Drehscheibe Berlin

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Sie heißen KT Tunstall oder Gustav, sie verweigern sich oder spielen mit, sie sind laut oder leise - und sie sind angesagt im Berliner Musik-Underground. Zumindest bei den weiblichen Fans.

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KT Tunstall ist eine kleine Frau mit langen dunklen Haaren. Sie trägt einen kurzen Rock, aber Hosenträger über ihrem blusenähnlichen Top. An ihren Füßen hat sie dicke Bikerboots. Mit denen tritt sie immer wieder energisch auf ein Loop-Pedal am Boden. Das bewirkt, dass KT ihre eigene Stimme live auf der Bühne begleiten kann. Wenn sie also mit ihrem rhythmusbetonten Folk Song ‚"Black Horse And The Cherry Tree"‘ auftritt, dann kommt die Zweitstimme, der ganze Beat, die ganze Präsenz allein aus dieser Frau. Anfang des Jahres ist Kate Tunstall (wie sie in Wirklichkeit heißt) nach Jahren als Gelegenheitsmusikerin zum ‚British Female Solo Artist‘ gewählt worden.
Die Schottin ist beileibe nicht die einzige Frau im aktuellen Musikbusiness, die sich durch ihre Liebe zum Folk und eine gewisse Sturheit in die Popularität gespielt hat. Geleitet von ihrem unbedingten Glauben an „"ihr Ding“", was im Popmusikkontext soviel heißt wie: Sich nicht vom Mainstream, also von der breiten Masse, beeindrucken lassen - die natürlich, soviel ist klar, vom männlichen Geschmack und von männlichen Machern geprägt wird. Ihre Songs tragen Titel wie ‚"Miniature Disasters"‘ oder ‚"Suddenly I See"‘ und handeln davon, dass man sich als Frau nicht mit dem Zweitbesten zufrieden geben und seine eigene Herrin sein muss –- weil alles andere nichts weniger als die totale Selbstaufgabe bedeutet.
Der Folk-Rock der Solo-Künstlerin, eine aktualisierte Mischung aus Joan Baez und Janis Joplin, ist dabei alles andere als neu. Aber neu muss es ja auch gar nicht sein, damit es den Fans von heute gefällt. Nach Sampling und Techno-Maschinenmusik gibt es im 21. Jahrhundert unter der Jugend offensichtlich wieder ein echtes Bedürfnis nach handgemachter Gitarrenmusik. Der Sänger Adam Green und die zahllosen Retrorockbands mit dem obligatorischen „"The"“ vor dem Namen (‚"The Strokes"‘, "‚The Greenhornes"‘, ‚"The Hives‘") sind Beispiele für die momentane Popularität vom guten alten Rock’'n'’Roll. Diese popmusikalische Rückgewandtheit kommt Musikerinnen wie KT Tunstall gerade recht. Folk rockt – egal, ob alt oder neu.
Ganz anders verhält es sich mit Justine Electra, einer seit vier Jahren in Berlin lebenden Australierin, deren im Sommer erschienenes Debütalbum "Soft Rock"‘ vollkommen neue Töne anschlägt. Hier merkt man, dass Madame Electra in die Berliner Schule gegangen ist, sprich Anfang des neuen Jahrtausends Techno-House-Platten in den letzten besetzten Häusern in Friedrichshain aufgelegt hat. Die junge Musikerin hat eine typische Berliner Herausforderung angenommen, die da lautet: Widerständig sein und etwas Neues machen. Und so kann man ihre Musik als eine wirklich gewagte und gelungene Mischung bezeichnen: Hier trifft der Rhythm’n’ Blues von Destiny’s Child auf das feministisch angehauchte Songwriting einer Tori Amos und versteht sich seltsamer Weise hervorragend.
Auch die Haltung, die die Endzwanzigerin als Musikerin vertritt, ist eigen. Weder passt sie in das kosmetisch aufgemotzte Rollenbild einer Britney Spears oder Christina Aguilera, noch zitiert sie das rebellisch androgyne Aussehen einer Patti Smith. Yoko Ono, Joni Mitchell, Blondie und Madonna haben sich alle noch gegen die männliche Dominanz im Mackerparadies populäre Musik zur Wehr setzen müssen. Anders Justine Electra. Sie stellt einen neuen Typus dar, dessen Eigenständigkeit nicht aus dem Widerstand gegen die männliche Dominanz, sondern aus dem reinen Vertrauen in die eigene Kreativität erwächst.
Justine Electras Originalität entspringt einem zeittypischen Berliner Einzelgängerinnentum, gepaart mit einer gewissen Laid-back-Haltung, die sicherlich auch etwas mit den feministischen Strömungen in der deutschen Hauptstadt zu tun hat. Hier macht man als Musikerin oder DJane sein eigenes Ding, ohne allzu große Hast. Wenn frau dann nicht irgendwann Hungers gestorben ist, hat sie Erfolg, irgendwann. Auf jeden Fall in der Lokalliga.
Wegen des offenen Berliner Klimas und dem musikalischen Underground verschlägt es auch immer mal wieder zwei Gitarristinnen aus Kanada nach Berlin. Leslie Feist und Emily Haines avancieren zu Rolemodels in der Neo-Folkszene. Das liegt zum einen daran, dass sie Teil des momentan grassierenden Trends "‚Kanada-Indierock"‘ sind, zum anderen, dass sie auf eine erotische Art den Mythos ‚"Nico"‘ wieder aufleben lassen (das deutsche Fotomodell, das in den Sechzigern Karriere als Frontfrau der amerikanischen Avantgarderockband ‚"The Velvet Underground"‘ machte): gut aussehende Avantgarderock-Frontfrau mit Drogenkonsum-Flair. Ein nicht unriskantes Spiel. Allzu rasch könnte es sich bei der Art, wie diese Frauen von der Musikpresse abgefeiert werden, wieder um eine Art Platzzuweisung seitens der männlichen Ordnungshüter handeln: Schaut meine Lieben – so geht es doch auch: Seht alle aus wie Nico, gertenschlank und megaerotisch, und macht nebenher noch anschmiegsamen Indierock. Dann kulten wir euch an.
Die Österreicherin Eva Jantschitsch, die schon mit ihrem Künstlernamen Gustav deutlich macht, dass sie eben nicht als Marke Frau auf den Popmusikmarkt gestellt werden will, macht ganz andere Musik. Seltsame elektronische Töne mischen sich mit subversiven und bissigen Texten auf Deutsch und Englisch. So zum Beispiel in dem Song ‚"One Hand Mona"‘ mit dem Refrain: „"It’s a common way of life/Losing one arm/And becoming someone’s wife".“ Oder im Titelstück ihres Albums "‚Rettet die Wale"‘, in dem Frau Gustav erst ganz mädchenhaft naiv singt „Rettet die Wale und stürzt das System“, um sich dann zu dem radikalen Rat zu steigern: "„Lasst den Kindern ihre Meinung/oder treibt sie früher ab"“.
Gustav ist politisch, und hierzu zählt die große Politik genauso wie das Spiel der Geschlechterrollen in der Popmusik. Was gesellschaftskritische Bissigkeit angeht, stellt sie die im Feuilleton so hoch gelobte ‚Hamburger Schule‘ –- also Bands wie ‚"Blumfeld"‘, "‚Tocotronic"‘ oder "‚Tomte" - satt in den Schatten. Gustav zeigt einmal mehr, dass Pop und Politik alles andere als tot sind und dass Frausein im Pop heißt, sein eigenes Ding zu machen.

Gustav: www.mosz.org –
KT Tunstall: ‚www.kttunstall.com –
Justine Electra: ‚www.justineelectra.org –
Emily Haines: ‚www.emilyhaines.com –
Leslie Feist: ‚www.listentofeist.com

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