Alice Schwarzer über Frauenarbeit

1973 thematisierte Schwarzer erstmalig die Gratisarbeit von Frauen. FOTO: Bruno Pietszch
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Das Buch „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“ war das zweite von Alice Schwarzer, das in der politischen, damals prägenden Reihe „edition suhrkamp“ erschien. Zwei Jahre nach „Frauen gegen den § 218“ arbeitet die Autorin 1973 mit derselben Methode: Sie führte Gespräche mit Frauen (Protokolle) und analysierte den aktuellen Stand des jeweiligen Problems. Nach den Gründen und Folgen des Abtreibungsverbotes ging es ihr nun um das Verhältnis der gratis Haus- und Erziehungsarbeit zur entlohnten Erwerbsarbeit. 

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In den Gesprächen mit den 16 exemplarischen Frauen – von der Fließbandarbeiterin bis zur Jung-Filmerin, von der Feinmechanikerin bis zur Friseurin und Striptease-Tänzerin – stellte sich heraus, dass alle Frauen eigentlich nur „zu Gast“ in ihrem Beruf waren – und ihre zentrale Iden­tität in ihren Aufgaben als Ehefrau und Mutter lag. „Immer, wenn ich die Krankenwagen-Sirene höre, denke ich, es ist mein Kind“, sagt eine Halbtags-Sekretärin.

Das war vor 51 Jahren. Sicher hat sich seither etwas getan. Aber nicht genug!

Schwarzer recherchierte erstmals die Gratisarbeitsstunden und Erwerbs­arbeitsstunden der Frauen: 45 – 50 Milliarden Gratisstunden und 52 Milliarden entlohnte Stun­den. Die Autorin forderte u. a. die Kollek­tivierung der „Frauenarbeit“, Gratis-24-Stunden-Krippen und Ganztagsschulen, die 50/50 Arbeitsteilung und Teilzeitarbeit für Eltern von kleinen Kindern sowie die strukturelle Förderung der Frauen. Sie warnt vor der Teilzeitarbeit für Frauen.

Das war vor 51 Jahren. Seither hat sich etwas, aber bei weitem nicht genug getan. 50 % aller Frauen arbeiteten 2023 Teilzeit (13 % der Männer) darunter 67 % aller Mütter. 1985, zwölf Jahre nach „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“ wird das Buch erneut veröffentlicht. Diesmal unter dem Titel „Lohn: Liebe“. Der Text ist identisch, die Autorin fügt lediglich ein aktuelles Vorwort hinzu (Auszug ab S. 89). Zwei Jahre ­später wird Alice Schwarzer den kleinen Unterschied veröffent­lichen. Diesmal geht es um die Funktion von Liebe und Sexualität bei der (Selbst)Unter­drü­ckung der Frauen. Im nächsten Jahr wird „Der kleine Unter­schied“ 50 Jahre alt. EMMA kommt darauf zurück.

Im Zentrum meiner im Sommer und Herbst 1972 geführten Gespräche stand die Erwerbs­tätigkeit. Doch es hat sich im Verlauf der Recherche gezeigt, dass Kinderzimmer, Küche und Schlafzimmer noch immer weit vor Büro und Fließband rangieren. Zu diesen inneren Barrieren (in Bezug auf den Beruf) kommen die äußeren hinzu. Sie sind es, die in der Bundesrepublik der siebziger Jahre das Gerede von der Chancengleichheit der Geschlechter vollends zur Farce machen. 

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Der Preis für die Frauenerwerbstätigkeit ist die Doppelbelastung. Unter solchen Umständen kann Berufstätigkeit nicht zwangsläufig emanzipieren, sie ist aber dennoch fundamentale Voraussetzung zur Befreiung, denn: Nur die entlohnte Arbeit gewährt der Frau eine relative materielle Unabhängigkeit, auch vom Ehemann. Und nur die Arbeit außer Haus kann die soziale Isolation der Frauen lindern und ihr Selbstwertgefühl steigern.

Es wäre zynisch, Frauen, die die unentlohnte Haus- und Erziehungsarbeit leisten, zur zusätz­lichen Erwerbstätigkeit zu ermutigen, ohne sie gleichzeitig vor der modernen KKK-Idylle (Kinder-Küche-Konsum) zu warnen. Die dreifach Ausgebeuteten arbeiten im Haus gratis als Hausfrau und Mutter und sind als Frauen zusätzlich betroffen von der geschlechts-spezifischen Benachtei­ligung im Beruf.

„Darf eine Mutter berufstätig sein?“ fragte Eltern seine Leser im Sommer 1972 und gab auch gleich Antworten. Die 34-jährige Margit Karl zum Beispiel breitete ihren zur Nachahmung empfohlenen, nach Minuten abgestoppten Tag chronologisch aus. Er beginnt um 5 Uhr („Ich mache das Frühstück, bereite die Bügelwäsche für den Abend vor, stopfe oder flicke ein bisschen“) und endet nach 21 Uhr („Ich koche das Mittagessen für Armin und Christa und das Abendessen für die Familie vor. Ich lege den Kindern die Kleidung für den nächsten Tag heraus und bügle ein bisschen oder mache Handarbeiten“).

Das ist das neue Frauenleitbild: Frauen dürfen nicht nur berufstätig sein, sie sollen sogar berufstätig sein. Aber sie dürfen — zum Nutzen des Kapitals und des Patriarchats — ihr KKK-Leitbild dabei nicht aus den Augen verlieren. In Küche und Kinderzimmer arbeiten Frauen ohne Widerspruch und schuldbewusst — weil berufstätig — weiterhin allein; im Büro und am Fließband bleiben sie das willig-billige Arbeitskraftpotential — weil vor allem Mutter und Ehefrau —, auf das die Wirtschaft längst nicht mehr verzichten kann. 

Die nicht entlohnten Arbeitsstunden sind nur geringfügig weniger als die Entlohnten

Dazu ein paar Zahlen: Jede zweite Frau im erwerbsfähigen Alter ist in der Bundesrepublik erwerbstätig, die Hälfte davon ist verheiratet. 50 Prozent aller berufstätigen Frauen lassen sich mit weniger als 600 DM Monatslohn abspeisen (nur jeder 33. Mann). Von rund 5.000 Plätzen im Topmanagement waren 1971 lediglich 16 mit Frauen besetzt. 

„In der aktuellen arbeitsmarktpolitischen Diskussion besteht Übereinstimmung darüber, dass allein bei den Frauen ein bemerkenswertes ungenutztes inländisches Arbeitskräftepotential besteht. In der Beurteilung der Frage, wie weit dieses Potential genutzt werden kann oder soll, gehen die Meinungen allerdings auseinander“, schreibt Günter Buttler in der Broschüre „Beiträge des deutschen Industrieinstituts“. Und er fährt fort: „Es geht im Nachfolgenden um die Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Förderung der Frauenerwerbsarbeit, die geeignet sein können, latente Beschäftigungsreserven für das Wirtschaftswachstum zu erschließen, ohne dass dadurch die spezifische Rolle der Frau und ihre Funktion im Rahmen der Familie beeinträchtigt oder gar in Frage gestellt werden.“ Was er unter der „spezifischen Rolle“ der Frau versteht, wird wenige Zeilen später präzisiert: „Man kann die menschliche Arbeit in Erwerbsarbeit und Haus­arbeit einteilen, beide tragen zum Lebensunterhalt bei. Von jeher galt es als Aufgabe der Frau, sich um den Bereich der Hausarbeit zu kümmern.“

Auch das Gesetz zementiert in der Bundes­republik sowohl die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wie auch die Doppelbelastung. Die §§ 1356 und 1360 des BGB untersagen der Frau einerseits die Berufstätigkeit, wenn sie ihren Haushaltspflichten nicht voll nachkommt, und verpflichtet sie andererseits zur Berufstätigkeit, wenn die wirtschaftliche Lage der Familie es erfordert. 

„Ich arbeite nicht“, sagen bezeichnenderweise die „Nur“-Hausfrauen, die ohne Kind mindestens 16 Stunden, mit Kind bis zu 100 Stunden in der Woche arbeiten. Sie bekunden damit ungewollt, wie sehr sie selbst die Missachtung der Haus­arbeit durch die Gesellschaft verinnerlicht haben. Die „Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V.“ in Frankfurt errechnete, dass in der BRD für private Haushalte rund 45 bis 50 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr aufgewendet werden, für die Erwerbswirtschaft 52 Milliarden. Die Zahl der nicht entlohnten Arbeitsstunden ist also nur geringfügig niedriger als die der entlohnten. 

Für die „nicht arbeitenden“ Frauen mit Kindern kalkulierte Reinhold Junker in seiner Untersuchung „Die Lage der Mütter in der BRD“ einen Arbeitstag von 13,5 Stunden — mit 7-Tage-Woche. „Weshalb die unentgeltlichen Dienstleistungen der Hausfrauen nicht in das Sozialprodukt eingehen, lässt sich logisch aus dem System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht begründen“, schreibt Rainer Skiba in der Zeitschrift des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften. 

Mutterschaft ist der einzige kreative Akt, den die herrschende Ideologie gestattet

Eine im Herbst 1972 in Brigitte veröffentlichte repräsentative Untersuchung ergab, dass ein Drittel der Ehemänner erwerbstätiger Frauen „nie“ bei der Hausarbeit „helfen“; ein Drittel „hilft bei ein bis zwei Arbeiten“ (Abtrocknen, Einkaufen), ein Drittel „hilft öfter“ – aber wie häufig auch immer, alle helfen den Frauen bei ihrer Haus­arbeit: Hausarbeit gleich Frauenarbeit. (Anm. der Autorin: Diese Zahlen haben sich bis heute, 50 Jahre später, nicht wesentlich geändert.) 

Es sind die berufstätigen Mütter, die zu Hause bleiben, wenn Kinder krank sind. Es sind die Mütter, die beim Ton der Krankenwagen-Sirene aufschrecken am Arbeitsplatz, weil sie fürchten, ihr Kind sei betroffen — ein Trauma, das in meinen Gesprächen mit Frauen immer wieder auftauchte. Es sind die Mütter, die sich einen Arbeitsplatz „gleich um die Ecke“ suchen – unabhängig von seinen sonstigen Qualitäten –, damit sie ihre Kinder vom Kindergarten oder nach Schulschluss abholen können. Es sind die Mütter, die Teilzeitarbeit machen. Es sind die Frauen, die von Kindesbeinen an auf die Mutterschaft vor­bereitet werden.

Die Mutterschaft ist der einzige kreative Akt, den die herrschende Ideologie Frauen gestattet. An ihr werden sie gemessen, selbst wenn sie sich verweigern — so wie Simone de Beauvoir, die ihr Leben lang nicht nur als Philosophin und Schriftstellerin, sondern auch als Nicht-Mutter be- und verurteilt wurde. Käme einer auf den Gedanken, Sartre eine verpasste Vaterschaft vorzuwerfen?

Für die Mehrheit der Frauen aber kommt, wenn sie nicht schon von Anbeginn aus materiellen Gründen zur Erwerbstätigkeit gezwungen sind, das Aufwachen spät. So spät, dass sie sich nur unter größten Anstrengungen von der häus­lichen Isolation, Monotonie und Abhängigkeit lösen und so organisieren können, dass eine zusätzliche, außerhäusliche Arbeit möglich ist. Im Laufe dieses gegen die profitierenden Männer (und manchmal auch Kinder) durchzusetzenden Lösungsprozesses kann die Frau nicht die innere Freiheit und Stärke gewinnen, die sie braucht, um ihre exklusive Zuständigkeit für das Haus in Frage zu stellen. 

Hüten sollten Frauen sich vor Teilzeitarbeit. Sie ist zwar eine Übergangs- und individuelle Lösung, aber nur in unqualifizierten Berufen praktikabel. Auch ist die Teilzeitarbeit eine neue Form der zusätzlichen Ausbeutung und bei Rezessionen ganz besonders gefährdet: Teilzeitarbeiterinnen werden als erste nach Hause geschickt. Was aber sollten Frauen heute anstreben?

Die Erziehungs- und Hausarbeit muss vom Kollektiv übernommen werden

Die Erziehungs- und Hausarbeit muss weitgehend vom Kollektiv übernommen, die Hausarbeit industrialisiert werden. Das heißt: ausreichend 24-Stunden-Krippen und -Kindergärten, die von Frauen und Männern betrieben werden; Kinderhorte und Ganztagsschulen, in denen die Geschlechterrollen nicht perpetuiert werden. Es ist nicht einzusehen, warum die Kindererziehung ausschließlich den Frauen aufgebürdet wird. Was die Hausarbeit angeht, die noch immer vorindustriell betrieben wird, so ist sie ein schlichter Anachronismus. Auch das Brot wird schließlich längst nicht mehr im Haus gebacken.

Großküchen mit teilweise und ganz vorbereiteten Gerichten müssen zur Verfügung stehen, wenn beide Partner berufstätig sind. Schon beim Häuserbau muss die Rationalität der Hausarbeit eine entscheidende Rolle spielen. Strikte Teilung der verbleibenden Hausarbeit mit den Männern! Fernziel ist eine Teilzeitarbeit für beide Geschlechter. Frauen müssen lernen, ihre berufliche Zukunft von 30, 40 Jahren zu planen. Frauen müssen zusätzliche Förderungs- und Bildungsmaßnahmen für Frauen fordern. 

Diese ersten Schritte müssen — in einer ersten Phase — gegen alle von der Diskriminierung der Frauen Profitierenden, d. h. auch gegen die eigenen Männer, erzwungen werden. Erst in einer zweiten Phase kann von Gemeinsamkeit die Rede sein – dann, wenn die Männer begriffen haben, dass sie lediglich vordergründig etwas zu verlieren, langfristig aber etwas zu gewinnen haben: nämlich menschenwürdige Beziehungen und in kürzester Frist die Milderung des Karrierezwanges, den auch die frustrierten Frauen aus Existenzangst und sozialer Abhängigkeit auf die ­Männer ausüben.

In dieser Auseinandersetzung müssen Frauen zum Machtfaktor werden. Sie müssen miteinander reden und handeln, überall: im Wohnblock, im Büro, in der Fakultät. In der Bundesrepublik haben einige Tausend Frauen bereits begonnen, sich zu gruppieren; für sie stehen der § 218 und die Leichtlohngruppen in direktem Zusammenhang. 

Nicht unsere Integrierung ist wünschenswert, nicht die Vermännlichung der Frauen, sondern die Vermenschlichung der Geschlechter.

Alice Schwarzer, 1973

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1985, zwölf Jahre nach "Frauenarbeit - Frauenbefreiung" wird das Buch erneut veröffentlicht. Diesmal unter dem Titel "Lohn: Liebe". Der Text ist identisch, die Autorin fügt lediglich ein neues Vorwort hinzu.

Lohn: Liebe
(Neuauflage 1985)

Nie waren so viele Frauen in der Bundes­republik erwerbstätig wie heute. Inzwischen sind es über 10 Millionen. Und das trotz Arbeitslosigkeit. Das heißt: Arbeitslos sind Frauen quasi nie. Höchstens erwerbslos. Denn der Löwenanteil der Frauenarbeit spielt sich weiterhin außerhalb der Lohnarbeit, spielt sich im Bereich der gratis geleisteten Haus- und Fami­lienarbeit ab.

Frauen arbeiten nicht nur für Geld, sie arbeiten auch aus Liebe. Nicht aus Liebe zur Arbeit, sondern aus Liebe zum Mann, zum Kind, zum Nächsten. Als dieses Buch 1973 erstmals unter dem Titel „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“ erschien, war Hausarbeit in der Öffentlichkeit noch kein Thema. Nur ein kleiner Teil der frühen Feministinnen beschäftigte sich (wieder einmal: ganz wie die Feministinnen im 19. Jahrhundert es schon getan hatten) mit der Frage. 

Die feministischen Texte hoben die im Dunkeln verrichtete Frauenarbeit ans Licht

Die frühen Feministinnen-Texte leisteten in den 1970er Jahren Pionierarbeit: Sie hoben die im Dunkeln verrichtete Frauenarbeit wieder ans Licht; sie stellten die Frage nach der Natur/Beschaffenheit der Hausarbeit und die nach ihren Profiteuren; und sie zeigten auf, in welchem Maße die Geschlechterrollen die Frauenarbeit im Privaten, im Erwerbsbereich und in der Öffentlichkeit prägen.

Die vor allem in der Bundesrepublik Mitte der 1970er Jahre geführte Debatte um einen „Lohn für Hausarbeit“ ist rückblickend als Reaktion auf diese frühen feministischen Forderungen zu verstehen. Diese Kampagne stiftete Verwirrung, indem sie den radikalen Kern der feministischen Hausarbeits-Analyse ausklammerte und versuchte, das steigende Unbehagen von Frauen in die reformistische Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“ zu kanalisieren (eine Vorgehensweise, die wir von den Gewerkschaften kennen, die Arbeitskämpfe um andere Arbeitsbedingungen und mehr Menschenwürde nur zu oft auf die verflachende Forderung nach „mehr Lohn“ beschränken). 

Dabei geht es doch genau um das Gegenteil. Die Arbeitsteilung Frauen drinnen/Männer draußen soll aufgehoben, nicht aber durch Entlohnung der Frauen auch noch zementiert werden! Dass die Geißlers (Anm. der Autorin: Heiner Geißler, CDU, war damals Frauenminister) in diesem unserem Lande nun prompt versuchten, Frauen durch ein demagogisches, rein ideelles Aufwerten der Haus- und Mutterarbeit und den Wink mit einem kleinen Taschengeld (Erziehungsgeld) wieder an die traditionelle Frauenrolle zu binden (und damit aus dem Erwerbsleben herauszulocken) – das ist genau die Sackgasse, in die die Forderung „Lohn für Hausarbeit“ führen musste.

Frauen, so hieß es nun in so manchen Frauengruppen und Friedenszirkeln nicht weniger als im Parteiprogramm der Christdemokraten, Frauen seien doch irgendwie die besseren Menschen, nicht gemacht für das Gerangel um ­Männerkarrieren und -kriege, eher geschaffen für Frieden und (Nächsten)Liebe.

Was all das mit Arbeit zu tun hat? Viel. Wenn nicht alles. Denn im Namen des (häuslichen) Friedens dringen Frauen nicht auf gerechte Aufteilung der Haus-/Kinderarbeit. Im Namen des (betrieblichen) Friedens bestehen sie nicht auf eigener Qualifikation und Karriere. Im Namen der Liebe (für Mann oder Kind) stecken sie zurück im Beruf und mit ihren Interessen. Genauer: Sollen sie zurückstecken. Dass das heute nicht mehr ganz so klappt, zeigt die Realität. Der Frauen-Widerstand steigt. Und mit ihm steigt beschwörend die Weiblichkeitspropaganda. 

Zwei von drei aller heute geschlossenen Ehen werden wieder geschieden

Die Lohnschere zwischen Männern und Frauen vergrößert sich. Dennoch nimmt die Zahl der berufstätigen Frauen zu. Und die der Eheschließungen steigt nicht (wie immer behauptet wird), sondern sie sinkt, relativ gesehen zur Zahl der heiratsfähigen Jahrgänge. Es steigt auch die Zahl der von Frauen eingereichten Scheidungen. Zwei von drei aller heute geschlossenen Ehen werden wieder geschieden, zwei Drittel bis drei Viertel davon auf Verlangen der Frauen.

Ganz wie die Linken sind Feministinnen betroffen von der aktuellen Anti-Aufklärung, vom Rückgang von Wissen und Bewusstsein, vom Rückzug ins Private oder Irrationale, kurzum: von der Entpolitisierung. Die äußert sich nicht selten in einer Flucht in Pseudo-Welten oder Sekten, religiöser wie weltlicher Art. Diese weltlichen Polit-Sekten grassieren heute an den Universi­täten auch im Bereich der sogenannten Frauenforschung. Da funktionieren sie ganz nach den bekannten Mustern: Sprach-Codes für Insider und simpelste Erklärungsmuster. 

Darin liegt der Sinn der Neuauflage dieses Buches von 1973. Allerdings: Mitte der achtziger Jahre können Hausfrauen nicht mehr ganz so unbefangen ermutigt werden, einfach in den Beruf (zurück)zugehen, wie das noch Anfang der siebziger Jahre der Fall war. Zwar scheint mir berufliche Eigenständigkeit weiterhin unabdingbare Voraussetzung für jeden Versuch der Emanzipation einer Frau. Doch ist dieser Weg heute oft noch steiniger als vor einigen Jahren. Stellen werden rarer und schlechter. Rechte werden massiv abgebaut oder systematisch verschwiegen, das allgemeine Klima ist eher einschüchternd denn ermutigend. Dennoch erkämpfen sich immer mehr Frauen den Zugang zur Erwerbstätigkeit. Dieser Frauen-Widerstand hat seine Wurzeln im Feminismus. Ihn müssen wir bestärken.

„Lohn: Liebe“ zeigt die Verstrickung von Haus- und Berufsarbeit der Frauen im alltäglichen Leben auf, zeigt den Sklavencharakter der Hausarbeit und den Gastcharakter der Frauenerwerbsarbeit. Und: Es zeigt, dass die inneren Barrieren nicht selten so hoch sind wie die äußeren.

Auffallend finde ich bei den Protokollen, dass diejenigen unter den befragten Frauen, die in sich als progressiv verstehenden, männerbeherrschten politischen Organisationen engagiert sind (von Gewerkschaft bis SPD und DKP) – und das sind hier ganz bewusst sechs von 15 –, bis auf eine Ausnahme nicht mehr Bewusstsein, nicht mehr Widerstandskraft gegen ihre spezifische Ausbeutung als Frauen haben als andere auch. Ihre Männer verhalten sich ebenfalls traditionell.

Würde ich all diesen 1973 befragten Frauen dieselben Fragen heute stellen, würden sie jedoch vermutlich bewusster und selbstbewusster antworten. Denn der Feminismus hat in den letzten zehn Jahren zwar die Realitäten nur gering, das Bewusstsein aber stark verändert. Die Mehrheit der Frauen empfindet es inzwischen als Zumutung oder als Skandal, im Beruf zu Gast und zum Haushalt geboren zu sein.   

ALICE SCHWARZER, März 1985

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