Alles nicht so gemeint

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Wenn man deutschsprachige Musiker fragt, warum sie in ihren Songs nicht auf Frauenhass verzichten mögen, kommt als Antwort gern irgendwas mit Kunst, uneigentlichem Sprechen, Ironie, Rollenprosa, Falco und dem Hinweis auf das lyrische Ich. Begriffe wie „Hure“ (Kraftklub), „Bitch“ (Von Wegen Lisbeth) oder „Nutte“ (Faber) in Bezug auf Frauen gelten ihnen als wahrer Tabubruch. Heterotyp tut Heterotyp-Sachen, aber halt nicht ernstgemeint. Und sie alle scheinen das gleiche ­lyrische Ich (kurz DLI) als Inspirationsquelle zu haben.

Ich treffe DLI in Österreich, in der Schweiz oder in München in der Kneipe. Das Gesagte ist zweitrangig, weil es so charmant klingt. Hauptsache lustiger Dialekt. Wir trinken Schnaps. Es steht auf unkonventionelle Interviews, direkt aus seinem Alltag heraus. Es ist Mitte 20, hat dunkles, wuscheliges Haar und trägt eine Lederjacke: „Die hab ich von meinem Opa. Guter Mann, der war lange im ­Widerstand“. Das „Widerstand“ ist die urige Kneipe gegenüber.

DLI kommt aus der Nähe einer Stadt, die gerade total im Kommen ist, seine Eltern sind Anwalt und Frau. Die Kaffjugend war normale Kaffjugend: Man musste kreativ sein, besoffen fahren, an Tankstellen abhängen. Der beste Kumpel Maik ist heute Nazi. Man konnte es kaum erwarten und so weiter.

Nach dem Abi zog DLI in diese Stadt. Sein Vater wollte, dass es auch Anwalt wird, deswegen fing es an, Jura zu studieren, doch das war leider nix: „Die ganzen Fatzken da wollten nur malochen! Ich hingegen wollte erst mal gar nichts.“

Auf unerklärliche Weise kam DLI an ein Kunststipendium ran. Aufregend! So traf DLI auf Weiber, auf die es scharf war. „Ich hab dann erst mal so richtig gelebt, weißte?“ Ja, weiß ich: Sex. DLI zündet sich eine Zigarette an. „Dieses verdammte Rauchverbot überall ist mir scheißegal! Ich bin ein Arschloch, na und? Ich vermisse die Zeiten, in denen Heldentypen einfach in Bars gehen und rauchen konnten.“ Es sagt allerdings niemand was dagegen, wir sind nämlich in einer Raucherkneipe.

Zurück zu seinem Leben: „Ich traf dann so ein richtiges Mädchen, meine Güte, wie aus den Filmen. Sie war mein Baby.“ Das Mädchen konnte allerdings mit DLI nichts anfangen. „Sie war eine Schlampe und hat mir mein ganzes Geld gestohlen!“ Wie hat sie das denn angestellt? „Na ja, sie hat es mir nicht direkt geklaut, ich konnte halt wochenlang keine mies bezahlten Jobs annehmen, weil ich mich aus Kummer koksend durch die Gegend gebumst habe. Ich bumse übrigens!“ DLI sagt es, wie es ist, einfach gerade raus. Es bumst. Beim Reden tropft etwas Bier auf sein weißes Hemd. Emotionen.

Dann fing es an, Texte zu schreiben. „Erstmal sehr peinliche Gedichte, das glaubst du nicht, Irmschler“. Doch, glaube ich. „Ich war ja nie cool, passte nirgendwo rein. In der Schule war ich der Privilegierte wegen meines Anwaltvaters plus Frau, in der Uni der komische Kunsttyp, der wegen Mädchen Bücher von Fickificki-Autoren las.“ Er droppt ein paar Namen. Ich nicke auf meiner Kippe ein, der Schnaps-Knall der Barkeeperin holt mich zurück.

DLI erzählt immer weiter, von unglaublichen Nächten, Drogen, vom Traum, Musiker zu werden und „Plan B ist was für Anzugwichser!“ Mein Aufnahmegerät zeichnet auf: „Es sind oft Enttäuschungen und Zurückweisungen, die mich inspirieren, also die Schlampen, aber auch das Scheitern. Und Verlust. Gern auch Enttäuschung. Das Leben und Banalitäten. Ich sage auch mal ‚Titten‘. Na und? Ich will der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Es ist mit einem Augenzwinkern gemeint, wenn ich sage, dass meine Ex Scheiße ist. Ich lass mich nicht verbiegen. Ich ficke halt gern!“ Ein außergewöhnlicher Mann.

Als DLI das sagt, stehen Leute in der Kneipe auf, applaudieren. Ein älterer Mann ergreift das Wort. Torkelnd steigt er auf einen Stuhl, fällt seitlich um, steht wieder auf, bestellt Schnaps (das ganze Szenario dauert etwa anderthalb Stunden) und sagt: „Endlich ein Junge, der sich mal was traut! Uns wurden die letzten Jahrzehnte Maulkörbe verpasst, die politische Korrektheit hat uns normale Männer in den Untergrund gezwungen, wo wir Canasta spielend davon träumten, endlich mal wieder ...“ Er übergibt sich im Strahl. DLI reißt sich das Hemd auf, sagt: „Juhu, ich wurde erkannt, los, wir erobern die Straßen, was mit Freiheit, Flasche Wein vom Späti!“ Es hat mich im Schwitzkasten, wir treten Tonnen um, brüllen „Wir sind hier“, ich zeige meine Titten, wir rauchen, wälzen uns am See, baden nackt – das Interview eskaliert total. Dann muss ich plötzlich weg.

Ein Jahr später erscheint ein Song eines neuen Singer-/Songwriter-Typen mit ­witzigem Dialekt und folgendem Text:

„Wir war‘n betrunken, die Nacht für uns
Schon als ich dich sah, war klar, wir tun‘s
Ich holte Schnaps, du schliefst kurz ein,
Da wusst‘ ich schnell: du sollst es sein
Das Rauchverbot dort war dir egal
Da war mir klar: Du bist Femme Fatale
Ich wollte doch nur an deine Tittchen
Und du gabst dich aus als Journalistin
Irmschler, ich dachte,
uns gehört die Welt Du Bitch,
bist abgehauen mit meinem Geld!“

 

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