Frau über 40!

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Lisa Ortgies zerreißt es: zwischen Mitleid und guten Ratschlägen, zwischen Couperose und Cremetöpfen. Denn, Hilfe: Sie ist 40. Wer weiß Rat?

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Im ersten Moment habe ich gar nicht verstanden, was der rotgesichtige ältere Herr mit Toupet und modischer Hornbrille von mir wollte. Schließlich war ich aus beruflichen Gründen auf diesem Senioren-Partner-Treff – um eine Reportage zu moderieren. Dafür war ich stark geschminkt und trug zwar Jeans, aber dazu Blazer und reichlich Schmuck.

Es musste am Outfit liegen. Anders konnte ich mir nicht erklären, was da gerade passiert war:
Vor den Augen meines Kamerateams, das den Dreh wegen Lachkrämpfen unterbrechen musste, war ich in das Beuteschema eines verwitweten, pensionierten Mittelständlers gerutscht. Und in eine Eitelkeitskrise. Das war ein halbes Jahr vor meinem vierzigsten Geburtstag. Inzwischen gehöre ich ganz offiziell in die zweite Lebenshälfte (seit ungefähr vier Wochen), und so wie man als Schwangere plötzlich nur noch Schwangere und kleine Babys wahrnimmt, sammle ich unwillkürlich überall Beweise, dass ich eine magische Grenze überschritten habe.
Die Fachverkäuferin im Drogeriemarkt verweist mich neuerdings mit einem solidarischen Lächeln an das Regal mit Produkten für die ‚reife Haut‘: „So langsam dürften Sie es ruhig mal mit Kollagen versuchen. Und das da … macht die Poren kleiner.“ Bis dahin war mir gar nicht klar, dass meine Poren überhaupt zu sehen sind.
Aber seit ich mit Doris per du bin, haben meine Apfelbäckchen einen neuen Namen: „Couperose, ganz normal in deinem Alter, aber die musst du im Auge behalten!“ Jetzt ziehe ich jeden Morgen ein Stück meiner Wangenhaut auseinander, um zu checken, wie viel erweiterte Äderchen dazu gekommen sind. Meine Augenlider heißen jetzt „Schlupflider“ und mein Mund ist nicht mehr von Lippen umrahmt, sondern von Minipli-Fältchen, in denen der Lippenstift zerfasert. Meine kleine Schminktasche habe ich zugunsten eines Beutels entsorgt, um Platz zu schaffen für all die abdeckenden oder lichtreflektierenden Cremes, Tonics und Concealer. Ab 40 nennt man das Beauty-Management.
Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich auf dem besten Wege bin, ein Kosmetik-Junkie zu werden. Aber mein angeborener Geiz wird mich hoffentlich irgendwann stoppen. Und im Moment lindert die Sucht noch den Schock über all die unsichtbaren Alterungsprozesse, die schon längst begonnen haben, meinen Körper von innen auszuhöhlen. Ich hatte ja keine Ahnung, was mit mir passiert – bis ich anfing, das Kleingedruckte in den Produktanzeigen der Frauenzeitschriften zu lesen.
Wussten Sie, dass Frauen ab 35 jährlich 140 bis 170 Gramm Muskelmasse verlieren und stattdessen Fett einlagern? Außerdem verlieren sie die Kittsubstanzen zwischen den Zellen (Ceramide), so dass aus Fältchen Falten werden und sich Kinn sowie Wangen in eine formlose Masse verwandeln. Ab 40 wird Knochenmasse abgebaut und das Hormon-Gleichgewicht verschiebt sich. Dadurch entschleunigt der Stoffwechsel und man nimmt schleichend aber unaufhaltsam zu. Wer den Kosmetikfirmen misstraut, kann so etwas auch in der Apothekenrundschau oder in den Werbeprospekten der Hautärzte nachlesen, die sich seit der Gesundheitsreform mit kleinen Alterskorrekturen über Wasser halten müssen.
Als Waffe gegen den Schwund könnte ich natürlich Hormone einsetzen, dadurch erhöht sich aber automatisch mein Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. In Anbetracht von soviel Verfall, erscheint es mir fast tröstlich, dass die Krankenkasse ab jetzt eine Mammographie und eine Untersuchung meines Mastdarms bezahlt. Trotzdem: Wieso muss ich das alles aus dritter Hand erfahren, frage ich mich? Warum hatte niemand in meiner Umgebung den Mut, mich mit der Wahrheit über meinen Zustand zu konfrontieren?
Jetzt ist es zu spät! Zum Beispiel für eine Botox-Behandlung, wie mich eine schadenfrohe und ansonsten mimiklose Kollegin neulich aufklärte. Mit so einer Muskellähmung durch Gift muss man nämlich beginnen, bevor sich die Falten eingraben. Für ihre halbjährlichen Behandlungen (500 Euro pro Sitzung!) hat die Kollegin den jährlichen Ski-Urlaub gestrichen. Eine andere Bekannte, Managementberaterin, hat sich nach ihrem vierzigsten Geburtstag auf Größe 34 runtergehungert und mir stolz erklärt, dass man sich in diesem Alter nun mal entscheiden müsste: Will ich als Kuh alt werden oder als Ziege? Leider neige ich parallel zur Gewichtszunahme und zum Faltenwurf … Was soll aus mir werden?
In beiden Fällen muss man auf Männer sowieso verzichten. Denn die schauen – ganz unabhängig vom eigenen Geburtsdatum und bereits gezeugten Kindern – ausschließlich nach Frauen im gebärfähigen Alter. Das bestätigt auch die Chefin einer Dating-Agentur im Interview und spricht bei über 40-jährigen Frauen von einem „ganz traurigen Problem unserer Gesellschaft“, als handelte es sich um erschlagene Robben. Auf jeden Fall kann sie für solche Frauen keine Singles-Reisen anbieten, weil die dazugehörigen Männer fehlen.
Die männliche Klientel beim eingangs erwähnten Senioren-Tanztee erscheint da noch relativ tolerant, indem sie sich wenigstens der mittelalten Frauen erbarmt. Anders ausgedrückt: Das mit dem Altersunterschied dürfe man den Männern nicht übel nehmen, wie mir der Initiator des Tanztees erklärte, „Das ist ein biologischer Zwang, wissen Sie. Wenn bei der Frau alles hängt, kriegen die einfach keinen mehr hoch.“ Macht nichts! Beim Anblick triebgestauter Halbgreise vergeht jeder Frau sowieso endgültig der Appetit auf Sex.
Jetzt kann ich mir die Statistik des amerikanischen Kinsey-Nachfolgereports erklären, wonach nur knapp die Hälfte aller über 40-jährigen Frauen überhaupt noch ein Sexleben hat. Angesichts solcher Zahlen kann ich mich wohl glücklich schätzen, wenn mein Mann noch ab und zu seinen „ehelichen Pflichten“ nachkommt. Wo mich doch sonst keiner mehr mit dem Arsch anguckt.
Die Soziologen sprechen – höflich wie immer – von einer erotischen Tarnkappe, die sich über die Frauen ab 40 stülpt. Auch Udo Jürgens, der es aufgrund seiner ausgiebigen Feldstudien ja wissen muss, hat in der Bild-Zeitung bestätigt, dass Frauen ab 40 keine Lust mehr haben auf Sex: „Frauen können eigentlich nur bis Ende 30 Kinder bekommen.
Danach ebbt auch ihr Interesse an Sexualität merklich ab.“ Jürgens eigene Frau ist übrigens 45 Jahre alt … Und dann kommen ja ab siebzig auch noch ein paar altersbedingte geistige Einschränkungen dazu, von Potenzproblemen ganz zu schweigen. Natürlich hat er sich längst entschuldigt, schon im eigenen Geschäftsinteresse, schließlich sind seine Fans mehrheitlich weiblich und über 40. Die Bild-Zeitung selbst und der Stern haben auf Jürgens Fauxpas mit einer Kampagne über selbstbewusste und erfolgreiche Frauen ab 40 reagiert. Auf dem Titel sind unter anderem Katja Riemann und Bärbel Schäfer zu sehen. Eine ehrenwerte Sache, aber wie weit weg vom Fenster sind diese beiden Damen eigentlich …?!
Jetzt schreibe ich mich wieder um Kopf und Kragen. Auch das hat sich seit ein paar Jahren geändert: Während meine Bemerkungen und Kommentare früher als ‚frech‘ und ‚erfrischend unkonventionell‘ galten, habe ich seit neuestem ‚Haare auf den Zähnen‘. Mit Mitte 20 gilt eine Frau als selbstbewusst oder rebellisch, wenn sie sich aus dem Fenster hängt, mit Mitte 60 hat sie den Bonus der Altersweisheit. Dazwischen nervt sie. Egal, wozu ich meine Kritik äußere oder wie berechtigt sie ist – meine Umgebung vermutet dahinter grundsätzlich, dass ich irgendwie frustriert bin: Weil meine Attraktivität schwindet, weil ich immer noch keine eigene Talk-Show habe, weil es nur für ein Kind gereicht hat, weil ich noch keinen Roman draußen habe oder einfach, weil ich schlecht gefickt bin. Und diese Behauptungen sind noch harmlos im Vergleich zu den Lästereien über Kolleginnen in meinem Alter, die weder Mann noch Kind haben …
Irgend etwas von den Dingen, die man ausgerechnet in der Rushhour des Lebens angekurbelt haben muss, bleibt immer auf der Strecke: Karriere, Familie, eine eigene Stiftung … Aber ab jetzt haftet an Ihnen der Makel der Endgültigkeit! Für 40-Jährige gibt es kein Stipendium oder Ausschreibungen – bis 35 müssen alle Talente entdeckt sein. (Danach bleibt nur der Nobelpreis oder das Bundesverdienstkreuz.) Beim Arbeitsamt ist frau spätestens ab Mitte 40 schwer vermittelbar, obwohl das Schwangerschaftsrisiko wegfällt. Bis dahin gelte ich als potenzieller Ausfall, weil ich mich um Kleinkinder kümmern muss. Angesichts des Trends zu späten Mutterschaft – wie bei den Hollywoodvorbildern Geena Davis und Holly Hunter mit 47 – wird diese Grenze wohl bald bis Ende 40 ausgedehnt.
Aber mit 50 ist auf dem freien Arbeitsmarkt endgültig Schluss. Da bleibt nur noch eine selbst finanzierte Weiterbildung zur Heilpraktikerin, ein Motorradführerschein oder der eigene Second-Hand-Laden. Das sind die Aussichten, wenn ich auf den Rat einer neuen Wellness-Zeitschrift vertraue – unter dem Motto: „Gönnen Sie sich Ihre Krise!“ Was ich hiermit tue.
Eine andere Zeitschrift, die das „ab 40“ im Titel trägt, lockt mich mit Berichten über ‚Das Schenken – als Grundlage des Seins‘ oder ‚Seelenmärchen über Schlangenfrauen‘. Bestimmt gibt es Frauen, die sich davon angesprochen fühlen. Ich verstehe solche Schlagzeilen als Aufforderung, mich freiwillig und endgültig aus der Gegenwart und vom Zeitgeist zu verabschieden. Aber vorher lüfte ich noch mal meine erotische Tarnkappe …
Drücken Sie mir die Daumen?!

Lisa Ortgies, EMMA März/April 2006

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