In der aktuellen EMMA

Der kleine Unterschied

Von links: Josephine Ngomo, Susanne Schall und Lotti vom Kolke. - Fotos: Bettina Flitner
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Alice Lotti, du hast dich auf dem EMMA-Abonnentinnenfest vorgestellt und gesagt: „Ich bin die vierte Welle!“ (Alle lachen). Also: Was ist denn die vierte Welle für euch?

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Lotti Wir hatten die erste Welle der Frauenbewegung, die für das Frauenwahlrecht gekämpft hat. Die zweite Welle war die, für die du stehst, Alice. Dann kam in den Neunziger Jahren die Queertheorie. Die Queerfeministinnen beanspruchen für sich, die dritte Welle zu sein. Aber ich will halt an der zweiten Welle anknüpfen und will einen realitätsnahen Feminismus: den Old-School-Feminismus mit den Themen, die ja immer noch relevant sind oder relevanter denn je: Häusliche Gewalt, Prostitution, Pornografie, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung.

Josephine Ich würde nicht sagen, dass die dritte Welle komplett gescheitert ist. Es gab zum Beispiel MeToo und das Thema Feminismus ist gerade total en vogue. Es ist keine Schande mehr, Feministin zu sein, man steht offen und stolz dazu. Nur ist es eben so, dass der Begriff leider ausgehöhlt wurde. Susanne Ich würde die Queer-Theorie überhaupt nicht feministisch nennen. Im Gegenteil: Sie ist ein Backlash gegen den Feminismus gewesen, der sich als Feminismus ausgegeben hat. Deshalb müssen wir uns jetzt neu sammeln und die eigentliche dritte Welle anstoßen, die sich wieder um die Themen kümmert, die die Radikalfeministinnen der zweiten Welle angestoßen haben: Häusliche Gewalt, Prostitution, Pornografie. Es geht nämlich eigentlich nicht um Generationen, sondern um inhaltliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten.

Die EMMAs und ihre Gäste: Lotti vom Kolke, Josephine Ngomo, Susanne Schall, Alice Schwarzer, Chantal Louis und Angelika Mallmann.
EMMAs & Gäste: Lotti vom Kolke, Josephine Ngomo, Susanne Schall, Alice Schwarzer, Chantal Louis und Angelika Mallmann.

Chantal Ihr stellt euch ja gerade in die Tradition der zweiten Welle. Seht ihr da auch Unterschiede zu euch?

Josephine Ich glaube, ein entscheidender Unterschied zwischen den Generationen sind die Sozialen Medien. In unserem Alter findet viel politischer Aktivismus über das Netz statt, statt auch mal auf die Straße zu gehen. Für viele ist es allerdings schon Aktivismus, ein paar Posts auf Instagram zu verbreiten.

Lotti Ich finde, es ist eher die Frage, welcher Weltanschauung oder welcher Ideologie man anhängt. Und wie Leute, die noch jünger sind als ich, in den Sozialen Medien ideologisiert werden.

Josephine Genau, da findet diese Ideologisierung statt. Und sie kommt auch daher, dass die Menschen sich nicht mehr richtig informieren, sondern nur noch glauben, sie seien informiert, weil sie ein paar Posts gelesen haben. Dabei leben sie in einer Bubble und lesen nur Sachen von Menschen, denen sie folgen und setzen sich mit anderen Meinungen gar nicht mehr auseinander.

"Viele glauben, sie seien informiert,
weil sie ein paar Posts gelesen haben."

Susanne Die Entstehung von Blasen in den Neuen Medien trägt ganz viel dazu bei, dass Leute Meinungen vertreten, die sie oft selber nicht richtig erklären können. Soziale Medien haben natürlich auch ihr Gutes, aber ich denke, dass da auch viel Energie verschwendet wird, die eigentlich auf die Straße getragen werden müsste.

Angelika Was ihr ja auch macht. Zum Beispiel du, Susanne, mit deinem „Real Dyke March“.

Susanne Ja. Das finde ich wichtig. Nicht nur, um seine Meinung öffentlich zu vertreten, sondern auch, damit man sich austauschen kann.

Noch kein Weihnachtsgeschenk? Wir hätten da eine Idee... www.emma.de/abo
Noch kein Weihnachtsgeschenk? Wir hätten da eine Idee... www.emma.de/abo

Alice Wie seid ihr überhaupt zum Feminismus gekommen?

Lotti Bei mir lief das tatsächlich über Soziale Medien. Ich habe die Posts und Erfahrungsberichte von Huschke Mau aus ihrer Zeit in der Prostitution gelesen. Das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Und dann gab es 2021 um den Weltfrauentag eine Volksabstimmung über ein Burkaverbot in der Schweiz. Und ich fand es total komisch, dass ausgerechnet Feministinnen gegen das Verbot waren, weil ich Verschleierung nicht als „Empowerment“ betrachte. Dann habe ich die feministischen Gegenstimmen gesucht und bin unter anderem auf Artikel aus der EMMA gestoßen. Da habe ich dann auch Artikel zum Thema Pornografie und Trans gefunden und dachte: Okay, jetzt muss ich mich richtig einlesen! Dann hab ich zum Beispiel „Pornografie“ von Andrea Dworkin gelesen und die EMMA abonniert. Und dann habe ich den Sprung gemacht: Ich bin aktiv geworden und zum Safe Abortion Day auf die Straße gegangen. Da habe ich Frauen von Terre des Femmes kennengelernt und seither bin ich richtig aktiv.

"Als ich elf war, haben mir Jungs ihre Pornos auf dem Handy vors Gesicht gehalten."

Josephine Ich bin auch bei Terre des Femmes aktiv und neuerdings auch bei Sisters. Der Startschuss für mein feministisches Engagement war die EMMA. Als ich 16 war, gab es da den Aufruf „Prostitution abschaffen!“ Den habe ich unterschrieben und auf Facebook geteilt. Und ab da war ich in der Schule abgestempelt und wurde Alice Schwarzer genannt (alle lachen). Ich habe eine feministische Mutter und einen feministischen Vater. Mein Vater ist die ersten fünf Jahre bei uns Kindern geblieben, während er seine Doktorarbeit als Arzt geschrieben und meine Mutter als Apothekerin gearbeitet hat. Meine Mutter hat schon immer die EMMA gelesen, meine Oma auch. Meine Eltern führen den gleichen Kampf nur in verschiedenen Bereichen: meine Mutter gegen Sexismus, mein Vater gegen Rassismus. Er kommt aus Kamerun. Es wurde mit uns Kindern auch immer darüber gesprochen und ganz klar benannt, wenn es einen sexistischen oder rassistischen Vorfall gegeben hatte.

Alice Was würdest du sagen: Bist du als schwarze Frau stärker von Sexismus oder von Rassismus betroffen? Oder mischt sich das so, dass man das gar nicht trennen kann?

Josephine Der Rassismus ist oft subtiler. Ich habe das Gefühl, da sind die Menschen schon wachsamer und haben immer Angst, was Falsches zu sagen. Der Sexismus ist häufig eindeutiger.

Chantal Was hat denn dazu geführt, dass ihr gedacht habt: Hier läuft für Frauen was nicht richtig?

Lotti Ich habe das schon als Kind gemerkt. Die Jungs sagen: „Du darfst nicht mitspielen, du bist ein Mädchen, du bist schwach!“ Mädchen wurden immer runtergemacht. Später gab es eklige Blicke und Kommentare. Als ich elf war, haben mir die Jungs ihre Pornos auf dem Handy vors Gesicht gehalten.

Susanne Das war bei uns auch so. Die Jungs sind hinter uns hergelaufen und haben gesagt: Guck dir das an!

Lotti Und was man da gesehen hat, war total degradierend. Du guckst da drauf und weißt direkt, welche zwei Rollen es gibt und welche für dich vorgesehen ist. Ich lese gerade den „Kleinen Unterschied“. Und ich bin schockiert darüber, wie wenig sich seit 50 Jahren verändert hat. Und wie es sich teilweise sogar verschlimmert hat. Die Jungs sind so pornoverseucht. Die sagen den Mädchen in der fünften, sechsten Klasse: „Wenn du mir einen bläst, dann geb ich dir deinen ersten Kuss!“

Außerdem sprachen wir über die Lesbenfeindlichkeit der Queerszene und die Irrtümer des intersektionalen Feminismus, über das Begehrtwerden und die Machtfrage. Das ganze Gespräch in der aktuellen EMMA. Hier bestellen.

 

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