Blasenentzündung durch Sex?

Nana enceinte, 1993, Lee Stalsworth/© Niki Charitable Art Foundation/VG Bild-Kunst Bonn
Artikel teilen

Ich bin Urologin. Was Sie im Folgenden lesen, sind nicht die Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien oder statistischen Auswertun­gen. Es sind vielmehr die Erkenntnisse, die ich durch meine Patientinnen und durch meine eigene Lebensgeschichte gewonnen habe. Ich beziehe mich daher ausschließlich auf Patientin­nen in heterosexuellen Beziehungen, denn homosexuelle Patientinnen sind bisher noch nicht mit den beschriebenen Schwierigkeiten in meine Ambulanz gekommen.

Ich arbeite in einer urologischen Abteilung in einem Krankenhaus. In meinen Bereitschafts­diensten behandele ich immer wieder Patientin­nen mit Blasenentzündungen. Nicht selten kom­men diese Patientinnen abends oder nachts in die Klinik. Meine Kollegen verdrehen dann die Augen: Hätte das nicht bis zum nächsten Morgen Zeit gehabt? Dafür muss ich jetzt aufstehen?

Ich dagegen hatte einmal in meinem Leben schon mal eine „Honeymoonzystitis“ und weiß, wie schmerzhaft das ist. Daher freue ich mich auf meine Patientin, denn nachts habe ich mehr Zeit für sie. Dann kann ich vielleicht dauerhaft helfen, und nicht nur ein Antibiotikum verschreiben bis zur nächsten Blasenentzündung.

In meinen Behandlungsraum kommt eine Pati­entin: 24 Jahre alt, Schmerzen beim Wasserlassen seit dem Morgen, jetzt sei auch Blut im Urin. Kein Fieber, keine Flankenschmerzen. Die Ultraschall­untersuchung zeigt reguläre Verhältnisse für Nie­ren und Blase. Im Urinsediment finden sich weiße und rote Blutkörperchen, Nitrit ist positiv, Bakterien.

Nun fange ich an zu fragen, die Patientin berichtet: Sie habe seit dem 17. Lebensjahr immer wieder mit Blasenentzündungen zu tun, habe verschiedene Antibiotika eingenommen, die normalerweise auch sofort helfen würden. Sie habe auch Zeiten gehabt, da hätte sie über ein, zwei Jahre gar keine Harnwegsinfekte gehabt. Ich frage die Patientin, ob sie einen Auslöser für die Harnwegsinfekte ausmachen kann. Ja, diese träten fast nur nach Geschlechtsverkehr auf. Sie habe aber auch schon oft Sex gehabt ohne anschließende Blasenentzündung.

Ich hake nochmals nach: Gibt es einen Unterschied beim Sex? Oder anders: Kann sie schon vorhersehen, wann sie eine Blasenentzündung bekommt, und wann nicht? Meine Patientin stockt etwas, dann holt sie tief Luft und sagt: „Tja, Blasenentzündungen bekomme ich eigentlich vor allem dann, wenn ich mit meinem Partner schlafe, obwohl ich keine richtige Lust auf Sex habe.“

Nicht selten weinen die Patientinnen, wenn sie mir ihre Geschichte erzählen. Eine 56-Jährige ließ sich immer wieder auf Analsex ein, damit „mein Mann nicht ins Bordell geht“. Sie selber mochte das aber überhaupt nicht. Eine 25-Jährige erzählte, ihr Freund habe kurz vor der Penetration das Kondom abgezogen, was so nicht vereinbart war. Sie hatte dann zum ersten Mal eine Blasenentzündung.

Viele Patientinnen berichten von Vaginismus oder absolutem Desinteresse an Sexualität. Und trotzdem schlafen sie mit ihren Männern. Sie täuschen vielleicht mehr oder weniger motiviert einen Orgasmus vor und denken dabei: Hoffentlich ist er bald fertig. Oder sie gehen schonmal die Einkaufsliste von morgen durch. Später weinen sie vielleicht heimlich oder kramen in ihrem Medikamentenschränkchen nach den letzten beiden Tabletten Antibiotikum von der vorigen Blasenentzündung. So unterschiedlich die Geschichten der Patientinnen auch sind, haben sie doch alle dieses Gefühl: „Irgendwas stimmt nicht mit mir, das ist doch nicht normal!“

Und dann erzähle ich meiner Patientin von mir: In meiner hochfeministischen Phase während des Medizinstudiums las ich „Den kleinen Unterschied“ von Alice Schwarzer. Ich erkannte mich sofort wieder. Auch ich schlief mit meinem Freund und hatte doch noch nie einen Orgasmus gehabt. Nein, den vaginalen Orgasmus gab es ein

fach nicht, auch nicht für mich. (Und doch wusste ich, wie sich ein Orgasmus anfühlt, aber das ist eine andere Geschichte …) Aber dann lernte ich einen Mann kennen, da war es auf einmal anders. Ich fühlte mich beim Sex nicht mehr überfahren, ausgenutzt oder nicht wahrgenommen. Was war bei diesem Mann anders? Ich fragte ihn einmal: Was magst du eigentlich am liebsten im Bett? Seine Antwort: Ich mag es am liebsten, wenn ich sehe, dass es dir gut geht. Er war mit seiner Wahr­nehmung ganz bei mir, und tat dadurch intuitiv das Richtige. Und Orgasmus vorspielen? Fehlanzeige. Das verdarb ihm seine Lust sofort.

Und obwohl Sex mit ihm der Himmel auf Erden war, gab es auch immer wieder Phasen, in denen ich monatelang, sogar jahrelang einfach keine Lust hatte auf Sex. Dann waren andere Dinge/Menschen dran: Karriere, Stillen, Kinder, Karriere, die todkranke Mutter. Mein schlechtes Gewissen plagte mich, der arme Kerl bekam seit Monaten keinen Sex. Also versuchten wir es trotzdem, was gründlich daneben ging.

Was folgt daraus? Sex gibt es nur dann, wenn ich wirklich Lust habe (dann kann das auch schon­mal drei Mal pro Nacht sein). Und ja, ob ich Lust habe, weiß ich sehr genau. Jede Frau weiß das.

Die Frage ist eher: Halte ich mich dran? Sorge ich dafür, dass es wirklich keinen Sex gibt, wenn ich keine Lust habe?

Liebe Frauen, macht doch im Bett, was ihr wollt! Aber eben nur das, was ihr euch wirklich aus tiefster Seele wünscht, und nur dann, wenn ihr wirklich Lust habt. Und wenn ihr jahrelang oder das ganze Leben lang keine Lust habt auf Sex, dann seid ihr richtig, und die ganz Welt ist eben einfach falsch.

Die Tränen meiner Patientin sind getrocknet. Nun können wir herzlich darüber lachen, dass wir uns mitten in der Nacht in einer wie immer etwas steril wir­kenden Notauf­nahme über unser Sexualle­ben austauschen, obwohl wir uns gerade das erste Mal begegnet sind. Meine Patientin verlässt aufrecht und zuversichtlich die Ambulanz. Ich schaue ihr nach und denke: Die ist doch in den letzten 45 Minuten mindestens fünf Zentimeter gewachsen!

Ausgabe bestellen
Anzeige
'
 
Zur Startseite