Die Gegner des Rechts auf Abtreibung

Fundamentalistische christliche Abtreibungsgegner beim „Marsch für das Leben“ 2017 in Berlin. - Foto: Christian Mang/Imago
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Über einen berichtet die aktuelle EMMA sehr genau: Über den, der u.a. die Ärztinnen Kristina Hänel und Nora Szász angezeigt hat. Doch er ist nicht das einzige Problem. Ein Problem für ungewollt Schwangere und die - immer weniger werdenden - ÄrztInnen, die ihnen helfen wollen, sind auch die FreundInnen des Vatikans. Die interessieren sich zwar häufig wenig für das geborene Leben (Stichwort: Missbrauch), dafür jedoch leidenschaftlich für das "ungeborene" Leben.

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Inzwischen hat sich das Klima in Deutschland so verschärft, dass nur noch 1.173 ÄrztInnen bzw. Krankenhäuser wagen, Abtreibungen vorzunehmen. Vor 16 Jahren waren es noch doppelt so viele, meldet der Stern. Eine vage, zweideutige Gesetzgebung liefert Schwangere und ÄrztInnen in Deutschland dem Terror der Selbstgerechten aus.

So wie in dem Fall Yannic Lukas Hendricks, nachzulesen in der aktuellen EMMA. Ausgabe bestellen

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Er denunzierte diese Frauen ...

Yannic C. Hendricks hat Kersten Artus (li) auf Unterlassung verklagt, die Ärztinnen Kristina Hänel und Nora Szász wg. §219a angezeigt.
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Er, dessen Name nicht genannt werden darf, ist auf einer düsteren Mission. Er ist kein böser Zauberer und ebenso wenig von dunkler Magie durchdrungen. Er berichtet stattdessen von einer tiefen Überzeugung, die ihn antreibt. Nämlich die, das „menschliche Leben zu schützen“. Und zwar das „geborene“ wie das „ungeborene“. Über Jahre hat er mit Verweis auf den Nazi-Paragrafen 219a ÄrztInnen angezeigt, die auf ihren Internetseiten über Abtreibungen informiert haben. Hat sie vor Gericht und damit auch in die Öffentlichkeit gezerrt. Und trotzdem will der Denunziant selbst seinen Namen nicht öffentlich genannt wissen. Angeblich, weil er Angst vor „gewaltbereiten linken Abtreibungs­befürwortern“ habe.

Nein, wir sind nicht bei Harry Potter gelandet, und es geht auch nicht um, psssst!, Lord Voldemort. Die Rede ist von dem Mathematikstudenten Yannic Lukas Hendricks aus Kleve. Besonders sorgsam war der Endzwanziger mit der Geheimhaltung seiner Identität allerdings nicht. Anzeigen hat er auch unter seinem vollen Namen getätigt. Und nicht nur das: Er hat sich gegen Medien zur Wehr gesetzt, im Fall von EMMA sogar Beschwerde beim Presserat eingereicht. Wegen eines Details in einem unserer Online-Berichte über die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel.

Hänel ist eine der ÄrztInnen, die Hendricks angezeigt hat. Die Staatsanwaltschaft Gießen hatte eigentlich die Absicht, das Verfahren einzustellen. Aber Hendricks legte Beschwerde ein und kam damit durch.  Schließlich wurde die Ärztin im November 2017 in erster und im Oktober 2018 in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe über 6.000 Euro verurteilt. Die kampfbereite Hänel hat schon angekündigt, bis vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Ein Medienhaus, das Hendricks wegen der Nennung seines Namens auf Unterlassung verklagt hat, ist Buzzfeed. Das Landgericht Düsseldorf hat im Januar entschieden, dass das Webportal Hendricks Namen in seinem Bericht „Yannic Hendricks zeigt Ärztinnen an, die gegen 219a verstoßen, aber möchte anonym bleiben“ durchaus nennen darf.
Begründung: Die Namensnennung verletze „nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragsstellers, insbesondere nicht dessen Recht auf Anonymität“. Denn: „Im Einzelfall können das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die (…) Presse- und Rundfunkfreiheit den Vorrang haben.“ Durch seine „hervorstechende Tätigkeit“ habe der Kläger nicht nur dafür gesorgt, dass eine Vielzahl an Personen „ohne ihren Willen teilweise in eine breitere Öffentlichkeit gezogen werden“. Sondern er habe auch „zu einer kontroversen Debatte von nicht unerheblichem öffentlichen Interesse“ beigetragen. Hendricks hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Dabei hatte er selbst gezielt die Öffentlichkeit gesucht, in einem Interview, das bei der taz und dem Deutschlandfunk nachzulesen ist. Da plauderte er unter dem Pseudonym „Markus Krause“ darüber, wie er das so macht mit den Anzeigen. „Das ist halt so mein Hobby“, erklärte Hendricks. Meistens suche er in seinem Arbeitszimmer am Computer über Google nach Schwangerschaftsabbrüchen. „Ich überlege mir: Wo würden schwangere Frauen im Internet suchen? Also auf Seiten von Arztpraxen. Ich gucke dann, ob ich auf Seiten stoße, auf denen angegeben ist, dass Schwangerschafts­abbrüche vorgenommen werden. Wenn das der Fall ist, dann erstatte ich online Strafanzeige.“

Denn: „Zwischen geborenem und ungeborenem menschlichen Leben zu unterscheiden ist meines Erachtens biologisch und medizinwissenschaftlich nicht haltbar. Alles menschliche Leben ist gleich viel wert. (…) Und deswegen ist es auf jeden Fall meine Leidenschaft, das menschliche Leben zu schützen.“

Die Tatsache, dass er ein Mann sei und nicht schwanger werden könne, helfe, dass er „nicht so voreingenommen“, sondern „objektiv“ mit dem Thema umgehen könne. In dem Interview eröffnete der Lebensschützer auch, dass er es nicht bei den Anzeigen belässt, sondern sich nach Abschluss eines Verfahrens meistens an die zuständige Landesärztekammer wende, „mit der Bitte zu überprüfen, ob neben strafrechtlichen auch standesrecht­liche Konsequenzen in Betracht kommen“.

Und es werden nicht nur Ärztinnen und Medien von Hendricks denunziert, sondern auch politische Aktivistinnen wie Kersten Artus vor Gericht gezerrt, Mitstreiterin im „Bündnis für Sexuelle Selbstbestimmung“ und Vorsitzende von Pro Familia Hamburg. Artus hatte Hendricks Identität schon früh gelüftet, u. a. auf Facebook und Twitter. Der hat nun Unterlassungsklage eingereicht. Der Gerichtstermin in Hamburg steht bei Redaktionsschluss noch aus.

Vertreten wird Yannic Lukas Hendricks übrigens von der in Köln ansässigen Medienrechtskanzlei „Höcker Rechtsanwälte“, die auch schon den Wettermoderator Jörg Kachelmann in seinem Feldzug gegen die „Falschbeschuldigerin“ vertreten hat. Und den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan.
Spätestens da stellt sich die Frage: Wie finanziert ein Mathematikstudent so ein Hobby eigentlich? Handelt er, wie er selbst behauptet, wirklich „ganz für mich allein?“

Auf Nachfrage der taz, ob denn der „weitere Mann“, der ganz wie Hendricks Anzeigen nach §219a erstattet, für ihn eine Inspiration gewesen sei, antwortete Hendricks: „Das kann man so sagen.“ Ein bekannter Mann, der Ärztinnen auch immer wieder angezeigt hat, ist Klaus Günter Annen aus Weinheim, der Abtreibungen mit dem Holocaust gleichsetzt („Babycaust“).

Im Internet kursieren Fotos, die Hendricks anscheinend im Zusammenhang mit organisierten LebensschützerInnen zeigen. Die ihn vertretende Kanzlei Höcker hat auf die Anfrage von EMMA, ob es sich dabei um Hendricks handele, keine Stellung bezogen – aber vor einer Veröffentlichung von Bildern des Mandanten einschüchternd gewarnt: „Wir gehen nicht davon aus, dass Sie durch eine weitere identifizierende Berichterstattung die mediale Hetzjagd bewusst beeinflussen möchten“, heißt es u. a. in der E-Mail. Hetzjagd? Dieser Begriff passt wohl eher auf das, was Hendricks mit den Ärztinnen veranstaltet, die ungewollt Schwangeren in Not helfen.

Die Methoden von Yannic Lukas Hendricks sind übrigens gar nicht so ungewöhnlich: Es gibt ganz ähnliche Fälle junger Männer, die zwar als Einzelkämpfer auftreten, aber anscheinend von einer Ideologie getrieben sind, die sie eint. Ihr Motor scheint häufig Fanatismus und Frauenhass. Und Geltungsdrang.

Die Errungenschaften der Emanzipation zu unterwandern, das scheint inzwischen schick zu sein in gewissen Kreisen. Man denke nur an den 25-jährigen Jurastudenten Dominik B., der Eichstätt in Oberbayern wegen der Beschilderung einiger Frauenparkplätze verklagt hatte. Er fühlte sich in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt und als Mann ungleich behandelt. Außerdem würden auch Frauen durch Frauenparkplätze diskriminiert werden. Eichstätt hatte die Parkplätze nach einer Vergewaltigung im Jahr 2016 eingerichtet, die Stadt muss als Ergebnis tatsächlich die Hinweisschilder austauschen.

Und was kommt als nächstes?

Alexandra Eul

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