Arbeitsamt vermittelt Prostituierte!

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Seit der Gesetzesreform vermittelt die Bundesagentur für Arbeit „Sexarbeiterinnen“ an  Bordelle. Mehr noch: Laut Sunday Telegraph hat eine Berliner Arbeitsagentur einer Kellnerin einen Job als Prostituierte zugewiesen und mit Leistungskürzungen gedroht.
Es war ausgerechnet eine britische Journalistin, die das Ganze ins Rollen brachte. Die deutschen Medien schienen noch nicht gemerkt zu haben, wie brisant die Folgen der vor drei Jahren in Kraft getretenen Reform des Prostitutionsgesetzes sein können. Dadurch, dass aus Prostituierten mit dem 1.Januar 2002 „Sexarbeiterinnen“ wurden, sind für das Gewerbe „Sexarbeit“ nun auch die Arbeitsagenturen zuständig. Ganz wie in Holland, wo Arbeitsämter seit der Legalisierung der Prostitution im Oktober 2000 Prostituierte vermitteln.
Am 20. Januar erschien im Sunday Telegraph Clare Chapmans Artikel, in dem die Deutschland-Korrespondentin den Fall einer Kellnerin aus Berlin schildert. Die 25-jährige Programmiererin war bereits länger arbeitslos und fiel nun unter die neuen Hartz IV-Regelungen, musste also eine „zumutbare“ Arbeit annehmen, um Anspruch auf das so genannte Arbeitslosengeld II zu haben. Die Frau hatte ihrer zuständigen Berliner Arbeitsagentur angegeben, sie habe früher in Cafés gekellnert und könne das auch wieder tun. Daraufhin bekam sie einen Brief mit einem Jobangebot. Als sie dort anrief, merkte sie schnell, dass es sich bei dem potentiellen Arbeitgeber um ein Bordell handelte. Sie weigerte sich, sich dort vorzustellen. Laut Sunday Telegraph drohen der Frau, die sich nicht prostituieren will, nun Konsequenzen: die Kürzung oder komplette Streichung ihres Arbeitslosengeldes.
„Nach der seit 1.Januar 2005 bestehenden Rechtslage müssen Empfänger von Arbeitslosengeld II jede Arbeit annehmen, die nicht gesetzes- oder sittenwidrig ist“, bestätigt die Hamburger Rechtsanwältin Mechthild Garweg, die auf Arbeitsamts-Klagen spezialisiert ist. „Und seit 2002 ist nach deutschem Recht auch der Beruf der Prostituierten nicht mehr sittenwidrig. Also können Frauen solche Arbeitsangebote nicht mehr ablehnen, ohne die Streichung ihrer Gelder zu riskieren. Das mag unglaublich klingen, ist aber derzeitig gültige Rechtslage.“
Unglaublich? Nein, nur folgerichtig. Es war nach der Gesetzesreform, die Prostitution zum „Beruf wie jeder andere“ erklärte, schließlich nur eine Frage der Zeit, bis der „Arbeitsplatz Prostitution“ (O-Ton der Dienstleistungs-Gewerkschaft Ver.di) ein „Arbeitsplatz wie jeder andere“ würde.
Nach der Reform musste die Bundesagentur das bis dato bestehende „Vermittlungsverbot“ von Prostituierten aufheben. Seitdem übernehmen die Arbeitsämter die Vermittlung von Prostituierten an Bordellbetreiber auf Staatskosten. Zur großen Freude der Prostitutions-Lobby. „Bordelle und Prostituierte zahlen Arbeitslosen-, Kranken- und Sozialversicherung, dann haben sie auch ein Recht auf Vermittlung durch das Arbeitsamt“, fordert prompt der ‚Bundesverband sexueller Dienstleistungen‘. Alles andere sei eine „Diskriminierung von Prostituierten“.
In Nürnberg beschwichtigt man derweil. Es würden nur solche Frauen vermittelt, die ausdrücklich angeben, als Prostituierte arbeiten zu wollen. „Völliger Nonsens“ sei dagegen, dass Frauen, die ein Arbeitsangebot im Bereich Prostitution ablehnen, die Gelder gestrichen werden, so Pressesprecher Ulrich Waschki. „Wenn einer Frau ein solches Angebot unterbreitet wird, dann kann das nur daran liegen, dass das Bordell oder der Nachtclub der Arbeitsagentur verschwiegen haben, um welche Art Etablissement es sich handelt.“
Zweitens dürfe eine Arbeit „aus einem wichtigen Grund abgelehnt werden“. Das steht in der Tat in den Sozialgesetzbüchern II und III, die Arbeitslosengeld II beziehungsweise die Arbeitslosenversicherung regeln. Allerdings: Dass auch „Sexarbeit“ ein solcher „wichtiger Grund“ sein könnte, hat der rotgrüne Gesetzgeber keinesfalls festgeschrieben.
Das hat erst die Bundesagentur für Arbeit in einer internen „Durchführungsanweisung“ getan: „Ein wichtiger Grund kann die nichtvorhandene Bereitschaft sein, Prostitution auszuüben“, steht dort. „Selbstverständlich darf niemand, der das nicht will, in Dienstleistungen im Erotikbereich vermittelt werden“, erklärt Pressesprecher Waschki. „Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens, dass so etwas nicht möglich ist.“
Gesellschaftlicher Konsens? Der kann sich ändern. „Es gibt keine gesicherte gesetzliche Grundlage, auf der eine vom Arbeitslosengeld II betroffene Frau eine Vermittlung im Bereich der sexuellen Dienstleistungen ablehnen kann“, stellt Anwältin Garweg fest. Zumal die Grauzone groß ist. „Wenn eine Frau mal als Tänzerin gearbeitet hat – warum sie dann nicht in einen Job als Table-Dancerin vermitteln?“
Das Fazit der Juristin: „Die Selbstverpflichtung der Arbeitsagentur ist ohne förmliches Verfahren jederzeit abänderbar. Vom Gesetzgeber gewollt oder ‚nur‘ übersehen – fest steht: Wenn der Gesetzgeber dieses Ergebnis nicht gewollt hat und eine klare Rechtslage schaffen will, ist er aufgefordert, diese Gesetzeslücke zu schließen.“
Wer hätte es vor einigen Jahren überhaupt für möglich gehalten, dass deutsche Arbeitsagenturen Bordellbetreibern Prostituierte vermitteln? Und wer garantiert, dass nicht so manche verzweifelte arbeitslose Frau durch die Salonfähigkeit der „Sexarbeit“ dazu verleitet wird – oder gar gedrängt – den Schritt in die Prostitution zu tun?
EMMA Mai/Juni 2005

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