Frauenbeaufragte – jenseits des Klischees

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Es gibt 1.500 davon in Deutschland, viele kennen sie. Nur durch die Medien geistern sie wie Gespenster. Chantal Louis hat eine von ihnen, Antje Buck, getroffen.

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Was ist das? Es ist zart, hübsch und quirlig, lacht nach jedem dritten Satz und spricht (in hohem Tempo) von „Flexibilität“, „Improvisation“ und „Kampagnen“. Eine Managerin? Eine Werberin? Falsch. Es ist eine Frauenbeauftragte. Es ist Antje Buck.
Schwierig, das Porträt einer Frauenbeauftragten zu beginnen, ohne über das Klischee der Frauenbeauftragten zu sprechen: Langer Wallerock und Hennahaare, kräftige Statur (oder Typus B: lustfeindlich hager), verkniffen, ihre Mitmenschen permanent mit Hinweisen auf die weibliche Sprachform nervend; im Film die Knallcharge und im wahren Leben doch langsam nun wirklich überflüssig. Oder, um es mit Buck’scher ruhrpöttischer Direktheit zu sagen: „Ne Frauenbeauftrachte is ne Witzfigur“.
Nun lehrt die (Frauen)Geschichte, dass, wann immer eine Spezies systematisch lächerlich gemacht wird, es damit eine beson­dere Bewandtnis hat und die behauptete Lächerlichkeit, also Margina­lität, meist im Gegensatz steht zur tatsächlichen, nämlich beacht­lichen und für einige sogar bedrohlichen Bedeutung dieser Spezies. So ließ sich die FAZ jüngst zu einer ganzseitigen Attacke auf das Gender Mainstreaming hinreißen, die unüber­sehbar von solcher Hysterie geprägt war, wie man sie gemein­hin nur Frauenbeauftragten unterstellt. Die Gleichstellungspolitik: eine lesbische Verschwörung. Das Gender Mainstreaming: eine „politische Geschlechtsumwandlung“. Die „par­tei­liche Mäd­chen­arbeit“: in direkter Verwandtschaft mit dem „linientreuen Kaderprinzip“ der sowjetischen Bolschewiki. Na­tür­lich spielten auch Frauenbeauftragte als institutionalisierte Vertreterinnen dieser feministischen Weltverschwörung in dem Artikel eine bedeutende Rolle.
Antje Buck, verheiratete Mutter dreier Kinder, mit Sitz in Mülheim an der Ruhr, ist eine von rund 1.500 Vertreterinnen dieser Spezies, die angetreten ist, das Jahrtausende alte Mannsbild vom Sockel zu stoßen. Schlimmer noch: Sie ist eine von sechs Sprecherinnen der ‚Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros‘. Und auch nach vier Jahren auf den Fluren der Mülheimer Stadtverwaltung hat Antje Buck immer noch erstaunlich gute Laune.
„Natürlich bespielt man dieses Klischee. Ignorieren bringt ja nichts.“ Also verlangt die Frauenbeauftragte in der Kantine eben schon mal schmetternd nach der „Salzstreuerin“. Humor scheint eine über­lebensnotwendige Eigenschaft für Frauenbeauftragte. „Offen despektierlich begegnet man mir nicht mehr“, erklärt die 46-Jährige. „Aber natürlich steht man immer mit seiner ganzen Person zur Disposition.“  
Fragt man Antje Buck, wofür sie in ihrer 173.000-EinwohnerInnen-Stadt im Zentralpott eigentlich genau zuständig ist, bekommt man eine klare Antwort: „Für alles.“ Letzte Woche rief eine türkischstämmige Mülheimerin an. Ihre Schwester liegt im Krankenhaus. Ihr Schwager hat sie querschnittsgelähmt geprügelt. Die Frau wird medizinisch versorgt, der Mann sitzt im Gefängnis. Und die Kinder? Vergessen. Antje Buck regelt das. Sie hat auch den Runden Tisch ‚Häusliche Gewalt‘ ins Leben gerufen und kürzlich einen ‚Studientag Zwangsheirat‘ veranstaltet. „Ich muss dafür sorgen, dass die Frauen die Gesetze kennen.“ Gerade die Gewalt­opfer landen oft im Büro der Frauenbeauftragten, denn eine Frauenberatungsstelle gibt es in Mülheim nicht. Jeden Donners­tagnachmittag hat Buck Sprechstunde, aber wer schnell einen Termin braucht, kriegt einen. Auch abends um acht. 
Antje Buck steht auch morgens um sieben auf einem Übungsplatz der Mülheimer Feuerwehr, um höchstpersönlich über den korrekten Ablauf des Eignungstests und die Einstellung einer angemessenen Anzahl Feuerwehrfrauen zu wachen. Bei der Gelegenheit hat sie den Test-Parcours gleich mitgemacht. Zumindest teilweise. „Damit die sehen: Die traut sich wat.“
Getraut hat sich Antje Buck schon was, als sie als erstes Mädchen der Familie in Witten bei Bochum aufs Gymnasium ging. Allerdings hatten ihre Vorfahrinnen ihr den Weg geebnet. Die Großmutter, das zweite von 13 Kindern, war „durchgängig berufstätig“. Später drängte sie den Großvater, der sich im Stahlwerk ­kaputt schuftete, zu einer Umschulung. Die Oma übersetzte Französisch und Englisch für die Geschäftsführung der Zeche Trapperfeld, der Opa ging zur Schule. „Und morgens hat er seiner Frau einen Kaffee ans Bett gebracht und uns Enkeln die Stullen geschmiert.“ Dass die Mutter Buchhalterin blieb, als Antje anno 1960 unterwegs war, war „Ehrensache“. Als dann Antje Buck ihrer­seits am Ende ihres Lehramtsstudiums mit 22 schwanger war, hechelte sie sich durchs Referendariat und wurde zwei Jahre später wieder vom nicht allzu aktiven Kindsvater geschieden. Lehrer wurden leider auch gerade nicht gebraucht, so dass sich Antje Buck in Jobs von Sonnenstudio bis MacDonalds wiederfand. Ihre Mutter gab ihr zwei Tipps. Erstens: „Lies mal die EMMA!“ Zweitens: „Mach wat!“ 
Seither arbeitet Antje Buck an der Gleichstellungsfront. Und beobachtet in Berlin mit gemischten Gefühlen eine „neue Frauenfreundlichkeit“. Denn die könnte sich, da sie „unter dem Primat demografischer Wunschvorstellungen“ stattfindet, „durchaus als feindliche Übernahme der Frauenfrage entpuppen.“
Der verstörte FAZ-Kollege sollte Antje Buck kennen lernen. Dann würde er feststellen, dass die Gleichstellungspolitik keine „unerklärliche und letztlich anonyme Strömung des Zeitgeistes“ ist. Und die Frauenbeauftragte keine Witzfigur.
Chantal Louis, EMMA 1/2007

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