Die komische Marcks
Eine zerzauselte Mutter im emanzipierten Hosenanzug und mit gestutzten Flügeln kommt da angeschwebt und schüttet ihr Füllhorn aus über einem ihrer Sprößlinge. Der wehrt genervt die Mutterliebe ab, die da auf ihn niederprasselt, nimmt aber mit der anderen Hand doch bereitwillig das offerierte Geld in Empfang. Die patentalternative Glucke, bei der allzeit ein warmes Süppchen für die vielköpfige Brut auf dem Herd köchelt, hat sich und ihren Lieben hier ein programmatisches Frontispiz fürs eigene Jubiläum gezeichnet: "Du siehst nie, was ich für dich tue!"
75 ist Marie im August geworden. "Ich kann's selber kaum glauben", sagt sie. "Das Schlimmste am Altwerden ist es, Freunde zu verlieren, dieses Jahr waren es fünf." Marie Marcks, von ihren Freunden liebevoll "Bebi" genannt (weil sie eben die Kleinste in der Familie war), ist eigentlich der klassische Emanzentyp: immer in Hosen, weiße, strupsige Haare, knallblaue Augen und ein feingeschnittenes, herbes Gesicht. Die Berliner Kodderschnauze ist eine empfindsame Seele, der vor allem das Wohl und Weh ihrer fünfköpfigen Kinderschar nebst siebenköpfiger Enkelinnenschaft am Herzen liegt.
Nun hat sie sich zum eigenen Geburtstag ein selbstironisches Büchlein gezeichnet, in dem jede und jeder sein Fett weg kriegt. Die Küken, die ewig im Nest hocken, und die Glucke, die nicht loslassen kann, selbst wenn "die Süßen" schon auf die 50 zugehen.
Vater Architekt, Mutter Künstlerin mit privater Malschule in Berlin. Kein Wunder, daß Marie "das Zeichnen mit der Muttermilch aufgesogen" hat. In einem kritischen Elternhaus in der Nazizeit großgeworden, mit einem unehelichen Kind aus dem Krieg gekommen und in Heidelberg eine neue Existenz aufgebaut. Das waren die Prämissen für ihr Leben als freischaffende Zeichnerin. Schon früh hat Marie gearbeitet und stets ihr eigenes Geld verdient. Sie hat fünf Kinder aus zwei (gescheiterten) Ehen großgezogen, auf langen Auslandaufenthalten mit Kind und Kegel ihre Weltsicht erweitert, und sich rasch von der Illustratorin zur Karikaturistin gemausert.
Eine Karikaturistin, die so manche Themen noch vor dem Zeitgeist erspürt und zu Papier gebracht hat: die Emanzipation und das gönnerhafte Gehabe alter und neuer (linker) Patriarchen; neumodisches Pädagogengemurkse (da gab's ja reichlich Anschauungsmaterial); willfährige antiautoritäre Erziehung, die Eltern an den Rand des Nervenzusammenbruchs und Kinder ins wattige Nichts führt; und immer wieder Tagespolitik in all ihren Schattierungen: § 218, Nachrüstung, Altstadtsanierung, Fremdenhaß, Atomenergie, Fortschrittswahn etc. 25 Jahre lang hat sie für die ,Süddeutsche Zeitung' gezeichnet, immer donnerstags auf Seite 4. Bis der Chef wechselte. Und sie cool abgewickelt wurde. So ist in der SZ die so lange weit und breit einzige Karikaturistin verlorengegangen.
Wie's der Zufall so will, ist "Bebi" die engste und älteste Freundin meiner (heute Ex- damals Noch-Nicht-) Schwiegermutter Rowi, welche in Berlin auf Mutter Marcksens Malschule ging. Und ich erinnere mich noch genau, wie beeindruckt ich war, als ich, damals noch Schülerin, eine frühe Ausstellung von Marie in der Heidelberger Stadtbibliothek gesehen habe. Daß eine Frau mit drei kleineren Kindern diese riesigen Räume füllen konnte und auch noch kleine Zeichentricks vorführte... allein schon ihre Existenz war Vorbild: Eine satirische Zeichnerin, die's vormacht. Maries Autobiographie "Marie, es brennt!" ist wahrlich ein historisches Dokument.
In den Medien wird die Marcks neuerdings als "Grande Dame" der deutschen Zeichnerei tituliert. Aber spätestens seit einer gemeinsamen Reise nach Ankara (zusammen mit zwei männlichen Kollegen) kenne ich auch eine ganz andere Marie: eine saukomische Anekdotenerzählerin; ein maulendes Kind, das über das "beschissene" Hotel quengelt; einen muffelnden Teenager, der den angekündigten "Workshop mit interessierten Laien" mit einem widerwilligen "So was Saublödes, wie komm ick mir denn vor!" kommentiert. Eine entnervte Angebetete, die vor einem bejahrten Verehrer, der ein selbstgemaltes Ölkitschbild überreichen will, hinter meinen Rücken flüchtet. Und eine sarkastische Beobachterin, die mit alters- und arbeitsgebeugtem Rücken neben mir hertrottet und ätzend frömmlerische Fundamentalisten oder die Macho-Sprüche unserer Kollegen kommentiert.
Liebste Marie, auch wenn du mit den Damen manchmal sehr strenge warst (von Herren scheinst du eh nicht viel zu erwarten) und mit den Emanzen gerne gereizt - laß dich umarmen! Du bist ja selber eine, eine Emanze. Da hilft nix. Erhalt dir deine Neugierde und Frechheit und gewähre uns noch viele Einblicke in die Untiefen weiblicher Existenz. Dies wünscht sich von Herzen zu deinem 75sten und aus ganz egoistischen Gründen
Deine Franziska Becker
Weiterlesen
"Du siehst nie, was ich für dich tue!" und "Marie es brennt!" (beide Kunstmann Verlag)