Wir sind Weltmeisterinnen!

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Punkt 10 Uhr 30 landete die Maschine aus Los Angeles in Frankfurt. Auf dem Platz vor dem Römer warteten Tausende von Fans. Sie skandierten: "So sehen Sieger aus!" Und: "Es gibt nur eine Theune-Meyer!" Und: "Siehst du, Rudi, so wird das gemacht!"

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Auch Oberbürgermeisterin Petra Roth fand im richtigen Augenblick die richtigen Worte: "Männer, schaut auf diese Frauen!" Und Trainerin Theune-Meyer ließ sich zu dem exzessiven Spruch hinreißen: "Ich habe in den letzten Tagen gelernt, dass Frauen auch ganz schön feiern können." Und Golden-Goal-Schützin Nia Künzer konnte sich nicht verkneifen, im Bild-Interview nachzuladen: "Frauen sind nicht so wehleidig. Wenn wir mal gefoult werden, stehen wir sofort wieder auf und machen nicht so 'ne Show." Seht, ihr Jungs, so wird das gemacht!
Im Leben eines Fußballfans sind vier Jahre eine entscheidende Zeiteinteilung; es ist die Zeit, die vergeht, bis wieder eine Weltmeisterschaft stattfindet. Der Schriftsteller Javier Marías hat einmal geschrieben, es sei seltsam, dass in der Kindheit die Zeit zwischen zwei Turnieren langsam und zäh verginge, während als Erwachsener die Zeit nur so dahinflöge, ohne das man einen entscheidenden Unterschied feststellen könne, weder an sich selbst, noch am Team.
Natürlich ist es ein Unterschied, ob man von acht auf zwölf vorrückt oder von 40 auf 44 Jahre, aber die Liebe zum Fußball wird doch immer gleich bleiben, man wird nur andere Erinnerungen mit ihr verknüpfen. Damals, als noch Franz Beckenbauer spielte und ich zum ersten Mal hinter der Garage des Großvaters knutschte oder nun, da Oliver Kahn spielt und das Leben von oberflächlichen Entscheidungen durchsetzt ist, etwa der, ob ich beim Umzug das alte Sofa mitnehmen soll oder mir lieber ein neues von Ikea zulege. Das Leben als Fußballfan ist dennoch einfach und strukturiert, zumindest für AnhängerInnen des Männersports.
Für Fans des Frauenfußballs ist es schwieriger. Sie (weibliche wie männliche Fans) müssen sich Spott und Häme gefallen lassen, werden belächelt und etwas traurig angesehen, wie jemand, der Anhänger einer Partei ist, die es gar nicht mehr gibt. So war es zumindest bis zu dieser Weltmeisterschaft. Denn nun gibt es zwei Zahlen, die wir Zweiflern hinwerfen können: Einmal die zwei Tore, die die Mannschaft im Endspiel gegen Schweden zur Weltmeisterin gemacht hat. Und dann die über zwölf Millionen, die das Finale im Fernsehen gesehen haben. Zwölf Millionen! Das sind fast so viele Zuschauer wie bei "Wetten dass?" - und der Unterhaltungswert war ungleich höher.
Und dazu können wir Nörglern noch einige Videokassetten hingeben, auf denen gleich mehrere famose Spiele der deutschen Frauen bei der WM zu sehen sind. Der Sieg gegen Japan in der Vorrunde beispielsweise, als die Deutschen die Japanerinnen nicht nur überrannten (was beinahe gemein wirkte, so überlegen waren sie), sondern auch mit technischen Finessen klassisch ausspielten. Oder das Halbfinale gegen die USA, die hochfavorisiert ins Turnier gingen, und dann mit 3:0 nach Hause geschickt wurden.
Im Laufe dieser Weltmeisterschaft wurde klar, dass Frauenfußball eine neue Dimension erreicht hat. Es gab zwar noch gewaltige Klassenunterschiede, die Argentinierinnen etwa, die sang- und klanglos untergingen. Aber in der Spielweise der besseren Mannschaften offenbarte sich, dass der Sport nicht mehr das öde, langsame Gekicke von vor zehn Jahren ist, sondern ein feines, schnelles Spiel, im Unterhaltungswert dem Männerfußball ebenbürtig, und in manchem sogar überlegen:
Durch die Weite der Spielräume erlaubt der Frauenfußball ein ansehnliches, abwechslungsreiches Kurzpassspiel, es gibt weniger üble Verletzungen und praktisch keine bösen Fouls, es ist eleganter, spielerischer. Stumpfes Herumgebolze, wie es die Herren-Nationalmannschaft teilweise in den Qualifikationsspielen zur Europameisterschaft gezeigt hat, hat es bei der Frauen-WM bei den deutschen Frauen nicht gegeben.

Die deutsche Mannschaft war schon vor dem Turnier als Favorit gehandelt worden, nicht nur, vor allem, weil das Team zu einer festen Bindung untereinander gefunden hat. Es schien, als ob sich jede ihres Platzes bewusst wäre, nicht als Individuum, sondern als wichtiges Teil eines Ganzen. Die deutschen Frauen haben einen großen Sprung nach vorne getan, was vermutlich auch daran liegt, dass viele von ihnen in der US-amerikanischen Profiliga WUSA gespielt haben, wo sie, anders als in Deutschland, endlich einmal als Fußballprofis arbeiten konnten - leider wurde die Liga wegen fehlender Sponsoren im September abgeschafft.
Vorne im Sturm spielen mit Birgit Prinz und Maren Meinert zwei, die in der WUSA gespielt haben; sie sind die gefährlichsten Stürmerinnen der Welt. Meinert wurde in der vergangenen Saison zum "Most valuable Player" der WUSA gewählt, zur wertvollsten Spielerin. Dahinter kickt mit Bettina Wiegmann die Länderspiel-erfahrenste Fußballerin des DFB, mit über 150 Länderspielen beendet sie nun ihre Karriere. So viele Spiele hat nicht einmal der ewige Lothar Matthäus geschafft.
Oder Kerstin Stegemann, die die Abwehr zusammenhält, ein Muster an Zuverlässigkeit, so eine Art Beruhigungsmittel für Torfrau Silke Rottenberg, die so eisern die Bälle hielt, dass sie zur besten Torhüterin der WM gewählt wurde. Über sich hinausgewachsen sind auch andere, wie die Shootingstars Kerstin Garefrekes und Nia Künzer, die, gerade zehn Minuten im Spiel, das entscheidende Tor, das "Golden Goal", zum Weltmeistertitel köpfte.
Natürlich konnten es sich die Fernseh-Kommentatoren nicht verkneifen, dusselige Männervergleiche anzustellen.
Nach dem Schlusspfiff etwa fragte einer die deutsche Nationaltrainerin Tina Theune-Meyer, ob sie sich jetzt so fühle wie einst der "Kaiser", als Beckenbauer mit seiner Mannschaft 1990 Weltmeister geworden war. Oder ob der Song "Es gibt nur einen Rudi Völler" nicht jetzt umgedichtet werden sollte in: "Es gibt nur eine Tina Theune-Meyer!". Theune-Meyer fiel dazu erwartungsgemäß nicht viel ein.
Offenbar kann sich niemand vorstellen, dass Frauenfußball für sich selbst steht und nicht nur ein etwas lahmer Abklatsch des Männerfußballs ist, eben mit Brüsten vorne dran. Sicher, Frauen spielen bislang weniger kraftintensiv - aber schließlich haben sie eine viel kürzere Geschichte und ist ihnen bislang das Profitum im Fußball verwehrt geblieben -, sie sind (noch) etwas langsamer und (traditionell) weniger grob; das macht das Spiel nicht schlechter, sondern nur anders. Eine Weltklassestürmerin wie Prinz ist darum auch nicht "unser weiblicher Ronaldo", sondern einfach Birgit Prinz, die bessere Tore schießt als jede andere Frau auf der Welt.

1990, als die deutschen Männer Weltmeister wurden, hatte die Begeisterung eine enorme Wirkung auf die Stimmung im gesamten Land und damit auch auf die Wirtschaft. Und es gibt Historiker, die vermuten, dass es zu dem ungarischen Volksaufstand im Oktober 1956 auch deshalb kam, weil die Bevölkerung von dem verlorengegangenen WM-Finale 1954 gegen Deutschland zutiefst frustriert und unzufrieden war. Droht jetzt ein Frauenaufstand?
Bisher kamen zu den Spielen der Frauenbundesliga im Schnitt 500 oder 600 Leute, das Interesse war eher mäßig. Frauenfußball hat bei den männerbündischen Sportfunktionären und Journalisten ein Imageproblem. Die finden die "kantigen, kurzgeschorenen" Weiber, die mit breiten Schritten über den Rasen traben, nicht "weiblich" genug. Bei den Amerikanerinnen, wo Fußball keine so große Rolle spielt und ein traditioneller Frauensport ist, sieht das schon anders aus. Die meisten tragen langes Haar, schminken sich und kleiden sich weiblich. Das gefällt den Sponsoren, denn in den Vorstandsetagen der Konzerne, wo das Geld ist, sitzen überwiegend Männer. Und das wird sich vermutlich so schnell auch nicht ändern. Die mangelnde Attraktivität der männlichen Spieler scheint dieselben Sponsoren nicht zu stören, sie zahlen trotzdem Millionen.
Aber wie sieht das jetzt aus für die Weltmeisterinnen nach einer Einschaltquote von über zwölf Millionen? Immerhin hat sich der Deutsche Fußball-Bund diesmal bereit erklärt, den Weltmeisterinnen eine Prämie auszuzahlen. 21.000 e soll jede Spielerin bekommen. Das ist mehr als nichts.
Die Herren erhielten 2002 übrigens pro Kopf 70.000 e - für das Erreichen des zweiten Platzes.
Susanne Frömel, EMMA 6/2003
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