die Autobiografie von Alice Schwarzer (Kiepenheuer & Witsch)

Ich führe das Interview diszipliniert zu Ende. Ich habe 30 Minuten. Aber ich stehe unter Schock. Denn plötzlich wird mir klar, dass ich den Termin mit Sartre vielleicht nicht wegen meiner journalistischen Kompetenz bekommen habe, sondern wegen meines Aussehens. "Da hat sich der alte Trottel mal wieder von einer jungen Blondine beschwatzen lassen." Das oder Änliches muss sie gedacht haben - zumindest suggeriert das ihr Blick. Da wusste ich noch nicht, dass ich wenig später bis zu ihrem Lebensende mit ihr befreundet sein würde, und dass sie durchaus großen Spaß hatte an attraktiv bzw. unkonventionell angezogenen Frauen.

Beauvoir hat mir die Minikleider auch keineswegs vergällt – das waren eher die mit dem Aufbruch der Frauenbewegung aggressiver werdenden Männer. Nein. Aber sie hat mir bewusst gemacht, dass meine Unschuld beim Tragen von Minikleidern nicht automatisch auch die Unschuld der anderen bedeutete. Ich begann, mich bewusster anzuziehen, bewusster in Bezug auf den Blick der anderen.

Aber ich liebe bis heute meine Minikleider von damals. Und ich freue mich, meine Nachbarin, die zwar „schon“ Anfang 40, aber ein sehr mädchenhafter Typ ist, mit eben diesen Minikleidern wieder zu sehen: kleine, lässige Hänger mit flachen Schuhen. Sie hat zwei Kinder, aber im Mini ist sie keine gesetzte Frau und Mutter, sondern ein freies Mädchen.

Thank you, Mary.

ALICE SCHWARZER

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