Die Pflanzen machen es uns vor...

© Bettina Flitner
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Als Anja Maubach noch ein Kind war, ging ihre Mutter zweimal im Jahr mit ihr in die Stadt, um der Tochter neue Kleidung zu kaufen: eine Ausstattung für Frühling und Sommer, eine für Herbst und Winter. "Dass da zwischendurch noch mal ein paar T-Shirts gekauft wurden, das gab es nicht." Maubach, heute 42, vermutet, dass dies vor allem dem Zeitmangel ihrer Mutter geschuldet war, die damals die Gärtnerei mit der stolzen 120-jährigen Familientradition leitete. Was sie mit ihrer Geschichte sagen will, ist aber Folgendes: Die gekauften Klamotten hatten ein farbliches und stilistisches Konzept, sie passten zusammen und waren auf längerfristige Freude an ihnen angelegt.

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Was das mit Pflanzen zu tun hat? Eine ganze Menge. Der Besitzerin einer der ältesten Staudengärtnereien Deutschlands ist es fremd, wenn ihre KundInnen nur deshalb "etwas kaufen, weil es gerade im Moment blüht". Und noch eine Kleider-Analogie: "Man geht doch auch nicht erst zwei Knöpfe kaufen und dann einen Reißverschluss, anstatt sich erstmal Gedanken über ein schönes Kostüm zu machen."

Anja Maubach, Urenkelin des berühmten Pflanzenzüchters Georg Arends, der seine "Kunst- und Handelsgärtnerei Arends" im Jahr 1888 auf den rauen Hügeln von Wuppertal-Ronsdorf eröffnete, um hier besonders widerstandsfähige Stauden zu züchten, hat im Prinzip nichts gegen diese Spontankäufe. Sie findet es nur schade, "dass sich viele Menschen nicht mehr für die Zusammenhänge interessieren: Wo kommen die Pflanzen her? Was für eine Geschichte haben die?" Und was gefällt Menschen an ihnen? "Der Garten", sagt Anja Maubach, "ist eine Möglichkeit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen."

Wenn GartenbesitzerInnen die studierte Landschaftsarchitektin bitten, ihnen ihre Gärten zu gestalten, dann macht sie nicht selten den Job der Familienpsychologin gleich mit. Kürzlich zum Beispiel hatte sie den Auftrag, für ein Ehepaar einen Sichtschutz zum Nachbargrundstück zu gestalten. Da sie bei ihren Konzeptgesprächen "schon mal ungewöhnliche Sachen fragt", wollte sie wissen, wer denn auf dem Nachbargrundstück wohne. Die Schwiegermutter, lautete die genervte Antwort der Frau. Es stellte sich heraus: Das Paar hatte zuvor in deren Haus gewohnt und sich nun endlich eigenes Terrain erobert – zum Leidwesen der älteren Dame, die nun ständig aus dem Fenster auf den Garten schaute und prompt anrief, sobald sie niemanden sah. Die Schwiegertochter war strapaziert, der Sohn in der Klemme. "Da konnte ich doch nicht einfach eine Bretterwand hinstellen", sagt Anja Maubach. Es musste "eine liebevolle Lösung" her. Sie bestand aus einer Terrasse, die Maubach in das steile Grundstück einließ, so dass man vom Nachbargrundstück gewissermaßen über sie hinwegsah – und einem kleinen einsehbaren Holzdeck, einem "halboffiziellen Ort". Ein Kompromiss, der alle Beteiligten mehr oder weniger glücklich machte, auch Anja Maubach, der auch die psychologische Seite des Gärtnerns "riesig Spaß macht".

Wenn die Gartengestalterin auf die berühmten Pionierinnen der Gartenkunst schaut, sieht sie darum nicht nur Blüten und Bäume, sondern die Geschichten dahinter. Vita Sackville-West zum Beispiel, die Schöpferin von Englands meist besuchter Gartenanlage Sissinghurst, "die hatte ihr Liebstes verloren: ihr Elternhaus, das sie nicht erben durfte, weil sie eine Frau war. Und dann hat sie sich etwas gesucht, was noch kaputter war als diese Verhältnisse: diese Ruine." Die hat sie zum Blühen gebracht.

"Die Vita", wie Anja Maubach die Lady Sackville-West vertraulich nennt, ist eine der englischen Gartenpionierinnen, nach denen sie mit ihrer Diplomarbeit "Gartenkunst und Gartenlust – Gardening for Ladies" gegraben hat. Die imposante Gertrude Jekyll ist auch dabei, aber auch weniger bekannte Gärtnerinnen wie Dame Sylvia Crowe, Landschaftsberaterin der britischen Forstkommission, oder Beth Chatto, Staudengärtnerin und Spezialistin für "unusual plants".

Das Fachwissen und die Ideen ihrer Vorgängerinnen sind für die Gärtnerin von heute hochinteressant. Aber darüber hinaus war für Maubach noch eine weitere Erkenntnis zentral: "Es hat mich so berührt, dass Frauen das alles früher nicht durften!"

Ob Anja Maubach durfte, diese Frage stellte sich rund 150 Jahre später nicht mehr. Trotz der riesigen Fußstapfen, in die sie da getreten ist. Erstens, weil der berühmte Urgroßvater – dessen legendären, mit alpinen Pflanzen bestückten Felsengarten illustre Kenner aus aller Welt besuchten und der mehrere neue Züchtungen mit dem Zusatz "arendsii" hinterließ – "in der Familie nie Gesprächsstoff war". Was die Ursache für diese seltsame Leerstelle ist, ob Mutter und Großmutter womöglich unter dem Ur- und Übervater gelitten haben, will die Urenkelin noch herausfinden. Für sie jedenfalls entstand "kein Überbild. Ich konnte ihn selbst entdecken".

Mit Hilfe des "Georg Arends Förderkreises", den Anja Maubach 2008 ins Leben rief, sollen nun ein Pflanzenarchiv und ein Gartenmuseum entstehen, um dem "Verlust einer Arten- und Sortenvielfalt, die einst das Bild unserer Gärten und Umwelt geprägt haben", entgegenzuwirken.

Vergangenes Wissen wiederentdecken und ihr Wissen weitergeben, das liebt die Landschaftsarchitektin: Sie unterrichtete an Gabriella Papes "Königlicher Gartenakademie" und war begeisterte Gastprofessorin an der Uni Hannover. Aber: Das Pendeln zwischen zwei Orten zerriss sie. "Deshalb habe ich mir meine eigene kleine Uni hierher geholt."

In ihren Seminaren in Ronsdorf versucht Maubach, die Menschen dazu zu bringen, "nicht nur von ihrer Terrasse aus den Garten anzuglotzen". Stattdessen sollen sie vom "Beobachter und Bewerter" ihres Gartens zum "Teil des Gartens" werden. Denn es gibt so viele Menschen, die nicht mehr geerdet und von ihren Wurzeln abgeschnitten sind. Insofern ist der Garten für Anja Maubach auch ein spiritueller Ort. Sagen würde sie das so aber nicht. "Wenn ich das so formulieren würde, dann hätte ich alle Yogalehrerinnen der Welt in meinen Workshops. Aber ich will ja gerade die, die sehr weit von diesem Gefühl zum Garten entfernt sind."

Zum Beispiel Männer, die beim Wort Gartenarbeit in der Regel eher einen Rasenmäher als den ewigen Kreislauf von Mutter Natur assoziieren. "Und wenn man die Männer kriegen will, dann ist alles, was nach Gesülze klingt, tendenziell kontraproduktiv." Männliche Gartenfans, sagt Maubach, haben wiederum andere Vorzüge. Zum Beispiel denken sie groß. "Die sagen schon mal: Ach, dann geben Sie mir doch mal 300 Tulpen!"

"Besonders die, denen gesellschaftliche Konventionen im Weg standen, einen handwerklichen Beruf zu erlernen, finden jetzt, dass sich mit dem Kontakt zum Boden und zur Natur eine Tür öffnet", hatte Gertrude Jekyll 1916 geschrieben und meinte damit ihre Geschlechtsgenossinnen. "Das waren mutige Frauen, die Grenzen überschritten haben", sagt Anja Maubach. "Die Pflanzen machen uns das vor: Die überschreiten ständig Grenzen und säen sich woanders aus. Davon können wir 'ne Menge lernen."
 

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www.arends-maubach.de

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