EMMA auf der Gamescom

Linda vom Team der Indie Arena Booth.
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Ein Mal im Jahr findet in Köln die größte Computerspiele-Messe der Welt statt: Die Gamescom. Rund 350.000 BesucherInnen sind diesmal angereist, so viele wie noch nie zuvor. Wie in einem Adventure-Videospiel möchte ich mich mit folgender Frage dorthin aufmachen: Was hat die Gamescom für Mädchen und Frauen zu bieten? Ich suche: Gamerinnen und Entwicklerinnen, Awareness und Equality. Das bringt jeweils fünf Punkte. Sexismus bringt Minuspunkte. So sind die Regeln. Das Ziel: 100 Punkte.

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Und ganz wie in einem richtigen Adventure habe ich keinen Schimmer, was mich auf dem 400.000 Quadratmeter großen Messegelände erwartet. Ich habe nur acht Stunden Zeit. Zum Rätseln und Kombinieren. Für Dialoge mit Menschen, die meinen Weg kreuzen und die mich auf die richtige Fährte bringen. Und ich darf mich nicht verlaufen, das ist auch wichtig.

Yvonne mochte den World-of-Warcraft-Tanzwettbewerb

Selbstverständlich mache ich mich nicht ohne Hilfsmittel auf den Weg. Ich trage einen Block mit einer geheimnisvollen Notiz: „Indie Arena Booth“. (Tipp von einem Freund, was ich mir unbedingt anschauen soll); eine magische Box, die alle Fragen beantwortet (mein internetfähiges Smartphone); und eine mächtige Waffe unterm Arm namens EMMA, bei deren Anblick Männer sofort zu Staub zerfallen (na ja, ihr wisst schon!). Nun also los!

12 Uhr. Das Tor zu meinem Abenteuer zu finden, ist einfach: Ich folge den CosplayerInnen. Das sind Leute, die sich wie Fantasy-Figuren aus Filmen, Comics oder eben Videospielen verkleiden. Und dann bin ich auch schon mitten drin im Spektakel. Erster Eindruck: Hier rennen deutlich mehr Gamerinnen rum, als ich erwartet hatte. SCHARRRRING. Mein Punkte-Stand steigt prompt auf fünf. Erst mal orientieren!

Direkt nach Eintritt ins Abenteuer treffe ich Jan und Alex, beide Mitte 30. Sie tragen Camouflage-Anzüge, sind maskiert und haben jeder eine große Wumme in der Hand. Das müssen diese gefährlichen Computer-Nerds sein, vor denen immer alle warnen. Ob sie mir trotzdem helfen können? Alex und Jan stellen sich als „Live-Action-Rollenspieler“ vor, kurz LARP. Alex organisiert sogar selbst so ein Endzeit-Rollenspiel. Ich deute auf die Wumme. Ganz schön groß. Nein, nein, klärt Alex auf, alles nur Deko! Ballern sei bei LARPS nicht angesagt, es handele sich schließlich um ein „soziales Spiel“, bei dem die „Interaktion“ im Mittelpunkt stehe. „Ich bin eher der Typ, der gerne redet!“. Aha. Aber so komme ich nicht weiter.

Überall balgen sich Jugendliche um Werbe-
geschenke

Ein paar Schritte weiter treffe ich auf den Pyramiden-Mann und das Pokemon-Mädchen. Der Pyramiden-Mann hat, das legt der Name nahe, eine riesige Pyramide auf dem Kopf und trägt eine etwas zu groß geratene Papp-Axt. Das Pokemon-Mädchen trägt ein Pokemon-Stofftier. Die beiden heißen Mark und Yvonne. Yvonne hat auf der Gamescom der World-Of-Warcraft-Tanzwettbewerb am Vortag besonders gut gefallen. Da imitieren Gamer und Gamerinnen die Tanzkünste der Charaktere aus dem Multiplayer-Online-Game vor einer Jury auf der Bühne. SCHRRRING. Macht 10 Punkte. Tanzende Nerds? Großartig!

Jetzt steht Sailor Moon vor mir, zumindest denke ich das. Aber Miriam, 16 Jahre alt und im rosa Tütü, klärt mich auf: „Ich bin Pico, ein sehr beliebter Charakter aus einem japanischen Animé“. Pico ist ein 12-jähriger Junge der gerne rosa Kleider trägt. Ein gender-sensibles Thema! SCHARRRRRRRING! Macht 15 Punkte! Miriam weiter: „Und dann fängt er eine Affäre mit einem deutlich älteren Mann an …“ Wie bitte?! Dödödödööööö. Fünf Minuspunkte. Schnell weiter!

Jetzt bin ich in Messehalle 10.1 gelandet, der „Entertainment Area". Es poltert, es piept, es plärrt, es knattert. Licht kommt hier nur von Bildschirmen oder den bunt beleuchteten Messeständen - mal blutrot, mal tief blau. Plötzlich: Geschrei. Was ist da los? Vor der kleinen Schau-Bühne eines Hardware-Herstellers stehen etwa 50 Jugendliche und balgen sich um Kappen, die ein Mann, assistiert von einer junge Frau in Hotpants, in die Menge wirft. „Wo sind die Jungs?!?!“ brüllt der Einpeitscher ins Mikrofon. „Gröhl“, antworten die Jungs. „Wo sind die Mädchen?!“ Bescheidenes Raunen. Dann hält der Einpeitscher eine Festplatte in die Höhe. „Sorry, Mädels, das ist jetzt nur was für die Jungs.“ Seriously?! Mädchen brauchen keine Festplatten?! Dö-dö-dö-dööööö! Mein Punktestand sinkt zurück auf fünf. Nerv!

Egal wo ich hinschaue: Überall Jugendliche, die sich um Werbegeschenke balgen. Wie auf einem Jahrmarkt schallt das Gebrüll der Einpeitscher durch die Halle. Für die Kunden von morgen.

An einer Bühne begegnet mir Elisabeth. Sie arbeitet für die Software-Firma, der hier für ihr Audio-Programm wirbt. „Sag mal, warum stehen eigentlich immer Mädels in Hotpants auf der Bühne, wie bei euch?“, frage ich. „Verstehe ich auch nicht!“, schimpft Elisabeth. „Es ist auch nicht so, als hätten wir vorher nicht darüber diskutiert! Ich war ja gegen Mädchen auf der Bühne, aber ich wurde überstimmt.“ SCHRING. Fünf Punkte plus, macht zehn Punkte. Immerhin.

Jetzt stehe ich vor der „Indie Arena Booth"! Hah! Die geheimnisvolle Notiz auf meinem Block. Das also steckt dahinter! Hier stellen 45 kleinere Studios aus 15 Ländern ihre Produkte vor. Die Indie-Szene ist der Innovations-Motor der Branche. Hier wird deutlich mehr experimentiert, als bei den Blockbustern-Spielen von Sony, Nintendo oder Microsoft.

Warum immer nur Helden? Auch Frauen spielen!

Mir gefällt ein Plakat, auf dem sowohl eine Frauen- als auch eine Männersilhouette abgebildet ist: „Metrico“. Ein sogenanntes Puzzle-Platform-Game, das Säulendiagrammen Leben einhaucht. Permament fahren Elemente hoch und runter. Die Spielenden müssen das vorhersehen, um sich über diese Säulen fortzubewegen. Sie können zudem entscheiden, ob sie einen Mann oder eine Frau spielen möchten. (Das ist auch im Jahr 2015 bei so einigen Games noch nicht möglich). „Wieso habt ihr das so gemacht?“, frage ich die Macher aus Holland. Antwort: „Warum sollte es nur einen männlichen Charakter geben, wenn auch Frauen das Spiel spielen?“ SCHRING. 15 Punkte. Yeah!

Ich mache mich auf die Suche nach jemandem, der den Überblick hat über den Indie-Stand. Ich frage einen Typen, der einen anderen Typen fragt, der mich zu einer rothaarigen Frau bringt. Sie heißt Linda und zählt zum Orga-Team des gesamten Independent-Bereichs. SCHRING. 20 Punkte! Linda ist eigentlich Projekt-Managerin bei dem Spiele-Hersteller Ubisoft und dort u.a. für „Siedler Online“ mitverantwortlich. Ihr Großvater war verrückt nach Computerspielen und hat die Enkelin angesteckt. Ob sie mir denn eine Spiele-Entwicklerin vorstellen könne? . „Klar!“, sagt Linda.

Sie führt mich zu Julia, die extra aus New York angereist ist um auf der Gamescom ihr Spiel „Mushroom 11“ vorzustellen. Darin steuert man einen grünen Fungus durch eine apokalyptische Welt.

Julia ist 32 Jahre alt und kommt eigentlich aus dem Mittleren Westen. In New York leitet sie zusammen mit ihrem Mann und einem weiteren befreundete Ehepaar die Spiele-Schmiede „Untame“. Sie ist Designerin und Programmiererin. „Die Independent-Szene unterstützt Frauen stark, die in den Bereich rein wollen“, berichtet sie. SCHRING. 25 Punkte. Bloß gestern, da war Julia noch auf einer Party mit anderen Game-Entwicklern. Sie war die einzige Frau. Mal wieder. Dödödödöööööö. Minus 5 Punkte.

Es ist jetzt 15 Uhr. Punktestand: 20. Verbleibende Zeit: Fünf Stunden. Ich muss mich ranhalten und wechsele in Halle 9. Zugegeben: Ich war ja schon von der „Entertainment Area“ beeindruckt. Allerdings kannte ich da die pompöse Selbstinszenierungen der Branchen-Giganten noch nicht. Willkommen in der „Battle-Arena“ von „Final Fantasy XIV“, einem Multiplayer-Kampf-Spiel aus Japan. Wie das Dutzend Spieler am Rechner fightet, wird auf einer riesigen Leinwand für ein Publikum live übertragen. Und außerdem von zwei Moderatoren kommentiert wie ein Fußballspiel. Eine Gamerin im Publikum erklärt mir, dass das hier noch klein sei im Vergleich zu den richtigen eSport-Events in Japan, wo zehntausende ZuschauerInnen in Stadien zehn Gamer anfeuern. SCHRING. 5 Punkte.

Zehntausende ZuschauerInnen feuern zehn Gamer an

Gegenüber steht Friederike in der Warteschlange vor dem großen Pavillon, in dem das sogenannte Open-World-Game „Fallout 4“ präsentiert wird. Das scheint in diesem Jahr auf der Gamescom besonders wichtig zu sein - ganz Köln ist plakatiert mit der Werbung dafür. Es spielt in einem postapokalyptischen Amerika im Jahr 2077, kurz nach dem Atomkrieg. SpielerInnen können ihren Charakter hier an eigene Wünsche anpassen – und sie können auch eine Frau spielen. Friederike ist 21 Jahre alt und wartet nun schon eine Weile. Sie studiert Mediendesign und möchte danach selbst Games entwickeln. Die Gamescom besucht sie zum vierten Mal. Früher seien ja nur sehr wenige Frauen auf der Messe gewesen, berichtet Friederike. Dieses Jahr sind es zwar schon ziemlich viele - aber es könnte ruhig noch mehr werden, findet sie. SCHRING. 30 Punkte! Es läuft! Cool!

Ich gehe weiter und passiere das große Nintendo-Areal. Super Mario wird im September 30 Jahre alt. So müssen sich meine Kolleginnen in der Redaktion fühlen, wenn sie von damals berichten, als es noch das Klebelayout gab …

Halle 6. Allmählich bin ich überfordert von den riesigen Plakaten mit muskelbepackten Kampfhelden und miesepetrig dreinblickenden Kreaturen. Irgendwo rattert immer ein Maschinengewehr. Vor den blickdichten Pavillons der Spiele-Giganten hocken die Umdiezwanzigjährigen im Schneidersitz auf dem Boden. Mädchen wie Jungs. Sie warten Stunden, um im Inneren der Pavillons einen kurzen Blick auf die neuen Fassungen der bekanntesten Spiele zu erhasche. Die Branche hat im vergangenen Jahr 2,7 Milliarden Umsatz gemacht, mehr als die Filmindustrie oder die Bundesliga. Selbst ich kenne ja so einige der großen Titel vom Namen her: Assasin‘s Creed oder Call of Duty. Und das, obwohl ich die noch nie gespielt habe.

Irgendwo rattert immer ein Maschinen-
gewehr

Auf einer großen Bühne ganz hinten durch sitzen drei Männer Anfang 30 und diskutieren über „Star Wars: Battlefront“. Neben der Bühne läuft auf einer großen Leinwand der Trailer zu dem Spiel, sieht aus wie ein Hollywood-Film. Als ich näher komme, sind die drei Jungs gerade bei ihren Lieblingscharakteren aus den Kult-Filmen angekommen. Prinzessin Leia steht bei dem einen auf Platz Zwei. Und zwar „im Sklavinnen-Outfit“. Auf Platz Eins steht bei dem anderen der schlabbrige Bösewicht Jabba. Denn der "is'n nicer Typ und hat ne Frau an der Kette, Alter!" - meint: Prinzessin Leia im Sklavinnen-Outfit. Das Publikum johlt. Dödödödöööö. Wieder runter auf 25 Punkte.

Ich eile zum Fifa-Stand. Hier kann ich Punkte holen. In der neuen Version des beliebten Fußball-Spiels gibt es jetzt auch Frauen-Nationalmannschaften. Warum eigentlich erst jetzt, 24 Jahre nach der ersten Frauen-WM? Egal! SCHRING! 30 Punkte.

Zufällig treffe ich Tobi. In einem Computerspiel wäre er wahrscheinlich ein gütiger Magier, der aus dem Nichts auftaucht, um mir zu helfen. Im echten Leben ist er ein wahrer Kenner der Gaming-Szene – wir kennen uns seit 15 Jahren. Tobi hat einen Tipp: Kate Edwards aus Seattle, mit der müsse ich unbedingt sprechen. Bloß: Edwards hat die Messe schon verlassen? Wird sie zurückkommen?

Während ich warte, lerne ich Mareike kennen. Mareike hat das viel beachtete (und wirklich bezaubernde) Point-and-Click-Adventure „The Inner World“ mitentwickelt. Im Mittelpunkt der Handlung steht das rotzige Mädchen Laura (SCHRING!). Mareike ist auch Professorin für Gamedesign an der HAW Hamburg. Am Mittwoch hat sie auf dem „Women in Tech Day“ (SCHRING!) anlässlich der Gamescom über Vielfalt in der Spieleindustrie gesprochen. Das macht für mich: zehn Punkte plus.

Die Brüste müssen wirklich nicht so groß sein

Kate Edwards ist da! Sie ist die Chefin der „International Game Developers Association“. Sozusagen die Interessensvertretung der Spiele-EntwicklerInnen. Außerdem berät sie Firmen in Sachen „Darstellung von kulturellen Aspekten in Games“. Also auch: Wie Frauen so dargestellt werden. „Ich weise die Entwickler zum Beispiel auf Klischees hin. Etwa: Die Brüste müssen wirklich nicht so groß sein!“, sagt Kate. Sie war auch ein Opfer der Gamergate-Attacken im vergangenen Jahr. Denn sie ist glühende Fürsprecherin für mehr Frauen in der Spiele-Industrie. Ich finde, Kate gibt 20 Sonderpunkte! SCHARRRRRRRIIIIIIIING.

19.45 Uhr. Die Gamescom schließt. Auch ich verlasse erschöpft die Hallen. 60 von 100 Punkten. Gar kein so schlechter Schnitt für eine Anfängerin.

Alexandra Eul

PS Der Christian, einer von den Dreien aus dem Star-Wars-Absatz, regt sich übrigens seit gestern Abend ziemlich auf. Worüber? Über diesen kleinen Text. Shitstorm gegen EMMA, da hat er „Bock drauf“! Shitstorm? Geil! Hatten wir lange nicht mehr! Ach ja, es gibt jetzt auch das Video zur Veranstaltung. Habt ihr ja alles noch viel krasser gesagt, Alter! Darum haben wir jetzt aktualisiert (am 11.8.).

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Wollen die nur spielen?

Anita Sarkeesian analysiert Sexismus in Computerspielen.
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Beginnen wir mit einem Geständnis: In der EMMA gibt es keine, die Computerspiele spielt (außer Grafikerin Silvie). Aber mit Beleidigungen und Drohungen im Internet und mit Hass auf Frauen kennen wir uns aus, Alice Schwarzer allen voran. Also mit den Zutaten, die die Diskussion über Sexismus und sexuelle Gewalt in der Gamerszene unter dem Hashtag „#Gamergate“ seit Monaten am Kochen halten.

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Bis hin zur New York Times und zur Tagesschau wurde berichtet über die Übergriffe im Internet auf Frauen. Doch diese Attacken von Frauenhassern sind ein immer wiederkehrendes Szenario, das gespielt wird, sobald Frauen ihren Platz in der Welt einfordern, in dem Fall in der digitalen Welt. Und es funktioniert stets nach denselben Mustern. 

Fall 1 Im August 2014 verließ die amerikanisch-kanadische Analystin für Computerspiele Anita Sarkeesian nach Morddrohungen ihre Wohnung. „Ich werde dich zu Tode vergewaltigen“, hatte einer ge­twittert, samt Anitas Adresse. „Und deine Eltern werde ich auch umbringen.“ Sarkeesian analysiert auf ihrem Blog Feminist Frequency seit 2012 in einer Videokolumne Sexismus in Computerspielen. „Tropes vs. Women in Video Games“ heißt das Projekt. Über 300 Spiele sind im Visier, von Nintendos „Super Mario“, in dem Frauen nur als Jungfrau in Nöten auftauchen, bis zur Action-Spiel-Serie „Grand Theft Auto“, in der Spieler in die Unterwelt Krimineller eintauchen. Da gibt es auch Prostituierte. Und wer diese Frauen nach dem Sex mit einer großkalibrigen Schusswaffe abknallt, bekommt sein (Spiel-)Geld zurück. 

Als Game-Expertin Sarkeesian 2012 eine Kickstarter-Kampagne lancierte, mit der sie über 150.000 Dollar für ihr Projekt sammelte, programmierten aufgebrachte Gamer „Beat up Anita Sarkeesian“ (Anita Saarke­sian zusammenschlagen). Jeder konnte ­Anitas Gesicht via Mausklick grün und blau prügeln. Soweit die virtuelle Gewalt. 

Zur realen Gewalt ist es dann nur noch ein Schritt. Als Sarkeesian im Oktober 2014 einen Vortrag an der Universität in Utah halten wollte, kündigte ein gewisser Marc Lépine „das schlimmste Schul-Massaker“ an, das Amerika je gesehen hatte. „Feministinnen haben mein Leben ruiniert und ich werde mich rächen“, stand in seiner E-Mail an die Universität. Seinen Namen hatte der Mann sich ausgeliehen: Bei dem echten Lépine, der 1989 in Montreal in eine Ingenieursschule ging und 14 Frauen erschoss. Der Amokläufer hatte das Feuer mit den Worten eröffnet: „Ich hasse Feministinnen!“ (EMMA 2/1990). 

Sarkeesian sagte den Auftritt ab. Die Universität hatte ihr mitgeteilt, sie könne wegen der Gesetzgebung in Utah niemanden in Besitz einer gültigen Schusswaffenlizenz daran hindern, eine Waffe bei sich zu tragen. 

Fall 2 Im August 2014 eskalierten auch die Drohungen gegen Spieleentwicklerin Zoe Quinn – der eigentliche Auslöser für „Gamergate“. Quinn hatte 2013 das Spiel „Depression Quest“ veröffentlicht, in dem jede und jeder in die Welt eines depressiven Menschen eintauchen kann. „Die Belästigungen begannen an dem Tag, an dem das Spiel veröffentlicht wurde“, sagt sie. Sie schaukelten sich hoch, als die Erfinderin Preise erhielt. Als dann das Spiel im Sommer 2014 auf „Steam“, einer bekannten Download-Plattform für Computerspiele, landete, veröffentlichte Quinns Ex-Freund einen Blogbeitrag, in dem er nicht nur die ­intimsten Details über die gemeinsame Beziehung ausplauderte, sondern ihr auch unterstellte, sie habe Affären mit Spielejournalisten, um sich positive Rezensionen zu erschleichen. 

Das gab Zoe zum Abschuss frei. „Das nächste Mal, wenn sie auf eine Konferenz kommt, machen wir sie zum Krüppel. Wir fügen ihr eine Verletzung zu, die nie wieder heilt. Ich würde ja einen Gehirnschaden vorschlagen, aber dann ist sie nachher zu behindert, um Angst vor uns zu haben“, schrieb einer in dem für Hass­attacken berüchtigten Forum „4Chan“. Quinns private Daten – Adresse, Konto, Versicherungen, Krankenkasse – wurden gehackt und im Internet veröffentlicht. Darunter auch Nacktfotos von ihr. „Doxxing“ nennt sich das heute. Anonyme Männer riefen bei ihrem Vater an und brüllten, dass seine Tochter eine „Hure“ sei. Auch Zoe Quinn flüchtete aus ihrer Wohnung. 

Jede und jeder konnte währenddessen auf Twitter live verfolgen, wie sich die Sache verselbstständigte. Tweets im Sekundentakt. Tagelang. Wer sich eigentlich hinter diesem unüberschaubaren Netzwerk aus Computerspielern verbarg, die als „Gamergate-Bewegung“ durch das Netz marodierten – unklar. Quinn: „Sie versuchen, ihren Frauenhass zu verschleiern. Aber sie diffamieren nur Frauen. Niemanden stört’s, wenn männliche Spieler mit Journalisten essen gehen.“ 

Als deutsche Bloggerinnen 2010 den Sexismus öffentlich machten, den sie täglich erleben, provozierte das ähnliche Reaktionen. Inklusive Morddrohungen. (EMMA 3/2010). Und als Wikipedianerinnen über den Sexismus innerhalb der Wikipedia-Community berichteten, hagelte es ebenso Hohn und Drohungen (EMMA 1/2013). Innerhalb der Wikipedia gab es kürzlich auch einen so genannten „Editierkrieg“ um den Gamergate-­Artikel. Mit dem Ergebnis, dass ein Schiedskommitee aus Administratoren fünf feministische AutorInnen für den ­Artikel sperrte. Drei davon dürfen nun für die Online-Enzyklopädie gar nicht mehr über Themen schreiben, die mit Geschlechterfragen zu tun haben. 

Die Drohkulissen gegen Frauen bauen sich immer gleich auf: Anfangs gibt es ein misogynes Grummeln in einschlägigen Foren. Dieses Grundrauschen wird unterfüttert mit Verschwörungstheorien über vermeintlich gefährliche Frauen, die durch angebliche Manipulation versuchen, die virtuelle Welt zu infiltrieren. Darüber wird dann fleißig auf Blogs und in den Kommentarspalten von Online-Nachrichtenmedien geschrieben. Und alle sind sich einig: Die Männer sind nicht Täter – sie sind Opfer.

Es werden Listen angelegt von Frauen, die es entweder zu beeinflussen oder auszuschalten gilt. Es werden Strategiepapiere verfasst. Es wird in Sozialen-Online-Netzwerken provoziert, beleidigt und gedroht. Und spätestens, wenn das komplette Privatleben einer Frau offengelegt wurde, ist es soweit: Attacke! Da müssen die Typen, die die Sache angezettelt haben, gar nicht mehr selbst agieren. Das erledigt dann einer, der komplett durchknallt. 

Und das Problem existiert nicht nur in der virtuellen Welt. Es hat ganz reale Vorläufer: in allen Domänen, die einst „Männerdomänen“ waren. So stieg zum Beispiel die Gewalt beim Militär gegen die Frauen schlagartig an, als Soldatinnen in den 1990er Jahren der uneingeschränkte Zugang bis hin zu den Kampftruppen und in die Generalstuben gewährt wurde. (In Deutschland stehen Frauen erst seit 2001 alle militärischen Laufbahnen offen). Bis heute stapeln sich bei dem Wehrbeauftragten des deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus, die Klagen von Soldatinnen über Mobbing und sexuelle Belästigung durch Vorgesetzte und Kameraden. Ein „sexualisiertes Arbeitsklima“ sei der „größte Risikofaktor für sexuelle Belästigung“ – auch das steht im Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten. 

Zurück zum Internet. Es ist nicht überraschend, dass es gerade jetzt die Spieleindustrie ist, in der es so heiß her geht. Denn es geht um viel. Der Spiele-Blockbuster „Grand Theft Auto V“ hat im Jahr 2013 am ersten Tag seiner Veröffentlichung 800 Millionen Dollar eingespielt; und allein in Deutschland hat die Computerspieleindustrie im selben Jahr 2,65 Milliarden Euro umgesetzt. Tendenz steigend. 42 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren, sprich etwa 30 Millionen Menschen, spielen laut Technikverband Bitkom hierzulande Computerspiele. 39 Prozent davon sind weiblich. In den USA haben die Frauen ganz aufgeholt: Genauso viele erwachsene Frauen wie Männer spielen.

Nur: Frauen und Männer bzw. Mädchen und Jungen spielen nicht das Gleiche. Der „Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest“ hat eine Studie veröffentlicht, in der 12- bis 19-Jährige befragt wurden. Jungen spielen am liebsten das Fußballspiel FIFA, den Ego-Shooter Call of Duty und Grand Theft Auto. Mädchen hingegen spielen am liebsten Quiz Duell und Candy Crush. Bei letzterem sortieren sie Süßigkeiten. 

(...)

Fall 4 ist Spiele-Entwicklerin Jana Reinhardt. Die 29-jährige  sitzt im ostdeutschen Halle. „Die Diskussion über Sexismus in der Spieleindustrie gärt auch in Deutschland seit Jahren“, sagt sie. „Männer wurden lange als einzige Zielgruppe hofiert, das muss sich ändern.“ Zum Beispiel, indem sich endlich mehr Frauen in den Bereich reintrauen. „Davon würde nicht nur das Arbeitsklima profitieren und es gäbe weniger Belästigung – vor allem wären die Spiele vielfältiger!“ Jana betreibt zusammen mit ihrem Freund ein eigenes Independent-Studio: „Rat King Entertainment“. Die beiden haben gerade das Spiel „Tri“ veröffentlicht.

Fall 5 ist Jennifer Schneidereit in Birmingham. Sie will Spiele kreieren, seit sie als Sechsjährige das erste Mal Pac-Man gespielt hat. Heute ist sie 36 Jahre alt, hat sowohl in Tokyo für einen Independent-Spiele-Entwickler gearbeitet als auch für den Branchenriesen Microsoft in England. Und jüngst hat sie die Spiele-Schmiede „Nyamyam“ mitgegründet. Sie sagt: „Wir lassen uns als Frauen nach all den Jahren doch nicht mehr sagen: Du darfst nicht mitmachen, weil du kein Mann bist!“ „Tengami“ heißt ihr Computerspiel, japanischen Einflüsse sind unverkennbar. Jennifer schreiben vor allem Spielerinnen, wie toll sie das finden. Und Jennifer findet: „Wir brauchen eine breitere Debatte über Sexismus in der Spieleindustrie!“. 

Die hat begonnen. Trotzdem fallen Sätze wie: So ist das eben im Netz, da ist der Ton ein bisschen rau. Das sind eben so ein paar vergrämte Jungs, die früher kein Mädchen abbekommen haben. 

EMMA wollte es genauer wissen und fragte beim Bundesministerium für Inneres und den Innenministerien der Länder sowie den Landeskriminalämtern nach der Anzahl an Frauen, die im vergangenen Jahr zum Beispiel via Facebook, Twitter oder E-Mail mit dem Tod bedroht wurden. Doch dafür hatte sich bisher scheinbar niemand interessiert. „Vermutlich müssten die Daten bundesweit überarbeitet werden, um diese neuen Formen der Kriminalität besser abzubilden“, antwortete unter anderem die Bremer Landesbehörde für Inneres und Sport. Und die Berliner Polizei schrieb: „Bei der Erfassung der Delikte werden die in Frage kommenden Bedrohungswege/Tatmittel wie von ihnen aufgeführt nicht gesondert erfasst.“  

Die wenigen vorliegenden Zahlen zu „Bedrohung“ und „Nachstellung“ mit dem „Tatmittel Internet“ hat das Bundesinnenministerium nun ausgewertet. 

Zur Bedrohung: Die Anzahl der Opfer ist seit 2010 von 1.993 auf 3.025 im Jahr 2013 angestiegen – also um über 50 Prozent in nur drei Jahren. Es sind mehr weibliche Opfer als männliche (2013: 1.638 zu 1.387). Anders sieht es bei den TäterInnen aus: Im Jahr 2013 waren das 1.886 Männer – und nur 550 Frauen. 

Zur Nachstellung: Die Anzahl der Opfer hat sich seit 2010 ebenso erhöht: von 1.174 auf 1.654 – also ebenso um fast 50 Prozent in drei Jahren. Hier sind Frauen vier Mal so oft betroffen. Umgekehrt ist es bei den Tatverdächtigen: Da sind 994 männlich und 305 weiblich. Doch es ist davon auszugehen, dass das Dunkelfeld sowohl bei den Bedrohungen als auch bei der Nachstellung viel größer ist. Denn viele Frauen zeigen Übergriffe im Internet gar nicht erst an. 

Welche Maßnahmen bei einer Anzeige eingeleitet werden, ist Sache der Landespolizei. Sie variieren je nach Gefahrenlage von „Belehrung“ über „Kontaktverbote“ bis hin zur Verhaftung. Auch Personenschutz für Betroffene ist denkbar. Doch zunächst muss der Täter ermittelt werden. Die Polizei kann zwar bei Onlineanbietern die Bestandsdaten der Absender oder auch IP-Adressen abfragen. Die meist anonym agierenden Täter können jedoch ihre Spuren im Netz verschleiern oder sie sind gar nicht mehr vorhanden. „Dieser Ermittlungsansatz führt mangels Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in der Regel ins Leere“, schreibt das Innenministerium. Darüber streiten DatenschützerInnen seit Jahren. 

Kürzlich traf sich die „Bundesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauen­büros“ auf der Tagung „Dann geh doch nicht ins Internet! Gewalt gegen Frauen im Netz“. Die Gleichstellungsbeauftragten sind besorgt über die „steigende Diskriminierung von frauenpolitischen AkteurInnen im Netz“. Zu ihren Forderungen zählen ein „Gesetz gegen Cybermobbing“, mehr Beratungsstellen für Betroffene und eine Kampagne zur „Ächtung von Cybersexismus“. 

Tatsache ist: Diese Jungs sind ganz schön gut organisiert. Und sie sind laut. So laut, dass sie leider auch ihre Geschlechtsgenossen übertönen, die es besser machen wollen. Wie zum Beispiel die 2.500 Computerspiele-Entwickler (und Entwicklerinnen), die auf dem Höhepunkt der Gamergate-Debatte einen „Offenen Brief an die Gaming-Community“ unterzeichnet haben: Gegen Belästigung und für mehr (Geschlechter-)Vielfalt in den eigenen Reihen. Wer sich sowieso nicht den Mund verbieten lässt, sind die Frauen. Zoe Quinn hat das Betroffenen-Netzwerk „Crash Override“ gegründet – und ziemlich gute Ideen.                         

(Gekürzte Fassung aus EMMA 2/15)

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