Dilemma: Ein Vater unter Verdacht

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Ein älterer Nachbar hat mich einmal besorgt und heimlich zur Seite genommen: Ob ich denn eigentlich arbeitslos sei? – Ich: Arbeitslos? – Er: Weil ich doch den helllichten Vormittag mit meiner kleinen Tochter auf dem Spielplatz verbringe. 

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Für ihn ist das wohl eine Tageszeit, in der rechtschaffene Männer Besseres zu tun haben sollten, als sich um ihre Kinder zu kümmern, einkaufen zu gehen, zu putzen … Das hat er alles nicht mehr gesagt, da ich ihn und mich schnell mit der Erklärung beruhigt hatte, dass wir uns Fami­lienarbeit und Job 50:50 aufteilen, und meine Frau eben jetzt gerade arbeitet, also hoffe ich wenigstens … Verlegenes Lachen.

Er versteht das. Es hat ja nichts mit ihm per-
sönlich zu tun ...

Natürlich hat der nachbarschaftliche Übergriff extrem gut in meinen eigenen Film gepasst: Wir lebten damals in einem eher ländlichen Umfeld außerhalb von Köln. Wenn ich da mit meiner kleinen Tochter im Tragetuch oder später an der Hand wackelnd durchs Dorf marschierte zum Einkaufen oder auf den Spielplatz, folgten mir gedehnte Blicke … Vielleicht waren die Blicke bloß überrascht, erstaunt? Vielleicht war nur ich misstrauisch? Ich weiß es nicht. Jedenfalls fühlte ich mich beobachtet, beäugt und hätte mich damals nicht gewundert, wenn jemand die Polizei gerufen hätte, um mal nachzusehen, ob mit dem Typen da und dem kleinen Kind alles seine Richtigkeit hat. 

Ich hatte in dieser Zeit tatsächlich mein Gespür verloren, wer wirklich freundlich interessiert war und wer mir diese Freundlichkeit nur vorspielte. Meine Weltsicht hatte sich seltsam verschoben.

Ich bin Mitte 40, freiberuflicher Autor und Radiojournalist, Akademiker, weiß, weder Schwabe in Berlin noch schwul und trage noch nicht einmal eine Brille. Es wird in Deutschland kaum eine Gruppe geben, die weniger von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen wäre. Und ich konnte fast 35 Jahre lang unbehelligt leben in diesem Land, bis ich zum ersten Mal eine leise Ahnung davon bekam, wie das wohl sein muss als Teil einer Minderheit, komisch beäugt und ja, verdächtig zu sein und ohne eine ehrliche Chance, sich dagegen zu wehren. Natürlich hätte ich die ­älteren Herr- und Frauschaften in unserem Dorf direkt ansprechen können, ihnen unser Lebensmodell erklären, gemeinsam Kaffee trinken, sie zu uns einladen. Das hätte sogar klappen können, weil ich ja sonst untadelig bin. Aber ich habe es nicht ausprobiert, bin stattdessen im Wald mit meinen Kindern spazieren gegangen und bald darauf umgezogen.

Die ersten wirklichen Konfrontationen mit dem Generalverdacht sollten noch folgen. Unsere älteste Tochter war damals vielleicht vier Jahre alt und hatte Besuch. Irgendwann saß ihre Freundin dann bei uns auf dem Klo. Als sie fertig war, rief sie mich – logisch. Doch gerade noch Hausmann und fürsorgender Vater, fühlte ich mich plötzlich wie der böse Onkel von ­nebenan. Einem fremden Kind den Po ­abzuwischen, schien mir nicht richtig. Da ich aber alleine war mit den Kindern, tat ich das Naheliegende und verdrängte den Impuls, mir telefonisch bei den Eltern das Okay zu holen.

... sondern mit dem gestiegenen Bewusstsein in der Gesellschaft

Die zweite Erfahrung war dann schon konkreter: Unser Sohn hatte im Kindergarten die ersten Kontakte geknüpft und wollte sich nachmittags mit einer neuen Freundin verabreden. Wir Eltern kannten uns noch gar nicht, also trafen wir uns unverfänglich in der Mitte, auf dem Spielplatz, die Kinder werden sich schon erkennen. Eine interessante Art von Blind Date. Das muss sich die andere Mutter wohl auch gedacht haben, weshalb sie ihre eigene Mutter mitbrachte, für alle Fälle, man kann ja nie wissen. Da standen wir dann auf dem Spielplatz, drei Generationen, und plauderten ganz unbefangen: „Ah, ihr seid neu hier, noch eine große Schwester, hmhm…“. Das Wetter war schmuddelig, und irgendwann hatten die Kinder keine Lust mehr auf nasse Rutsche, kalte Turnstangen und klebrigen Sand, sie wollten gemeinsam zu uns, die Kinderzimmer entdecken. 

Vielleicht habe ich die beiden Frauen wirklich aus freien Stücken zu uns eingeladen, vielleicht blieb mir aber auch einfach keine andere Wahl. Ich sage mal so: Das Mädchen sollte oder wollte nicht alleine mit zu uns kommen. Kein Problem, klar, sie war ja erst vier. Grund genug, dass die beiden großen Frauen mitkamen, um die Kleine – ja was, zu beschützen? 
Denn kaum standen wir bei uns im Flur, ist sie ganz schnell mit nach oben im Kinderzimmer verschwunden. An ihrer Schüchternheit kann es also nicht gelegen haben, dass die beiden Frauen trotzdem ihre Jacken auszogen und mit ins Wohnzimmer kamen. Bin ich zu misstrauisch, wenn ich mich kontrolliert fühlte? Wollten sie mich einfach besser kennen lernen? ­Jedenfalls stand das Geschirr vom Mittagessen noch auf dem Tisch, meine entschuldigenden Bemerkungen wurden von der Großmutter verständnisvoll weggewischt, das sei bei ihrer Tochter auch nicht anders. Die saß daneben und versuchte freundlich, Haltung zu bewahren. Wie soll das denn bei einem Mann klappen, wenn es bei der eigenen Tochter schon nicht funktioniert, vollstes Verständnis von allen Seiten. 

Vielleicht hätte ich nicht nebenher das Geschirr weg- und die Küche aufräumen sollen. Vielleicht hätte ich mehr von mir erzählen sollen, wie ich das so mache mit drei Kindern, meine Gefühle zum Thema Väter im Haushalt oder so? Oder ein paar Kindergartenanekdoten über unbeholfene Männer? Das Gespräch wollte nicht so richtig in Gang kommen, und insgesamt scheint der Besuch nicht so gut verlaufen zu sein. Wir haben uns danach nicht mehr getroffen, die Kinder auch nicht. Vielleicht aber habe ich ja alles falsch verstanden, vielleicht war alles nett gemeint und ich bin hier der Spielverderber. Mag sein, in diesem Fall, der aber kein Einzelfall geblieben ist.

Es war für mich immer wieder eine ­verletzende Erfahrung, all die Mütter an unserer Haustüre zu erleben, die mit ­unterschiedlichem Erfolg versuchten, ihre Gesichtszüge und Körperhaltung unter Kontrolle zu halten, wenn sie erfuhren, dass meine Frau gar nicht da ist, dass ich mich kümmern werde, wenn Lili, Timo, Emily oder Max zu Besuch kommen, dass sie ihre Kinder nun also in meine Obhut würden übergeben müssen. 

Die Blicke, als ein paar Wochen später dann eins der Kinder auf dem Spielplatz auf mich zugerannt kommt, mich zur ­Begrüßung umarmt und von mir auf die Schaukel gehoben werde möchte. Die Blicke, wenn ich als einziger Mann mit anderen Müttern in einem Pekip-Kreis sitze, um uns herum eine Bande kleiner Kinder, die wir ausziehen, massieren, die dann nackt um uns herumkrabbeln, während wir uns über die glücklichen Momente und Schwierigkeiten des Elternseins austauschen. Die Blicke, wenn ich mit meinen Kindern in der Familiensammelumkleidekabine im Schwimmbad stehe und eine Mutter mit ihren Kindern dazukommt – oder umgekehrt, wenn ich in die Kabine komme und dort schon ein paar Frauen mit Kindern drin sind, halb ausgezogen. Diese unglaubliche Scheu, die viele Kinder haben vor fremden und auch gar nicht so fremden Männern.

Ich verstehe schon, dass das alles nichts mit mir persönlich zu tun hat, sondern nur die ganz allgemeine Vorsicht ist. Aber ich war schon geschockt, als mir ein guter Freund ins Gesicht sagte, er könne die ­anderen Mütter schon verstehen, nichts gegen mich, doch es gab ja tatsächlich an einer Schule in der unmittelbaren Nachbarschaft einen Fall seltsamer Übergriffe, mit Kinder-auf-den-Schoß-nehmen während der Hausaufgabenbetreuung und allzu innige Tröstrituale. Und auch die Phantombilder mit der Warnung der Polizei, dass ein Mann durchs Viertel streife und Kinder anspreche, hat zusätzlich auf die Stimmung gedrückt. Da half auch der Informationsabend an der Grundschule nicht weiter, die Aufklärung, dass die statistischen Daten unverändert, die offiziellen Zahlen von Kindesmissbrauch in den vergangenen Jahrzehnten nicht gestiegen seien. Und das, obwohl die Menschen insgesamt sensibler geworden seien, obwohl heute mehr Männer in der Kinderbetreuung arbeiten als noch vor ein paar Jahren. 

Aber manchmal ist er schon geschockt über die Reaktionen. 

Aber was hat das mit mir zu tun? Sehe ich etwa aus wie Gert Fröbe in „Es geschah am helllichten Tag“? Oder all die anderen Typen in den viel zu vielen Krimis, in denen es um Kindesmissbrauch geht? Warum blenden wir aus, dass das abendliche Gruseln vor dem Bildschirm sehr wohl Einfluss nimmt auf unsere Wahrnehmung im Alltag?

Die Berliner Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ gibt an, dass 40 Prozent der ­Eltern gegenüber männlichen Erziehern Bedenken haben. 

Wie können wir ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem Männer ernst genommen werden, wenn sie sich in die Erziehungsarbeit einbringen, ob beruflich oder privat? Und wie können wir dabei gleichzeitig unsere Kinder schützen? Und wie gehen wir um mit einer übersexualisierten Kleidung durch Tangas, Push-ups, Hotpants und Highheels in Kleinkindergrößen? 

Stelle ich mir diese Fragen nur, weil ich nicht selbst unter Generalverdacht stehen möchte? Schütze ich meine Kinder unzureichend, bin ich nicht misstrauisch genug, bloß weil ich nicht möchte, dass mir selbst misstraut wird? Ich weiß es nicht. Ich bin einfach ratlos.  

Sascha Verlan - Der Autor ist Vater dreier Kinder. 

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Generation Vater: Bessere Mütter?

Pascal und Eva-Maria Furgler mit ihrem Sohn Santiago.
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Hier sehen wir Pascal und Eva-Maria Furgler (Foto oben) mit ihrem Sohn Santiago. Pascal ist Cover-Boy der aktuellen EMMA (siehe rechts oben). Zusammen mit seinem Sohn Santiago, der ist auf dem Titelfoto noch vier Monate alt. Inzwischen sind es schon 14 Monate. Bisher hat alles bestens funktioniert, finden die Eltern, die in Bern leben.

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„Der Haushalt ist kein Problem“, sagt Pascal. „Wir machen alles zusammen. Das klappt super. Wir verbringen viel Zeit mit dem Kleinen, haben aber auch Zeit für uns.“ ­Pascal ist Fußballtrainer von Beruf (bei dem Nachwuchsteam BSC Youngboys Bern) und Eva-Maria Heilpädagogin an einer Schule. Sie arbeitet halbtags, er 80 Prozent seiner Zeit (beim Training und im Studium). Die Mutter ist also etwas mehr involviert. Sie ist an zwei Tagen in der Woche zuhause, der Vater an einem – und an zwei Tagen kommt der Kleine in die Kita. Alle sind zufrieden!

Das Titelfoto entdeckte EMMA auf der Webseite von Manuel Uebersax. Der Fotograf realisiert gerade eine Fotoserie über die so genannten „neuen Väter“, die permanent aktualisiert wird. Väter melden!

Die neuen Väter sind bei EMMA ­Dauerthema. Zum ersten Mal titelten wir mit ihnen und der Forderung nach Vaterschaftsurlaub im Jahr 1979 (!). Sieben Jahre später konnten auch Väter „Erziehungsurlaub“ nehmen. Und erst 28 Jahre später führte Frauenministerin von der Leyen das „Elterngeld“ ein. 

Um die "Generation Vater" geht es in der aktuellen EMMA, die am 30. April erscheint: Zum Beispiel den Handwerker Thomas, der ein ganzes Jahr in Elternzeit ging und damit seine Kollegen reichlich irritierte. Oder Top-Manager Mohamed El-Erian, der seinen Job kündigte, um seine Tochter aufwachsen zu sehen, und damit ein Beben an der Wall Street auslöste. Oder die Zeit-Kollegen Wefing und Brost, die fragen: „Warum, verdammt nochmal, ist es so schwer, alles miteinander zu vereinbaren – das Vatersein, die Liebe und den Job?“ Antworten in der aktuellen EMMA.  

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