Muss erst ein Lehrer sterben?

Demo in Paris nach dem Mord an dem Geschichtslehrer Samuel Paty. - Thomas Morel-Fort/imago images
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„Wir haben die tiefe Sorge, dass auch in Deutschland ein Klima der Einschüchterung entsteht.“ So der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger zwei Tage nach der Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty. Wer mit LehrerInnen spricht, speziell mit solchen aus Brennpunktschulen, stellt fest: Dieses „Klima der Einschüchterung“ muss gar nicht erst entstehen – es ist längst da. Auch in Deutschland.

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„Es gibt doch schon jetzt abstruse Forderungen aus Moscheen, was Schulen im Unterricht alles nicht machen sollen“, berichtet Harald Willert. „Da wird zum Beispiel die generelle Freistellung vom Schwimmunterricht oder die Absetzung der Sexualkunde gefordert.“ Und der Vorsitzende des Schulleitungsvereinigung Nordrhein-Westfalen weiß, „wie viele Lehrer bestimmte Themen im Unterricht vermeiden, um Problemen aus dem Weg zu gehen“. Das berichten auch andere LehrerInnen: Der Holocaust, der Nahost-Konflikt, die USA – alles Themen, die heikel sein können – und deshalb nicht selten vermieden werden.

Willert hat 35 Jahre lang im Ruhrgebiet unterrichtet, darunter auch an einer Gesamtschule in der Nachbargemeinde von Duisburg-Marxloh, wo die nach Köln zweitgrößte DITIB-Moschee Deutschlands liegt. Gleich nebenan ist Dinslaken. Von dort aus zogen mindestens zwei Dutzend junge Männer nach Syrien in den „Dschihad“, darunter fünf Schüler der Lehrerin Lamya Kaddor.

Bei Darwin halten sich Schüler die Ohren zu und der Holocaust ist ein heikles Thema

Einer von ihnen, der Konvertit Nils. D., steht gerade zum zeiten Mal vor Gericht, weil er IS-Deserteure folterte und hinrichtete. „Acht Kilometer von mir entfernt war es möglich, dass sich junge Männer derartig radikalisiert haben!“ sagt Harald Willert.

„Man hat diese Entwicklung ja jahrzehntelang zugelassen“, klagt Astrid-Sabine Busse. Die Vorsitzende des „Interessenverbandes Berliner Schulleitungen“ ist Rektorin einer Grundschule in Neukölln, an der 97 Prozent ihrer SchülerInnen einen Migrationshintergrund haben. Sie erklärt: „Als ich junge Lehrerin war, gab es noch keinen politischen Islam an den Schulen.“ Seitdem ist viel passiert. Islamisten agitieren seit Jahrzehnten in den muslimischen Communities. Das hat Folgen in den Klassenzimmern, und zwar schon bei den jüngsten SchülerInnen.

„Wenn wir etwas über Darwin machen oder die Kinder im Museum griechische Statuen sehen, drehen sich viele um und halten sich die Ohren zu“, erzählt Busse. „Das war vor zehn Jahren noch nicht so.“ Ihr Schule besteht dennoch darauf, Darwin und Sexualkunde im Unterricht zu behandeln, doch der Druck auf die LehrerInnen wächst. „Dem Verfassungsschutzbericht kann man ja entnehmen, dass die Zahl der gewaltbereiten Islamisten steigt. Und uns Lehrer kann ja niemand schützen. Ich selbst würde solche Karikaturen auch nicht zeigen“, erklärt die Schulleiterin resigniert und fügt hinzu: „Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so weit kommt.“

Islamisten agitieren seit Jahrzehnten erfolgreich an den Schulen 

LehrerInnen beklagen Einschüchterung und Sprechverbote seit Jahren. Im Schwerpunkt „Problem Schule“ machte EMMA schon 2017 darauf aufmerksam, „wie schwierig es für so mancheN Lehrerin geworden ist, bestimmte Lerninhalte zu vermitteln, wenn in einer Klasse eine gewisse Menge islamistisch indoktrinierter SchülerInnen vor ihnen sitzt“. Für das Dossier hatte EMMA mit zahlreichen Lehrerinnen gesprochen, von denen einige berichteten, dass Filme über Darwin und die Evolutionstheorie von SchülerInnen „regelrecht ausgebuht“ wurden.

Eine Stunde über die Beschneidung der Menschenrechte in der Türkei endete mit einem Beschwerdebrief der SchülerInnen (die ganz offensichtlich von rhetorisch geschulten Kräften unterstützt wurden) und einer Rüge der Schulleitung: Die Lehrerin habe „die religiösen Gefühle der Schüler verletzt“.

Dass die Lehrerin von ihren Vorgesetzten in vorauseilendem Gehorsam in die Schranken gewiesen wurde, scheint kein Einzelfall, sondern die Regel. „Die Schulaufsicht unterstützt uns nicht“, bedauert Harald Willert. „Stattdessen heißt es dann: Löst das pädagogisch!“

Die Schulbehörden ducken sich weg und sagen: Lösen Sie das pädagogisch!

„Es kann aber nicht sein, dass das Problem an der einzelnen Schule hängenbleibt“, sagt Astrid-Sabine Busse. Deshalb setzt sich ihr Berliner Schulleitungsverband in einem Appell für den Erhalt des Neutralitätsgesetzes ein. Das Gesetz ist seit 2005 in Kraft und besagt, dass LehrerInnen im Unterricht keinerlei weltanschauliche oder religiöse Symbole tragen dürfen. Seitdem dürfen Lehrerinnen an Berliner Schulen kein Kopftuch tragen. Kürzlich hat eine Lehrerin vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt gegen das Gesetz geklagt und Recht bekommen. Die RichterInnen entschieden: Es müsse in jedem Einzelfall geschaut werden, ob das Kopftuch tatsächlich „den Schulfrieden gefährde“. Die Berliner Grünen, allen voran Justizsenator Dirk Behrendt, wollen das Urteil zum Anlass nehmen, das Neutralitätsgesetz ganz abzuschaffen.

Eine völlig falsche Strategie, warnen die Berliner SchulleiterInnen. „Irgendwann ist der Prozess unumkehrbar“, fürchtet die stellvertretende Vorsitzende des Berliner Schulleitungsverbandes, Karina Jehniche. „Große Teile meiner Schüler leben in einer Parallelgesellschaft, die wir jetzt schon nicht mehr erreichen. Und für diese Jungs ist klar, dass sie später ein gutes, sauberes Mädchen mit Kopftuch heiraten wollen. Und dass unsere offene, demokratische Lebensweise nicht die ist, die sie in ihrem Leben wollen.“ Fazit der Schulleiterin einer Brennpunktschule in Spandau: „Wir können so nicht weitermachen.“

Das sieht auch der Deutsche Lehrerverband so. „Unterricht und demokratische Werteerziehung dürfen für Lehrkräfte nicht zur Mutprobe werden! Wir sagen: Wehret den Anfängen!“

Und was sagt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, ihres Zeichens größte LehrerInnen-Gewerkschaft? Auf ihrer Startseite: nichts. Wer in tieferen Ebenen sucht, findet schließlich eine Acht-Zeilen-Meldung. Das Wort Islamismus kommt darin nicht vor.

Muss erst auch in Deutschland ein Lehrer ermordet werden, bevor die Verantwortlichen aufwachen?

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Alice Schwarzer schreibt

Frankreich: Republik in Gefahr?

Die Franzosen demonstrieren auf dem Place de la République für Meinungsfreiheit (Bertrand Guay/AFP/Getty Images)
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Am 16. Oktober 2020 enthauptete der 18-jährige Tschetschene Abdoulakh Azorov den Geschichtslehrer Samuel Paty. Grund: Der beliebte Lehrer hatte am 5. Oktober im Staatsbürgerkunde-Unterricht Karikaturen von Mohamed aus Charlie Hebdo behandelt, um an diesen Beispielen über das „Recht auf Meinungsfreiheit“ zu sprechen. Minuten nach seiner Tat postete Azorov ein Foto des Ermordeten und diese Nachricht: „Von Abdoulakh, Allahs Diener, an Macron, den Chef der Ungläubigen“: „Ich habe einen eurer Höllenhunde exekutiert, der gewagt hat, Mohamed zu erniedrigen.“

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Zwei Tage später gingen die Franzosen auf die Straße: für die Meinungsfreiheit und für die Republik! Auf dem Pariser Place de la République sangen Tausende die Marseillaise. Der Innenminister kündigte 231 Ausweisungen von Islamisten an sowie die Zerschlagung einschlägiger Organisationen. Präsident Macron versprach „harte Maßnahmen“. Es ist nach hunderten Opfern in den vergangenen Jahren allein in Frankreich der eine Tote zu viel.

Dem Mord an dem Geschichtslehrer war eine neuntägige Hetze im Netz vorausgegangen

Samuel Paty, selber Vater eines Sohnes, war als besonders engagierter Geschichtslehrer bekannt, der sich intensiv um seine SchülerInnen kümmerte. Aber wer war sein Mörder?

Der 18-jährige Azorov war extra aus seinem über 90 Kilometer entfernten Wohnort Evreux in den Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine gereist, um den ihm unbekannten Lehrer abzufangen. Er fragte Schüler nach dem Richtigen, folgte Paty und schlug wenig später zu. Er enthauptete den Lehrer mit zwei Schlachtermessern. Auf der Flucht attackierte er die Polizisten und wurde erschossen.

Dem vorausgegangen war eine neuntägige Hetze im Netz. Der Vater einer Schülerin von Paty, Brahim Chnina, hatte behauptet, der Lehrer würde systematisch muslimische Kinder verunglimpfen und hätte alle muslimischen Kinder in dieser Unterrichtsstunde rausgeschickt. Was falsch ist. Paty hatte lediglich die muslimischen Kinder informiert, dass er etwas zeigen wolle, was manche von ihnen vielleicht verletzen könnte – sie also die Augen schließen oder solange rausgehen könnten.

Seit Chninas Denunzierung - dessen Halbschwester 2018 zum IS gegangen war - ging es rund im Netz. Der bereits einschlägig bekannte Imam Abdelhakim Sefrioui, der inzwischen in Haft sitzt, behauptete, Paty habe zum „Hass gegen alle Muslime“ aufgerufen und erließ eine Art Fatwa gegen den Lehrer. Die erreichte den 18-jährigen Azorov, der seit seinem sechsten Lebensjahr mit seinen Eltern in Frankreich lebt und seit Frühling Asyl in dem Land hat.

Wie aber konnte der Jugendliche so fanatisiert werden und wer sind seine Eltern? Es sind Tschetschenen, die vor zwölf Jahren aus Moskau nach Frankreich gekommen sind und dort Asyl beantragt haben. Sie leben in einer tschetschenischen Community von etwa 60 Großfamilien, aus deren Mitte 2018 schon ein Mann in der Nähe der Pariser Oper jemanden umgebracht und mehrere Menschen verletzt hat, aus „islamistischen Motiven“, wie es heißt.

In Tschetschenien gilt seit 1993 die Scharia, inklusive Hinrichtung "untreuer" Ehefrauen

Warum sind Abdoulakhs Eltern eigentlich aus Russland geflohen? Weil sie unterdrückt bzw. verfolgt wurden?

Die innerhalb der russischen Föderation autonome Republik Tschetschenien kämpft seit fast dreißig Jahren nicht nur um ihre Unabhängigkeit, sondern auch für den Gottesstaat. Bereits 1993(!) führte Tschetschenien die Scharia ein, Zwangsverschleierung inklusive, und richtet seither u.a. „untreue“ Ehefrauen hin.

Im ersten Tschetschenien-Krieg ging es noch um die Unabhängigkeit von Moskau, im zweiten, gut munitioniert mit Petrodollars aus Saudi-Arabien, ging es bereits um die Etablierung eines islamischen „Gottesstaates“.

Es folgte eine Terrorwelle in ganz Russland, die Hunderte von Toten kostete und die damals von so manchem im Westen zynischerweise Putin zugeschrieben wurde. In dieser Zeit gingen die Eltern des Täters nach Frankreich. Waren sie schon in Moskau aktive Islamisten gewesen? Seit der Zeit sind die tschetschenischen Brigaden ganz vornean bei der Ausbildung der „heiligen Krieger“ des „Islamischen Staates“. Diese mafiös organisierten Söldner sind als besonders brutal und enthemmt berüchtigt.

Tschetschenen, die aus Russland fliehen, können also eigentlich nur Islamisten oder Sympathisanten sein – so wie der 18-jährige Abdoulakh Azorov, der sich noch im friedlichen Evreux radikalisierte. Vermutlich dank seiner Familie und via Internet.

„Die Tschetschenen waren für uns bisher im toten Winkel“, sagt nun der französische Geheimdienst. Erstaunlich. Er könnte es schließlich seit 25 Jahren besser wissen. In dem von mir herausgegebenen Buch „Die Gotteskrieger – und die falsche Toleranz“ hatte ich schon 2002 einen Text des FAZ-Korrespondenten Lerch veröffentlicht, Titel: „Die Islamisierung Tschetscheniens“. Was müssen da erst die Geheimdienste gewusst haben! Auch in Deutschland rückten die Tschetschenen erst 2016 in den Fokus der Geheimdienste, auch hier gelten sie als häufig radikalisiert und gewaltbereit. 

Bei der Unterwanderung des Rechtsstaates durch Islamisten wurde untätig zugesehen

Droht jetzt eine Talibanisierung Frankreichs? Die Vergiftung der Gehirne von Kindern und Jugendlichen durch den politischen Islam? Seit über 20 Jahren hat das Land der Agitation des politischen Islam auch in den Schulen tatenlos zugesehen.

„Die Republik ist in Gefahr! Samuel Paty wollte Kinder mit einem freien Geist erziehen“, schreibt Caroline Fourest, eine der wenigen streitbaren JournalistInnen gegen den Islamismus, und warnt: „Journalisten können warnen, Polizisten können verhaften – aber wir werden uns niemals von diesem Alptraum befreien, solange Lehrer nicht die nächste Generation gegen diese Art von Propaganda immun machen können.“

Gestern mailte mir meine über die Tat entsetzte algerische Kollegin Djamila, die in den 90er Jahren vor den Islamisten geflohen und fünf Jahre im Kölner Exil war, aus Algier: „Hier sind alle entsetzt. Aber wir wundern uns nicht. Jahrzehnte lang hat der Westen alles getan, um es diesen Fanatikern recht zu machen: Das Kopftuch ist in der Schule erlaubt, Frauentage werden in Badeanstalten eingerichtet, 'Beträume' an den Universitäten eröffnet, bei der Unterwanderung der Sitten und des Rechtstaates durch diese Islamisten sah man untätig zu. Jetzt machen diese Fanatiker bei euch ihr Gesetz.“

Genauso ist es.

Alice Schwarzer

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„Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz“, Hrsg. Alice Schwarzer (KiWi, vergriffen – im FrauenMediaTurm)

 

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