Der Fall Assange: Ein Komplott?

Credit: Ray Tang/Imago Images/Zuma Press
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Die Schwedin, mit der Assange Sex hatte, bei dem das Kondom riss: eine „Feministin“ (FAZ)? Die britische Journalistin, die öffentlich zu fragen wagte, warum der Wikileaks-Gründer der Staatsanwaltschaft in Schweden nicht einfach ihre Fragen beantworte: ebenfalls eine „erbärmliche radikale Feministin“ (Assange)? Claes Borgstrom, der Anwalt der beiden mutmaßlichen Opfer: „a strong feminist“ (AOLonline)?  Handelt es sich bei den Vergewaltigungs-Vorwürfen gegen den Wikileaks-Gründer also weniger um eine „Verschwörung der USA“, sondern eher um ein feministisches Komplott?

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Assange habe gewusst, dass sie keinen Sex ohne Kondom wollte

Das Problem an der Verschwörungstheorie: Viele der „Fakten“, auf denen sie basiert, sind falsch. Zum Beispiel die Behauptung, Assange werde deshalb der Vergewaltigung beschuldigt, weil ihm beim Sex das Kondom geplatzt sei und das schwedische Strafrecht ungeschützten Geschlechtsverkehr als „Vergewaltigung“ bestrafe. Ein Gerücht aus dem Internet, das seinen Weg in die Medien fand. Einige JournalistInnen verstiegen sich gar zu Aussagen wie dieser: Nach schwedischem Recht könne Nötigung oder Vergewaltigung in einem minder schweren Fall vorliegen, „wenn sich eine Frau nach dem Sex unwohl fühlt oder sich ausgenutzt vorkommt“ (Detlef Borchers auf faz.net, Titel seines Artikels: „Wie man in Schweden einen Mann belasten kann“).

Fakt ist: Das schwedische Strafrecht unterscheidet sich in Sachen Vergewaltigung nicht vom deutschen Gesetz. Wer eine Person mit Gewalt oder Drohung mit „Gefahr für Leib und Leben“ zum Geschlechtsverkehr oder einer ähnlichen sexuellen Handlung zwingt, wird in beiden Ländern mit „mindestens zwei Jahren Gefängnis“ bestraft. Das gilt – in Schweden und Deutschland – auch dann, wenn diese Person sich in einer „schutzlosen Lage“ befindet und der Täter dies ausnutzt.

Er sei in sie eingedrungen, während sie schlief

Der britische Guardian – der, ganz wie der Spiegel, auch die Wikileaks-Protokolle veröffentlicht hatte – hat nun ausführlich aus den Vernehmungsprotokollen der beiden Frauen zitiert, mit denen Julian Assange im August 2010 eingestandenermaßen Sex hatte. Frau A., die Pressefrau der Organisation „Broderskaprörelsen“, die Assanges Aufenthalt in Schweden organisiert hatte, beherbergte den Wikileaks-Gründer in ihrer Wohnung. Dort sei er „zudringlich“ geworden. Es sei ihr alles „zu schnell gegangen“, aber „es war zu spät, ihn zu stoppen“.

Sie habe mehrmals versucht, nach einem Kondom zu greifen, aber er habe ihr die Arme festgehalten und ihre Beine aufs Bett gedrückt. Schließlich habe er widerwillig doch ein Kondom benutzt, aber damit „irgendetwas gemacht“, so dass es riss. Obwohl Assange gewusst habe, dass Frau A. keinen ungeschützten Sex wollte, machte er laut ihrer Aussage weiter und ejakulierte in ihren Körper. Eine Freundin sagte der Polizei, Frau A. habe ihr später erzählt, es sei „nicht nur der schlechteste Sex der Welt gewesen, sondern auch gewaltsam“.

Frau W., eine Fotografin, hatte wenige Tage später einen Termin mit Assange und nahm ihn anschließend mit in ihre Wohnung. Als sie ihm klar gemacht habe, dass sie keinen ungeschützten Sex wolle, habe er „das Interesse verloren“ und sei eingeschlafen. Mitten in der Nacht sei es dann doch zum Geschlechtsverkehr gekommen, bei dem er „unwillig“ ein Kondom benutzt hätte. Am nächsten Morgen sei Frau W., nachdem sie kurz fürs Frühstück einkaufen war, neben Assange eingeschlafen und dadurch wach geworden, dass er ohne Kondom in sie eingedrungen sei.

Beide Frauen wollten, dass Assange einen HIV-Test macht

Zu der Anzeige gegen Assange kam es offenbar nur, weil die beiden Frauen sich kannten und sich über ihre Erfahrungen austauschten. Sie forderten Assange zu einem HIV-Test auf. Der weigerte sich. Erst dann gingen die Frauen gemeinsam zur Polizei, um dort zu erfragen, ob sie den Mann zu einem HIV-Test zwingen könnten. Auf dem Revier erklärte man ihnen, dass die Vorfälle womöglich justiziabel seien – und informierte die Staatsanwaltschaft. Die will Assange zur Sache befragen. Erst als er zu dem vereinbarten Termin am 14. Oktober nicht erscheint und stattdessen das Land verlässt, schreibt man ihn zur Fahndung aus. Wäre Assange in Schweden geblieben und hätte sich der Vernehmung gestellt, wäre der Fall vermutlich eingestellt worden – wie 90 Prozent aller Fälle im Bereich Sexualstraftaten. Zwar werden in dem emanzipierten Vorzeigeland sexuelle Straftaten viermal so häufig angezeigt wie in Deutschland. Aber ganz gegen das Klischee von der feministisch verschworenen Justiz landet nur jede zehnte Anzeige tatsächlich vor Gericht (ähnlich wie in Deutschland). Eine Anklage im Fall Assange? Eher unwahrscheinlich.

Dass der Wikileaks-Gründer Bewunderung gewohnt ist und auf Ablehnung eher befremdet reagieren dürfte und dass er offenbar eine ausgeprägte Abneigung gegen geschützten Sex hat – all das wäre vermutlich in der rechtlichen Grauzone gelandet, die eben auch das schwedische Strafrecht bietet. Hätte der Australier das gleiche Verhalten in seiner Heimat an den Tag gelegt, wäre die Sache übrigens schon kritischer gewesen. Denn dort, wie überhaupt in der angelsächsischen Justiz, gilt, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Dass es der Zustimmung beider PartnerInnen zum Sex bedarf.

Eine Straftat liegt in Australien oder Großbritannien schon dann vor, wenn die Partnerin keine explizite Zustimmung gegeben hat. Die Ehefrau zum Beispiel, die nach jahrelanger häuslicher Gewalt den Geschlechtsakt widerwillig, aber widerstandslos über sich ergehen lässt, könnte in England oder Australien Anzeige erstatten (sie tut es kaum). Von solchen konsequenten Gesetzen gegen Sexualgewalt in dem in diesem Bereich so ungleichen Verhältnis der Geschlechter sind Schweden wie Deutschland noch weit entfernt (Anm. d. Red.: 2016 bzw. 2017 sind sowohl das deutsche als auch das schwedische Sexualstrafrecht entsprechend verschärft worden.)

Und von einem feministischen Komplott in Schweden kann die Rede nicht sein.

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