Die Mütterfalle

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Im Januar 1996 wurde ein Gesetz zehn Jahre alt, das die Lage junger Frauen auf dem Arbeitsmarkt dramatisch verschlechtert hat: das ‚Bundeserziehungsgeldgesetz' (BErzGG).
Schon vor seiner Einführung stieß es bei Feministinnen, Gewerkschafterinnen und Frauenpolitikerinnen auf Widerstand, weil es - so die einhellige Meinung - Frauen mit Kindern (wieder) vom Arbeitsmarkt und in die Abhängigkeit vom Ehemann drängt.
In seiner jetzigen Fassung sieht das Gesetz vor, dass Müttern zwei Jahre lang ein Erziehungsgeld in Höhe von 600 Mark gezahlt wird - unter der Voraussetzung, dass sie nicht erwerbstätig (also Hausfrauen) sind oder maximal 19 Wochenstunden teilzeitarbeiten. Vollzeit-Arbeitnehmerinnen haben die zweifelhafte Chance, nach der Geburt eines Kindes für drei Jahre in die "Babypause" zu gehen. Allein 1994 stellten 423.570 Mütter einen Antrag auf Erziehungsurlaub in Kombination mit Erziehungsgeld. Nur knapp jede 30. arbeitete die "erlaubten" 19 Teilzeitstunden weiter. Alle anderen gaben für ein Taschengeld ihren Beruf ganz auf.
Aber das sind noch längst nicht alle berufstätigen Mütter, die "Babypause" machen. Denn: Nur Mütter, die unter 75.000 DM im Jahr (oder als Paar 100.000 DM) verdient haben, haben überhaupt ein Recht auf "Erziehungsgeld". In der knappen halben Million, die 1994 Erziehungsurlaub/Erziehungsgeld beantragten, sind diejenigen, die Erziehungsurlaub ohne Erziehungsgeld nahmen, nicht enthalten.
Theoretisch hatten von Anfang an auch Väter das "Recht" auf die sogenannten "Babyjahre", doch in die praktische Pflicht wurden sie nie genommen. Folge: Der Männer-Anteil hat die Zweiprozentmarke nie überschritten. 1994 waren es gerade mal 6.990 Väter, die in den Erziehungsurlaub gingen. 
Der Hauptgrund dafür ist nicht etwa das prinzipiell höhere Einkommen des Ernährers: auch Väter, deren Frauen genauso viel oder sogar mehr verdienen, bleiben wegen der Geburt eines Kindes nicht zu Hause, nehmen nicht den "Erziehungsurlaub". Sie fürchten, wie die Sozialwissenschaftlerin Gisela Notz in einer Studie über junge Familien bewiesen hat, erhebliche Nachteile für ihre berufliche Zukunft.
Das ist nicht verwunderlich. Was weit mehr erstaunt: 95 Prozent aller erziehungsgeldberechtigten Arbeitnehmerinnen nehmen nach der Geburt eines Kindes Erziehungsurlaub - in den alten wie in den neuen Bundesländern! Eine ganze Frauengeneration lässt sich also in den wichtigsten Jahren des beruflichen Aufbaus aus dem Beruf hinauskomplimentieren! Und das, obwohl - oder weil? - junge Frauen heute nicht nur weit höher qualifiziert sind als ihre Mütter und Großmütter, sondern inzwischen auch die gleichaltrigen Männer eingeholt haben! Aber am Überholen dieser Kollegen werden sie dank Erziehungsurlaub erfolgreich gehindert.
Da Mütter nach der Geburt eines Kindes heute oft drei Jahre aus dem Berufsleben ausscheiden (bei zwei Kindern sind es schon sechs), sind sie als Konkurrenz um Stellen mit Aufstiegschancen praktisch ausgeschaltet. In einer Lebensphase, in der die entscheidenden Weichen für das gesamte Berufsleben gestellt werden, knüpfen Männer karrierefördernde Netzwerke, schieben sich Posten und Pöstchen zu oder sichern zumindest den Status quo. Kein Frauenförderplan, kein Gleichberechtigungsgesetz und keine noch so gutgemeinte Wiedereingliederungsmaßnahme kann diesen Rückstand der Mütter ausgleichen.
Da keine Ehefrau, wenn sie Erziehungsurlaub nimmt, nur ihr Kind und sich selbst versorgt, sondern auch den Ehemann, haben Männer mit einer Frau in "Babypause" vielfache Vorteile:
Die Mutter vor allem kümmert sich um das Kind!
Die Hausfrau kümmert sich nicht nur um das Kind, sondern um den gesamten Haushalt!
Die Frau wird, nach drei oder sechs Jahren "Babypause", größte Schwierigkeiten der Reintegration haben und entweder keinen oder einen schlechten Job finden!
Der Mann ist am Arbeitsplatz die lästige weibliche Konkurrenz los!
Der Mann kann nun noch besser mit anderen Männern (und den verbleibenden Frauen) konkurrieren, weil er zuhause von einer Hausfrau unterstützt wird!
Durch ein Kind werden die Männer zu "Familienernährern", nun gelten sie als verlässliche Arbeitnehmer. Das zahlt sich auch in Mark und Pfennig aus. Untersuchungen zeigen: Kinder zu haben, puscht Männer hoch, in Einkommen wie Berufsstatus. Kein Wunder also, dass für junge Manager (laut einer Studie des Kölner Soziologen Scheuch) nicht mehr der BMW oder der Mercedes "wichtigstes Statussymbol" ist, sondern: die nicht erwerbstätige Ehefrau im Haus, "mit mindestens zwei Kindern".
Anfang der 80er drängten die gutausgebildeten jungen Frauen auf den Arbeitsmarkt und machten da den jungen Männern Konkurrenz. Daß der Erziehungsurlaub hier Abhilfe schaffen sollte, gaben der damalige Familienminister Geißler ("Partnerschaft 2000") und mit ihm Arbeitsminister Blüm ("Die sanfte Macht der Familie") unumwunden zu.
Der warb sogar ausdrücklich mit dem Satz: "Der Erziehungsurlaub schafft Arbeitsplätze!" Für Männer. Es ist nicht das erste Mal, dass Frauen aus der Erwerbsarbeit vertrieben werden, weil bezahlte Männer-Arbeit knapp ist. Das Spielchen ist über 100 Jahre alt. Bereits während der Industrialisierung, in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in den 50er Jahren (als die deutschen Soldaten aus der Gefangenschaft heimkehrten) zwangen Politiker mit Gesetzen und Kampagnen gegen Müttererwerbsarbeit berufstätige Frauen wieder in den Haushalt und damit in die finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann.
Nicht nur die "Mutterschutz"-, auch die "Frauenarbeitsschutzgesetze" sind in Wahrheit nichts als Frauenarbeits-Verhinderungsgesetze. Das angeblich so fürsorglich gemeinte Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen zum Beispiel (das gerade endlich abgeschafft wurde) war Ende des vorigen Jahrhunderts eingeführt worden, weil die männlichen Kollegen die weibliche Konkurrenz bei der besser bezahlten Nachtarbeit loswerden wollten.
Dem gleichen Zweck diente das Beschäftigungsverbot für Frauen im Untertagebergbau, in Kokereien, Stahlwerken und Metallhütten, im Hoch- und Tiefbau und - es ist kaum zu glauben - "auf Schienenfahrzeugen und Kraftfahrzeugen mit mehr als acht Fahrgastplätzen und einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t". Die meisten dieser sogenannten Frauenschutzgesetze wurden von den Nazis eingeführt und galten bis fünf Jahre nach der Wende.
Die Frauen aus dem Osten kannten solche Arbeitsverbote nicht und wollten sie sich nicht aufdrücken lassen. Ihnen und dem 20jährigen Protest von Feministinnen ist es zu verdanken, dass die Bundesregierung 1994 ein neues "Arbeitszeitgesetz" verabschiedete und die "bestehenden Beschäftigungsbeschränkungen für Frauen" aufhob.
Mit Ausnahme des Verbots aus dem Jahre 1873, im Bergbau unter Tage zu arbeiten - anscheinend befürchten die Kumpel immer noch, dass Frauen im Stollen Unglück bringen, weil sie den Berggeist erzürnen.
Blüms Arbeitsministerium pries das neue "Arbeitszeitgesetz" 1994 in einer Werbebroschüre: "Mädchen und Frauen haben damit den gleichen Zugang zu Berufen im gewerblich-technischen Bereich wie Männer." Haben sie eben nicht! Denn Blüms Bundeserziehungsgeldgesetz fährt volle Breitseite dagegen.
Neu am Erziehungsgeld ist, dass es sich fortschrittlich geriert.
Ein progressiv klingendes Vokabular, das sich an eine emanzipierte Müttergeneration richtet ("Wahlfreiheit zwischen Familien- und Erwerbsarbeit", "Akzeptanz weiblicher Lebensentwürfe", "Anerkennung der Familienarbeit", "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" blahblahblah), täuscht über die wahre Absicht hinweg:
Den jungen Frauen sollte schlicht die von Feministinnen gestellte Forderung nach Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung - der Mann im Beruf, die Frau im Haus - wieder ausgeredet werden. Daß das Bundeserziehungsgeldgesetz pro forma auch für Väter gilt, verlieh ihm bei seiner Einführung zusätzlich das Image, es orientiere sich an einem "partnerschaftlichen Eheverständnis".
Im Gegenteil. Das Gesetz verhindert die wirklich partnerschaftlich geteilte Elternschaft: Wenn sowohl die junge Mutter als auch der junge Vater jeweils 20 Stunden pro Woche arbeiten (also 40 Wochenstunden insgesamt), bekommen sie kein Erziehungsgeld. Arbeitet aber der "Familienernährer" allein schon 40 oder mehr Wochenstunden und bessert seine Frau das "Familieneinkommen" mit einem 19-Stunden-Teilzeitjob auf, bleibt der Erziehungsgeldanspruch erhalten.
Wie kommt es, dass eine ganze Generation hochqualifizierter Frauen das überhaupt mitmacht? Der entscheidende Grund: Immer noch (und wieder verstärkt) glauben viele Frauen, es schade ihrem Kind, wenn sie berufstätig sind und es außerhalb der Familie betreut wird: "In den ersten drei Jahren muss ein Kind bei der Mutter sein", heißt es wieder. Es ist die alte Mutterschaftsideologie, die junge Frauen in die Erziehungsurlaubsfalle tappen lässt.
Junge Mütter, die das durchschauen und berufstätig bleiben wollen, haben trotzdem keine Chance, da es für ihre kleinen Kinder keine Betreuungsmöglichkeiten gibt. In der westlichen Bundesrepublik stehen nur für drei Prozent der Kinder unter drei Jahren Krippenplätze zur Verfügung. Und der "Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz" nützt Müttern mit jüngeren Kindern überhaupt nichts. Trotz diesem - ja nicht einmal eingelösten - Rechtsanspruch für Dreijährige haben die Kommunen die ideale Ausrede zur Hand: Es ist kein Geld da.
Beim Bundeserziehungsgeldgesetz wurde ursprünglich vergessen, dass manche Frauen Mütter werden, ohne durch das Einkommen eines Ehemannes finanziell abgesichert zu sein.
Dabei heiraten von Jahr zu Jahr weniger Frauen, wenn sie schwanger sind: Im Westen wird heute jedes achte Kind nichtehelich geboren, in den neuen Bundesländern sogar fast jedes zweite! Den Müttern, die auf den Ehemann verzichten, bietet der Staat "Hilfe" an, damit auch sie - wie verheiratete Frauen - dem Arbeitsmarkt nicht zur Last fallen: Nichtverheirateten wird im Erziehungsurlaub Sozialhilfe gewährt, unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern - vorausgesetzt, sie leben allein und besitzen kein Vermögen.
Dass das Erziehungsgeld nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird, macht sogar für alleinerziehende Frauen den Erziehungsurlaub attraktiv. Vor allem die jüngeren unter ihnen (aber nicht nur sie) haben bei der Kombination von Erziehungsgeld und Sozialhilfe genauso viel (wenn nicht mehr) auf dem Konto wie bei Berufstätigkeit, da die Frauenlöhne niedrig sind. Also tauschen die jungen Mütter die Abhängigkeit vom Ehemann gegen die von Vater Staat. Sie hüten lieber in der häuslichen Isolation ihr Kind, als im Beruf mit Kolleginnen und Kollegen nicht nur für das eigene Einkommen, sondern auch für die eigene Zukunft zu arbeiten.
Daß sie für diese "Hilfe" einen hohen Preis zahlen, merken sie meist zu spät. Zudem gelten sie auch noch als "sozial schwach". In jedem Armutsbericht wird die Tatsache, dass ledige Mütter im Erziehungsurlaub drei Jahre Sozialhilfe bekommen, als besonderer "Beweis" ihrer "Bedürftigkeit" zitiert.
Das geltende Bundeserziehungsgeldgesetz ist also rundum männerfreundlich. Doch durch Reformen könnte es auch frauenfreundlich werden. Folgendes müsste geändert werden:
1. muss das Gesetz vorschreiben, dass Mutter und Vater sich den Erziehungsurlaub zwingend teilen. Versucht der Mann, sich aus der Verantwortung zu stehlen, verfällt der Anspruch auf Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld für beide.
2. muss die starre Dreijahresregelung beim Erziehungsurlaub in ein "Zeitkonto" umgewandelt werden, das auf mehrere Jahre verteilt werden kann: zum Beispiel, indem beide Eltern sechs Jahre lang halbtags arbeiten.
3. darf das Erziehungsgeld nicht als "Lohn für Hausarbeit" oder "Gebärprämie" missbraucht werden. Also: Kein Erziehungsgeld für Frauen (oder Männer), denen keine Lohnersatzleistung zusteht, weil sie sogenannte "Nur-Hausfrauen" ("Nur-Hausmänner") sind! Und natürlich müssen ausreichend Krippen- und Kindergartenplätze her!
Aufgeschreckt durch die Ergebnisse einer Studie des Kölner Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik, nach der in den neuen Bundesländern etwa 60 Prozent der jungen Mütter während oder kurz nach Ablauf des Erziehungsurlaubs ihre Kündigung erhalten hatten, befassen sich jetzt auch wieder die großen Parteien mit dem fast schon vergessenen Thema.
Zwar haben inzwischen auch SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Idee mit dem Zeitkonto aufgegriffen. Und selbst die CDU-Bundesfamilienministerin Nolte spricht sich für eine gemäßigte Variante aus: zwei Jahre nach der Geburt und noch ein Jahr bei Schulbeginn. Aber an einem Punkt halten sich alle deutlich zurück: Ein Gesetz, das die Väter in die Pflicht nimmt, schlägt keine der (Männer)Parteien vor. Die Ansprüche "sollen" (nicht müssen!) "zwischen Vätern und Müttern gerecht verteilt werden", hieß es im Grünen Programm für die Bundestagswahl 1994.
Die überwältigende Mehrheit der jungen Mütter wurde also in den letzten zehn Jahren beruflich ausgeknockt. Das ist Alarmstufe 1. Es muss dringend etwas geschehen.

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