Herzdamen am Pokertisch

Natalie Hof-Ramos räumt ab: Sie kann inzwischen vom Pokerspielen leben.
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Dunkle Räume ohne Fenster, rote Teppiche, schummriges Licht, Männer in Anzügen, die keine Miene verziehen, dubiose Gestalten, das Klickern von Roulette-Kugeln. Ein Casino. Ein Hauch von etwas Verbotenem liegt in der Luft. Das ist kein guter Ort für Frauen. Oder?

Davon mal abgesehen, dass die wenigsten Casinos heute noch so aussehen, sind sie für Natalie Hof Ramos und Nina Lehle ein extrem guter Ort. Dort leben sie ihre große Leidenschaft aus: das Pokern. Auch auf Turnieren in Las Vegas räumen sie ab. Um die 80.000 US-Dollar hat Natalie dort in diesem Sommer bei der Weltmeisterschaft erspielt. Die deutsche Pokerszene kennt sie als Moderatorin der „SPORT1-German-High-Roller“ und der „TV- Total-Pokerstars.de-Nacht“. Natalie ist so gut, dass sie vom Pokern leben kann. Aktuell kümmert sie sich aber vorrangig um ihre dreijährige Tochter Luna und macht nur noch die Live-Turniere, auf die sie „Lust“ hat. Natalies Ehemann ist ebenfalls professioneller Poker-Spieler.

Nina versteht sich zwar eher als „Hobby-Spielerin“, hat jedoch ähnliche Erfolge wie Natalie vorzuweisen. Sie spielt hin und wieder in deutschen und in US-TV-Poker-Shows, zuletzt zuschauerInnenträchtig gegen den US-Comedian Kevin Hart.

Die zwei sind nicht nur gut im Pokern, sie haben auch eine Mission: Sie wollen mehr Frauen den Weg an die Pokertische bahnen und für ein Spiel begeistern, das fürs Leben lehrt. Denn noch liegt die Beteiligungsquote von Frauen bei großen Poker-Turnieren zwischen fünf und zehn Prozent.

Vor drei Jahren haben Natalie und Nina also die „Herzdamen“ gegründet, eine Plattform für pokernde Frauen, auf der sie ihre große Leidenschaft ausleben und trainieren – oft auch ganz ohne Geldeinsätze. Um die 250 Herzdamen sind sie heute, aus Deutschland, Europa und den USA.

Fast alle Herzdamen haben schon blöde Sprüche an den Pokertischen dieser Welt gehört, wurden als „Fisch“, also als schwächstes Glied am Tisch, behandelt. „Wer hoch pokern will, braucht aber Stärke, vor allem in der Körpersprache“, sagt Natalie. Und Nina ergänzt: „Wenn man sich die Poker-Weltspitze anschaut, sieht man dort keine Individuen, sondern Grüppchen. Es sind die immer gleichen Männer, die sich gegenseitig hochziehen, sich zuspielen, eine Allianz bilden, um den ganz großen Pot zu gewinnen. Genau das müssen wir Frauen lernen! Wir müssen weg von diesem Konkurrenz-Denken und uns gerissener für das große Ganze zuarbeiten. Im Pokern wie im Leben. ‚All in‘ – wie man beim Pokern sagt!“

Anders als bei anderen Kartenspielen gehört beim Pokern nicht nur Glück, sondern auch ganz viel Strategie dazu. Gespielt wird (in der gängigen Texas Hold’em-Variante) mit 52 Karten: mit fünf Karten wird „eine Hand“, das Pokerblatt gebildet. Dann setzen die SpielerInnen einen Einsatz auf die Gewinnchancen der eigenen Hand und schätzen, was die anderen auf der Hand haben könnten. Es geht also um Stochastik, Wahrscheinlichkeitsrechnung, und um schnelle Entscheidungsfähigkeit – plus Psychologie. Wie wahrscheinlich ist es, dass eine bestimmte Karte kommt, welche wurden schon abgelegt, welche sind noch im Spiel? Die eingesetzten Chips eines Spieles, also den Pot, gewinnt die stärkste Hand.

Aber: Dank Bluff, Einschätzen der MitspielerInnen und natürlich das Pokerface kann man oder frau auch mit schwachen Karten gewinnen. Darin liegt der eigentliche Reiz des Spiels. Gute SpielerInnen verstehen es, durch Kenntnis der Wahrscheinlichkeiten und das Beobachten der anderen „schlechte Hände“ frühzeitig aufzugeben, Verluste gering zu halten und Gewinne zu maximieren – allesamt Fähigkeiten, die Frauen traditionell abgesprochen werden.

„Ich war früher oft eine der ganz wenigen Frauen in Pokerrunden und sogar neidisch, wenn mal eine andere Frau gewonnen hat“, erzählt Natalie. „Das sehe ich heute anders. Je mehr Frauen, desto besser! Wenn eine Frau gewinnt, gewinne ich auch! Wir müssen lernen, uns gegenseitig zu unterstützen und etwas zu gönnen.“

Pokern ist ein Männerspiel. Es wurde um 1829 von französischen Siedlern nach New Orleans gebracht und breitete sich rasch über die Mississippi-Dampfschiffe im Osten der USA aus. Pokern galt als Schummelspiel, das so manchen Siedler um sein komplettes Vermögen brachte. Frauen waren da nur schmückendes Beiwerk und in den Casinos oft als Prostituierte unterwegs. Sie sollten Glück bringen oder mit einem tiefen Dekolleté den Gegner ablenken.

Erst vor wenigen Jahren hat das Pokern seine Anrüchigkeit verloren. Inzwischen buchen ManagerInnen Poker-Seminare und Poker-Weltmeister sehen nicht mehr wie Gestalten aus dem Rotlichtmilieu, sondern wie Azubis von der Sparkasse aus.

Natalie hat mit 18 angefangen zu spielen. Fast jeden Abend ist sie von ihrem Heimatort Norden in Ostfriesland nach Bremen oder Groningen gefahren, um in einem Casino zu spielen. Berufswunsch nach dem Abitur: Poker-Ambassador. Ihre Mutter war kurz vor dem Nervenzusammenbruch: „Das Kind ist spielsüchtig und gerät auf die schiefe Bahn!“ Ihr zuliebe hat Natalie dann noch Theologie und Erziehungswissenschaften studiert, denn „in der Theologie und im Poker gibt es eine gewisse Schnittmenge,“ feixt Natalie. „In beidem liegt auch der Kampf mit sich selbst, Deutung, etwas sehr Spirituelles!“ 

Das findet auch Nina Lehle. Mehr noch. Dank Pokern hat sie überlebt. Vor neun Jahren hatte die Stuttgarterin und frühere Versicherungskauffrau einen schweren Unfall, sie sitzt seitdem im Rollstuhl und ist querschnittgelähmt. „Alle PokerspielerInnen verlieren häufiger, als dass sie gewinnen. Wenn ich am Pokertisch sitze, ist mein Rollstuhl egal. Ich habe dann eine vom Körper losgelöste Stärke.“

Jeden Donnerstagabend hält Nina für die „Herzdamen“ Zoom-Runden auf Englisch und Deutsch, es gibt eine Online-Liga und eine „Summer School“ zum Pokern lernen. Und jedes Jahr im September gibt es ein „Herzdamen-Festival“. Dann kommen Pokerspielerinnen aus mehreren Ländern in Tschechien im Grand Casino Aš zusammen und spielen ihr großes „Herzdamen-Turnier“. „Es sind mittlerweile richtige Freundschaften entstanden. Wir Mädels unternehmen viel zusammen“, schwärmt Nina.

Ein großes Thema beim Pokern ist das Lesen der Körpersprache. „Körper kommunizieren immer. Bei guten Karten gehen bei vielen Menschen zum Beispiel die Augenbrauen hoch. Einige legen gute Karten schneller ab als schlechte, einige schwitzen, bei anderen pocht die Halsschlagader, manche zittern sogar, wenn sie kein gutes Blatt haben“, weiß Natalie. Und Nina: „Eine Freundin von mir hat immer ihre Ärmel hochgekrempelt, wenn ihr Blatt gut wurde.“ Profis setzen das perfekte Pokerface auf – keine Reaktion, kein gar nichts. „Die erkennt man am Setzverhalten. Die Art, wie schnell jemand höhere Summen setzt, verrät auch viel“, sagt Nina.

Beide Herzdamen halten Frauen für die besseren Poker-Spieler: Sie sind geduldiger, haben eine bessere Intuition und ein geringeres Ego. Letzteres schützt vorm Verzocken aus Eitelkeit. „Männer wollen ums Verrecken gewinnen“, weiß Nina. Deswegen würden auch weniger Frauen spielsüchtig. Sie können sich und die Situation besser einschätzen. Nur eines fehle ihnen noch: die Risiko-Bereitschaft.

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