Hrant-Dink-Preis für Mozn Hassan

Hrant-Dink-Preis für Mozn Hassan: "Ich kämpfe weiter!"
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Weil sie mit ihrer Initiative „Nazra für feministische Studien“ für die Rechte der Ägypterinnen kämpft, wird Mozn Hassan verfolgt und soll in Haft. Seit 2007 bietet ihre Initiative Opfern sexueller Gewalt medizinischen, psychologischen und juristischen Beistand und präsentiert außerdem Zahlen und Fakten zur sexuellen Gewalt in Ägypten. Als die Gewalt gegen Frauen während des sogenannten "arabischen Frühlings" im Jahr 2011 auf dem Tahir-Platz eskalierte, waren die Nazra-Frauen zur Stelle, um ein Hilfsprogramm für die Betroffenen zu starten. Seitdem wird auch ihr eigenes Leben bedroht. Im Gespräch mit EMMA 2018 erklärte Mozn Hassan, warum sie trotzdem immer weiter kämpfen wird.

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Mozn, was wird dir vorgeworfen?
Dass ich finanzielle Unterstützung aus dem Ausland bekomme, um die nationale Sicherheit zu gefährden. Und dass ich mit meiner Organisation Nazra eine Institution geschaffen hätte, die angeblich Informationen über Ägypten fälscht, um das Land weltweit in ein schlechtes Licht zu rücken. Damit beziehen sie sich auf meine Aufklärungsarbeit über Frauenrechte und sexuelle Gewalt. Und ein weiterer Vorwurf lautet, dass ich Frauen darin unterstütze, unverantwortlich viel Freiheit zu besitzen.

Welche Konsequenzen drohen dir?
Mir drohen 40 Jahre Haft. Und das nur deswegen, weil ich mit meiner Organsiation Nazra für Gleichberechtigung kämpfe. Das ist am härtesten für mich: Ich habe das Gefühl, dass ich wegen meiner feministischen Überzeugung bestraft werde. Und wir reden ja nicht über eine kleine Strafe. Diese Kampagne der Regierung gegen mich läuft auch schon länger. Seit 2016 sind meine Konten eingefroren und ich unterliege einem Reiseverbot. Der Druck auf Nazra ist so groß geworden, dass wir im Frühjahr das Büro schließen mussten. Mit dieser ständigen Angst zu leben und dabei genau zu wissen, dass ich nichts falsch gemacht habe - das ist schwer auszuhalten.

Dabei präsentiert sich Präsident al-Sisi als Förderer der Frauenrechte.
Das ist das Image, das sie nach außen präsentieren wollen. Der ägyptische Präsident hat 2017 sogar zum Jahr der Frau erklärt. Und viele haben erwartet, dass es dadurch eine Verbesserung der Frauenrechte geben wird. Aber ganz ehrlich? Es hat sich gar nichts getan. Sie haben weder ein neues Gesetz gegen sexuelle Gewalt erlassen noch haben sie eine Kommission eingerichtet, die Diskriminierung bekämpfen soll. Sie versprechen also viel, halten es aber nicht ein. Und jetzt sind sie hinter feministischen Organisationen her, weil sie nicht wollen, dass wir darauf hinweisen, was alles falsch läuft. Bei Feministinnen sind sie besonders empfindlich. Erstens sind sie so patriarchal, dass sie es nicht ertragen, von einer Frau kritisiert zu werden. Und zweitens sind die Fakten, die wir präsentieren, schlecht für ihre Propaganda.

https://www.youtube.com/watch?v=OPZHNb-vuoM&feature=emb_title

Wie konnte Nazra unter dem langjährigen Druck weiterarbeiten?
Unsere Überlebensstrategie ist, dass wir uns als Gruppe dazu entschieden haben, einfach weiterzumachen. Und zwar, bis sie unser Büro offiziell schließen lassen oder uns ins Gefängnis werfen. Das ist bisher nicht passiert. Und so entwickeln wir ständig neue Instrumente. Zum Beispiel, um Opfern sexueller Gewalt weiterhin eine Hotline anzubieten. Und wir arbeiten auch als Mentorinnen für andere feministische Gruppen.

Wieso hast du Nazra eigentlich gegründet?
Als wir die Gruppe 2007 gegründet haben, gab es in Ägypten eine Aufbruchsstimmung. Und wir dachten, vielleicht ist das ja genau der Augenblick, um eine neue Welle der Frauenbewegung anzuschieben. Also haben wir die Sache mit Leidenschaft voran getrieben. Ende 2010 startete dann die arabische Revolution, die war ein echter Augenöffner! Einerseits hatten wir das Gefühl, dass wir endlich einen Raum für Gestaltung hatten. Andererseits waren wir mit dieser immensen Gewalt gegen Frauen konfrontiert und mussten uns um die Überlebenden sexueller Gewalt kümmern. Seither hat der Druck auf Frauen wieder enorm zugenommen und viele Ägypterinnen sind sehr niedergeschlagen. Denn sie sehen, dass sich inzwischen sogar Menschen von ihnen abwenden, die lange an ihrer Seite gekämpft haben. Aus dieser Erfahrung haben wir auch viel gelernt.

Was sind denn die größten Probleme, mit denen Frauen in Ägypten derzeit zu kämpfen haben?
Die Gewalt gegen Frauen ist ein großes Problem. Sie ist ein Mittel, um die ägyptischen Frauen davon abzuhalten, im öffentlichen Raum aktiv zu werden, eine politische Rolle zu spielen. Denn die Angst hält die Frauen davon ab, sich einzumischen. Und auch die zunehmende Stigmatisierung von Frauen, die es wagen ihre Stimme zu erheben, ist sehr hart. Vor allem, weil wir gleichzeitig keine funktionierenden Gesetze haben, die Frauen ihre Rechte zusichern. Und nicht zu vergessen: Es gibt einen immensen Druck auf die feministische Bewegung, auf all diese Frauen, die doch nur dafür kämpfen, dass die Träume der Ägypterinnen wahr werden.

Waren die Frauen nicht erstmal erleichtert, als 2013 die islamistische Muslimbruderschaft unter Mursi gestürzt wurde?
Es ist zu einfach zu sagen: Damals wurden die Islamisten entmachtet und dann kam ein weltoffenes Militär. Wir haben auch im Juni 2013 mehr als 300 Fälle sexueller Gewalt bis hin zur Gruppenvergewaltigung auf dem Tahir-Platz dokumentiert. Und man muss sich doch nur mal diese immense Zahl an vergewaltigten Frauen ansehen, auf die die Behörden nie reagiert haben, um zu begreifen: Wir stehen einfach gar nicht auf der Agenda. Und unsere Körper auch nicht.

Dabei hat die Frauenbewegung in Ägypten eine lange Tradition. Ist denn von den Errungenschaften einer Nawal el Saadawi heute noch etwas übrig?
Das stimmt, die ägyptische Frauenbewegung hat eine lange Geschichte, mit vielen Höhen und Tiefen. Denn der Druck auf uns kommt ja nicht nur von den Islamisten, sondern vom Staat, von der patriarchalen Gesellschaft und auch von den demokratischen, links-liberalen Gruppen, die uns nicht unterstützen. Deswegen ist es so schwer, in Ägypten eine feministische Bewegung aufzubauen: Wir habe einfach gar keine Verbündeten.

Im Iran und in Saudi-Arabien protestieren die Frauen ebenso. Ist die Zeit reif für ein pan-arabisches Frauenbündnis?
Diese Koalitionen aus Feministinnen und Frauenrechtsgruppen existieren ja schon. Es hat sich zum Beispiel vor einigen Jahren die Initiative „Regional Coalition for Women Human Rights Defenders in the Middle East and North Africa” gegründet. Die fahren gerade eine große Solidaritäts-Kampagne für die inhaftierten Frauenrechtlerinnen in Saudi-Arabien. Und sie haben auch mich in den vergangenen Tagen sehr unterstützt. Aber der immense Druck hindert Frauen natürlich daran, sich besser zu vernetzen. Zum Beispiel, weil sie - so wie ich - einem Ausreiseverbot unterliegen. Wir können uns nicht einfach so treffen. Und auch unser Zugang zu Kommunikationsmitteln, also zum Beispiel zu sozialen Medien, ist eingeschränkt.

Was können die Frauen im Westen tun, um dich zu unterstützen?
Solidarität unter Feministinnen ist wichtig! Und es ist auch unglaublich wichtig, dass ihr auf unsere Situation aufmerksam macht, um dem Gerücht entgegenzuwirken, dass Frauen in unseren Regionen heute eine besseres Leben hätten. Ihr müsst über unsere Realität sprechen, über die Kämpfe, die wir Tag für Tag als Feministinnen führen. Weder das, was die Regierung, noch das, was die radikalen Gruppierungen über uns sagen, stimmt.

Woher nimmst du die Kraft, trotz alledem weiterzumachen?
Wenn du eine überzeugte Feministin bist, wenn du wirklich daran glaubst, dass die Frauen in Ägypten etwas Besseres verdient haben, dann gibst du nicht einfach so auf. Und ich erfahre ja auch viel Liebe und Solidarität, von meinem Team, von meinen Freunden und von Unterstützerinnen und Unterstützern weltweit. Und es hilft natürlich, morgens aufzuwachen und sich sicher zu sein: Eines Tages wird dieser ganze Albtraum vorbei sein!

Das Gespräch führte Alexandra Eul.

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Mozn Hassan: Universelle Probleme

Mozn Hassan: "Wir sind eine feministische Bewegung!" - Foto: Roger Anis/Right Livelihood Award Foundation
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Keine Frage: Doria Shafik, die große ägyptische Frauenrechtlerin, die 1948 die erste Frauenrechtsorganisation Ägyptens gründete, wäre stolz auf ihre Nachfolgerin Mozn Hassan. Die wurde für ihren Kampf für Frauenrechte gerade mit dem "Right Livelihood Award", dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Die Preisträgerin konnte den Preis allerdings nicht persönlich entgegennehmen. Denn sie steht zurzeit in Kairo vor Gericht und die Behörden verweigern ihr die Ausreise. Der Vorwurf: Ihre Organisation "Nazra for Feminist Studies" werde illegal vom Ausland finanziert.

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"Wir sind eben keine nette, akzeptable Frauenorganisation, die Entwicklungsarbeit betreibt", sagt Mozn Hassan. "Wir sind eine feministische Bewegung!" Seit 2007 kämpft die 37-Jährige mit "Nazra" für Frauenrechte: Während des "Arabischen Frühlings" und der sexuellen Gewalt nicht nur auf dem Tahir-Platz in Kairo, organisierten Mozn und ihre Mitstreiterinnen medizinischen, psychologischen und juristischen Beistand für die Opfer. "Nazra" sorgte dafür, dass die sexuelle Belästigung ein Straftatbestand wurde.

"Der Right Livelihood Award würdigt nicht nur die Arbeit von Nazra, sondern ein ganzes Jahrhundert an feministischem Aktivismus in Ägypten. Aktivismus, der uns inspiriert hat, und den wir mit unserer ganzen Kraft fortsetzen werden", sagt Mozn Hassan, die sich am Abend der Preisverleihung per Videobotschaft meldete. Vielleicht sorgt die internationale Anerkennung ja dafür, dass Mozn Hassan nicht im Gefängnis landet, sondern sich weiter für Frauenrechte einsetzen kann.

So wie in diesem Artikel über die Silvesterübergriffe in Köln. Darin zieht die Ägypterin die Parallele zwischen Tahrir-Platz und Hauptbahnhof. Und sie bezichtigt so manche westliche Feministin der "Komplizenschaft mit dem Patriarchat". Hier ihr (gekürzter) Text:

Von Ägypten nach Deutschland
Eine feministische Perspektive auf die Attacken in Köln

Wir sind überzeugt, dass feministische Solidarität ein universelles, grenzüberschreitendes Konzept ist. Deshalb glauben wir, dass es unsere Verantwortung ist, sexuelle Gewalt anzuprangern, wo immer sie auftritt, und solidarisch mit den Opfern zu sein, wer und wo immer sie sind.

Das Dilemma westlicher Feministinnen im Hinblick auf die Silvesternacht in Köln (und in acht weiteren deutschen Städten) erinnert uns an unsere eigenen Erfahrungen mit den massenhaften sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen rund um den Tahrir-Platz. Als der „arabische Frühling“ begann, haben auch wir bei den demokratischen Kräften heftige Widerstände beobachtet, zuzugeben, dass es diese sexuellen Attacken auf Frauen gab - bei Demonstrationen und generell im öffentlichen Raum. Dabei hatten diese Attacken schreckliche Formen angenommen, von Massen-Überfällen bis hin zu Vergewaltigungen mit scharfen Gegenständen.

Für die Weigerung, das Problem zu benennen, gab es mehrere Gründe: Erstens gilt sexuelle Gewalt nicht als politisches Problem. Also werden Frauenrechte beiseite gefegt, zugunsten von Problemen, die man größer und wichtiger findet, zum Beispiel „die Revolution“ oder die Rechte von Migranten. Und so wie viele die Augen vor den Übergriffen auf dem Tahrir-Platz verschlossen haben, aus Angst, den Ruf der Revolution zu untergraben, so befürchteten viele, dem Ruf von Flüchtlingen und Migranten zu schaden, wenn sie die Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof verurteilten.

Die Kölner Silvesternacht erinnert uns an unsere eigenen Erfahrungen

Haben diese Übergriffe etwas mit der arabischen oder muslimischen Herkunft der Täter zu tun? Wie können wir diese Attacken verurteilen und ihre – unter anderem kulturellen – Wurzeln benennen, ohne in die Falle zu tappen, zu verallgemeinern oder gar rassistisch zu werden? Oder zum Erstarken rassistischer Bewegungen beizutragen.

Als ägyptische Feministinnen, die in den letzten fünf Jahren mit vielen Aktionen gegen sexuelle Gewalt gekämpft haben, schauen wir auf die Verbrechen von Köln mit Blick auf unsere Gesellschaft und unsere Realität, in der wir fast täglich Opfer sexueller Gewalt werden. Wir schauen auf Köln mit einer feministischen Perspektive, die einhergeht mit unserem festen Glauben an die Rechte von Flüchtlingen und unserem Kampf gegen Rassismus. Aber diese Perspektive bedeutet nicht, dass wir Frauenrechte gegen diese Prinzipien aufrechnen.

Die Frage, um die es hier geht, ist zuerst und vor allem eine Geschlechterfrage. Diese Übergriffe nicht zuallererst als einen Fall von sexueller Gewalt auf Frauenkörper zu sehen, ist Komplizenschaft mit patriarchaler Gewalt. Natürlich brauchen Flüchtlinge und Migranten Schutz vor Rassismus und Diskriminierung. Aber Frauen haben auch das Recht, vor Männergewalt geschützt zu werden. Deshalb sollte nichts, auch keine politische Rücksichtnahme, eine höhere Priorität haben als das Recht der angegriffenen Frauen. Die Tatsache, dass sie von Mitgliedern einer ebenfalls unterprivilegierten Gruppe angegriffen wurden, macht das Verbrechen nicht weniger abscheulich.

Eine Debatte, die die Angriffe rechtfertigt oder verschleiert, indem sie die Täter selbst als „Opfer“ oder „Unterprivilegierte“ betrachtet, ist - auch wenn sie auf den ersten Blick das Gegenteil zu sein scheint - in Wahrheit erniedrigend für Migranten. Wenn man Rassismus entgegentreten will, indem man die schwierige Lage arabischer Flüchtlinge und Migranten romantisiert, läuft das auf maskierten Rassismus hinaus. Denn man tut so, als könne man an diese Männer niedrigere ethische Standards anlegen als an andere. Wir denken hingegen, dass Flüchtlinge und Migranten für ihre Handlungen verantwortlich sind.

Das Patriarchat ist ein weltweites Phänomen, kein exklusiv arabisches

Es geht hier weder darum zu behaupten, dass alle Araber und Muslime gewalttätig gegen Frauen sind, noch darum, der Behauptung vom „Clash der Kulturen“ zu folgen, wonach die östliche Kultur von Natur aus rückwärtsgewandt ist und die westliche von Natur aus fortschrittlich. Das Patriarchat ist ein weltweites Phänomen, kein exklusiv arabisches oder muslimisches. Die Diskriminierung von Frauen wird nicht ausschließlich von Männern aus dem Mittleren Osten begangen.

Trotzdem ist es unmöglich zu ignorieren, dass die Mehrheit der Täter in Köln entweder arabische Flüchtlinge waren oder deutsche Bürger arabischer und muslimischer Herkunft. Und es gibt keinen Zweifel, dass viele politische Rechte von Frauen und ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung in unseren Gesellschaften nicht garantiert werden - und dass die meisten Frauen in westlichen Gesellschaften solche Rechte und Freiheiten genießen. Zum Beispiel das Recht, sich frei zu bewegen; das Recht, sich zu kleiden, wie man möchte; oder das Recht auf freie Partnerwahl. Rechte, um die wir noch kämpfen.

Es kann ebenfalls nicht bestritten werden, dass sexuelle Gewalt ein grassierendes Phänomen ist, das wir in vielen arabischen Ländern und Ländern des Mittleren Ostens täglich erleben. Eine große Rolle dabei spielt die „private“ Gewalt. Dabei geht es nicht nur um krasse Formen wie Häusliche Gewalt oder Genitalverstümmelung, sondern auch um die eingeschränkte Bewegungsfreiheit von Frauen und die Kontrolle von Männern über Frauen und ihre Sexualität. Diese Überwachung befördert die Vorstellung, dass Frauen nicht im Vollbesitz ihrer selbst sind, sondern Männern „gehören“ – dem Vater, dem Bruder, dem Ehemann. Sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum ist eine Fortsetzung dieser patriarchalen Vorstellung, in der das Auftreten von Frauen in der Öffentlichkeit nicht gern gesehen wird und die es Männern leichtmacht, solche Frauen als Freiwild zu betrachten. Gleichzeitig fordert der Staat keinen Respekt gegenüber Frauen ein und toleriert Gewalt gegen Frauen, indem er sich entweder weigert, entsprechende Gesetze zu erlassen oder bestehende Gesetze anzuwenden.

Natürlich gibt es Ausnahmen und die Situation der Frauen ist von Land zu Land unterschiedlich. Und manchmal gibt es auch Fortschritte zu verzeichnen, die Frauen erkämpft haben. Dennoch müssen wir der Tatsache ins Auge blicken, dass der vorherrschende Trend in unseren Gesellschaften der ist, die Freiheit der Frauen immer weiter zu beschneiden.

Der Trend geht dahin, die Freiheit der Frauen immer weiter zu beschneiden

Jahrzehntelang war der Postkolonialismus ein wichtiger Bestandteil der feministischen Bewegung, die den Klischees vom Mittleren Osten als „rückständig“, „reaktionär“ und „barbarisch“ etwas entgegensetzen wollten. Die Grundidee dabei war der Multikulturalismus: Die europäische Lebensart und Werte sollten den anderen Gesellschaften nicht als „besser“ aufgezwungen werden, Fortschritt sollte nicht zwingend an das europäische Vorbild gebunden sein. Die Kultur anderer Länder sollte als „anders“ betrachtet werden, nicht als rückständig.

Obwohl diese „postkolonialistische“ Position irgendwann einmal ihre Relevanz hatte, als es darum ging, kolonialistischen Vorurteilen zu bekämpgen, ist sie jetzt für uns hochproblematisch. Denn für die Art der Unterdrückung, mit der wir es heute zu tun haben und gegen die wir kämpfen, ist sie kontraproduktiv.

Sicher, kulturelle Vielfalt und verschiedene Lebensformen sollten respektiert werden. Aber es gibt universelle Werte, die die Grundlage für Rechte und Freiheit sind. Und zu diesen Werten gehört ganz sicher nicht, Frauen ihr Recht auf Bewegungsfreiheit zu beschneiden; ihr Recht einzuschränken, anzuziehen, was sie wollen oder über ihre Sexualität zu bestimmen.

Ein großes Problem ist, dass diese Art Postkolonialismus, den manche westliche Feministinnen heute vertreten, arabischen Feministinnen einen Maulkorb verpasst, indem man sie als Sprachrohr des Kolonialismus betrachtet, wenn sie sich gegen die patriarchale Gewalt in ihren Ländern wenden und wenn sie die universellen Werte verteidigen, die manche als „westlich“ bezeichnen. Es scheint, dass wir die patriarchalen Gepflogenheiten im Mittleren Osten verurteilen dürfen, zuerst bedenken sollen, was Europäer über unsere Proteste denken könnten – und das dann für wichtiger befinden sollen als die Rechte und die Sicherheit von Frauen. So bestimmen die Postkolonialistinnen, worüber arabische Feministinnen sprechen dürfen - und worüber nicht.

So manche westliche Feministin hat sich zur Komplizin der Täter gemacht

Konsequenterweise ist die erste Reaktion dieser Feministinnen, wenn europäische Frauen von arabischen Männern attackiert werden, ihre Komplizenschaft mit den Tätern. Komplizenschaft heißt in diesem Fall nicht, dass sie die Übergriffe nicht verurteilen, sondern dass sie darauf bestehen, dass sie absolut nichts mit dem kulturellen Hintergrund der Täter zu tun hätten. Als ob wir Frauen im Mittleren Osten nicht jeden Tag unter dieser Art Gewalt leiden würden. Und als ob es keine sexuelle und andere Gewalt gegen Frauen in den Flüchtlingsunterkünften gäbe.

Dass das Problem von Rassisten instrumentalisiert wird, ist auch deshalb möglich, weil es ihnen zu lange überlassen wurde. Die „Befreiung“ unserer Gesellschaften ist nicht nur eine Befreiung von Diktatoren und Imperialismus, sondern auch von extremistischen und fundamentalistischen „Werten“. Europäische Feministinnen sollten uns in unserem Kampf unterstützen, anstatt ihn als „imperialistisch“ abzutun.

Mozn Hassan

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