Das Echo vom Eierstock
"Holleri du dödl di. Diri diri dudl dö". Unvergessen und immer noch zum Brüllen, wie die Klasse bierernst die „bisher erarbeiteten Elemente des Erzherzog-Johann-Jodlers frei vorträgt“. Zugegeben, es ist reichlich erwartbar, diesen Text mit Loriots berühmtem Sketch vom „Jodeldiplom“ zu beginnen. Aber es muss trotzdem sein. Denn die jodelnden Damen, um die es hier geht, haben wirklich „was Eigenes“.
Zum Beispiel ihren wunderbar anarchischen Namen: „Echo vom Eierstock“. Der ist schonmal per se lustig. Wie lustig, erschließt sich aber erst, wenn man weiß, dass viele traditionelle Schweizer Jodelgruppen sich gern nach einem Berg benennen. Die heißen zum Beispiel „Echo vom Bonistock“ oder „Echo vom Eggstock“. Dass sich der erste feministische Jodelchor der Schweiz „Echo vom Eierstock“ nennt, ist also sehr passend.
Seit Frühjahr 2022 jodeln und juchzen die inzwischen 50 Frauen und mischen die immer noch arg männerlastige eidgenössische Jodelszene auf. Das typische Jodelchörli besteht aus älteren Herren im Trachtenlook, da tanzen die eher leger gekleideten Jodlerinnen vom Eierstock zwischen 20 und 60 schon mal aus der Reihe. Aber das ist noch nicht alles. Auch den Texten der alten Lieder haben die feministischen Jodlerinnen „was Eigenes“ verpasst.
„Das Jodeln ist bei uns einfach ein Kulturgut und wir lieben die schönen Melodien“, sagt Gründungsmitglied Maja Schelldorfer. „Aber wir haben festgestellt: Viele Texte, die können wir heute so nicht mehr singen!“ Allzu oft handeln die traditionellen Jodellieder von Mädchen, die es zu erobern gilt, und die sich dabei bitteschön nicht so anstellen sollen: „Liebs Meitli, tönts lisig, jetzt schick di drii. Chli gstreichelt ond chli gschmeichlet, chli geschmötzelt, muess doch sii.“ Die feministische Variante dieses Textes klingt so: „Mir sind’s Echo vum Eierstock, traget auch e churze Rock, und ab und zu da hemmer halt einfach kei Bock.“ Oder so: „Wenn wiedermal nit ernst gno wirsch, wil ja nur es Fraueli bisch, chlopf einisch uf de Tisch und zeig werd’ bisch!“
Auch die ewiggestrige Erzählung vom Meitli, dessen Gang zum Tanzfest zwingend in Verlobung, Heirat und Geburt eines Kindes mündet, hat bei den Jodlerinnen vom Eierstock keine Chance. „Bei uns“, sagt Maja Schelldorfer, „tanzt die Frau fröhlich allein!“
Die Geburtsstunde des „Echo vom Eierstock“ war der Internationale Frauentag 2021. Elena Kaiser, Besitzerin eines Woll- und Strickladens in Stans am Vierwaldstätter See, dachte laut darüber nach, einen Frauen-Jodelchor zu gründen. Nicht nur Museumspädagogin Maja Schelldorfer war begeistert: „Wir haben gesagt: Mach das! Wir sind dabei!“ Am 8. März 2022 gaben die Jodlerinnen ihre ersten Lieder zum Besten, und zwar bei einer Schweizer Traditionsveranstaltung, die normalerweise Männern vorbehalten ist: dem Nidwalder Trycheltag. In der Nacht vom 5. Dezember ist es üblich, mit Kuhglocken, sogenannten Trycheln, in der Dunkelheit durch die Straßen zu ziehen, um mit dem Geläut die bösen Wintergeister zu vertreiben. Das „Echo vom Eierstock“ verlegte das Ganze auf den Internationalen Frauentag und zog trychelnd und jodelnd durch die Straßen von Stans.
Das „Organisationskomitee“, kurz OK, startete einen Aufruf und schon bald meldeten sich Frauen nicht nur aus Nidwalden, sondern aus weiteren Kantonen. Der „kunterbunte gemischte Haufen gemischter Frauen von 20 bis 60“, wie Maja Schelldorfer erzählt, fand bald auch eine musikalische Leiterin. Sie heißt Simone Felber und hat, kein Scherz, wirklich ein Jodeldiplom. Denn an der Hochschule Luzern kann man seit 2018 tatsächlich im Rahmen des Studiengangs „Volksmusik“ Jodeln im Hauptfach studieren. Dieses Studium schloss die Mezzosopranistin nach ihrem Master of Arts in „Vokalpädagogik“ ab.
Die diplomierte Jodlerin brachte den Frauen alles über den Kehlschlag bei, jenen Wechsel von Brust- zu Kopfstimme, der das Jodeln ausmacht. Den ersten großen Auftritt hatte das „Echo vom Eierstock“ bei den Stanser Musiktagen im April 2023. Das Fernsehen berichtete über den ersten feministischen Jodelchor der Schweiz. Es kamen 370 ZuschauerInnen, mehr passten nicht in den Saal. Draußen standen die Menschen Schlange.
„Wir haben anscheinend einen Nerv getroffen!“, sagt Maja. Aber: „Wir haben auch Postkarten und anonyme Mails mit Beschimpfungen bekommen. Dass wir die Tradition aufbrechen, passt manchen offenbar nicht. Und dann hören sie noch das Wort ‚Feminismus‘ – und plötzlich sind wir ein Haufen hysterischer, männerfeindlicher Weiber.“ Das zeige aber eigentlich, „dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagt Maja Schelldorfer und versichert: „Wir verstehen uns keineswegs als Konkurrenz, sondern als Ergänzung.“
Doch beim diesjährigen Eidgenössischen Jodlerfest am Zuger See, bei dem vom 15. bis 18. Juni wieder 15.000 (!) JodlerInnen und 200.000 (!!) ZuschauerInnen dabei waren, hat das „Echo vom Eierstock“ nicht teilgenommen. Noch nicht. „Es braucht wohl noch seine Zeit, bis der Eidgenössische Jodlerverband uns eine Einladung schicken wird“, meint Maja Schelldorfer. Aber beim nächsten Mal, in drei Jahren, wer weiß …? Denn der Eidgenössische Jodlerverband hat seit 2009 eine weibliche Vorsitzende. Als Karin Niederberger damals nach exakt 100 Jahren als erste Frau an die Spitze gewählt wurde, war das eine Sensation.
Inzwischen wurde die Schweizer Chefjodlerin zum dritten Mal wiedergewählt. Dass die geschiedene, zeitweise alleinerziehende Mutter von sechs Kindern und gelernte Fleischereiverkäuferin damals zu hören bekam, sie gehöre an den Herd und nicht an die Spitze eines Jodelverbandes – diese Zeiten sind vorbei. Aber den Kampf um die Öffnung des Verbandes für Innovatives führt Karin Niederberger immer noch. Und diese Worte des feministischen „Echo vom Eierstock“ würde Jodelpräsidentin Niederberger ganz sicher unterschreiben: „Hör uf mir d’Wält z’erkläre, susch wirdi no räss, Mansplaining chani bruche wie Pickel am Gsäss.“
CHANTAL LOUIS