Brenda färbt nicht mehr
Es ist wohl keine gute Idee, spontan bei einem Friseur in der Nähe einer Suizidklippe einzukehren. Aber ich ging nun mal an einer berüchtigten Steilküste in Sydney spazieren, als ich diesen hübschen Laden entdeckte. Schon saß ich drin, Hubschraubergeräusche über mir. „Ein Selbstmörder“, sagte die Friseurin, Typ Morticia (die aus der Addams Family) mit gelangweilter Stimme. „Gleich kommt noch der Krankenwagen.” Dann, viel aufgeregter, widmete sie sich meinem Bob, am Ansatz teilweise grau, an den Spitzen künstlich braun. „Ehrlich? Du willst das Grau rauswachsen lassen? Wäre hier sozialer Selbstmord.“ Tatütata.
Vier Jahre ist das her, ich lebe noch, inzwischen mit Silberfäden und -Strähnen im Braun. Und ich verfolge behaglich, wie gerade rund um den Globus Grau als „heißeste Haarfarbe der Gegenwart“ (Wall Street Journal) gepriesen wird und Frauen angeblich plötzlich „glücklich grau“ sind (Guardian). Das Beste: Laut Grazia heißt mein grau-brauner Haarton „warm gray“ – und sei „Trendhaarfarbe 2019”. Nimm das, Killer-Friseuse!
Wann gab’s so was schon mal? Da liegt man schlicht durch Unterlassung im Trend, statt einem Ideal hinterher zu hetzen. Wer hätte das vor 15 Jahren gedacht? Ich nicht. Damals entdeckte ich die ersten weißen Haare – und begann sofort zu färben. So selbstverständlich wie ich als Teenager Achsel- und Beinbewuchs wegrasierte, sobald er sprießte. Grau war keine Option. Ich färbte, weil es alle taten. Weil ich fürchtete, alt auszusehen. Und alt aussehen war etwas, das man sich damals wie so vieles bis zur Rente aufsparen sollte.
Doch je länger ich färbte, desto mehr hasste ich diese müffelnde Sauerei. Irgendwas verfleckte ich jedes Mal, den weißen Silikonstreifen am Waschbecken, den Badezimmerteppich. Dann ließen immer mehr Prominente auf ihre alten Tage das Grau raus. Doch zunächst dachte ich ja nicht daran, es ihnen nachzutun, auch, weil ich mich als Brünette vor dem Typwandel zu einer Hellhaarigen fürchtete.
2013 erschien das Buch „Grau ist great“, so etwas wie „Endlich Nichtraucher“ für Koloristinnen. Die Verfasserin Sabine Reichel, selbst lang- und weißhaarig und apart, feuert darin Argument um Argument fürs Nicht-Färben ab, angefangen mit dem Autorinnenfoto bis hin zu all dem Geld und der Zeit, die man sich so spare.
Ich beschloss, zu einer Herauswachsenden zu werden, vorsichtshalber im fernen Australien, wo ich für ein paar Monate arbeitete. Gerade rechtzeitig, weil der Übergang noch nicht so krass war. Danach war ich tatsächlich immer noch die Alte, naja Mittelalte. Nur, dass ich meine Haare seither mit neuer Freude bürste. Und ich ihre Veränderungen so fasziniert verfolge wie beim Laub im Herbst.
Außerdem bin ich öfter mit rotem Lippenstift sowie knalliger Kleidung unterwegs, mein Grau und ich wollen leuchten. Ist schließlich ein Statement. Dafür, dass man das Alter nicht mit einem gigantischen Anti-Aging-Programm beballern muss. Dafür, dass graue Schläfen auch bei Frauen gut aussehen können.
Von wegen „Fade to grey“ und sozialer Selbstmord: Ab und zu krittelt jemand an meiner Frisur herum, zuletzt riet mir eine Kroatin zu blonden Locken. Aber zumindest in Berlin höre ich oft: „Du siehst immer eleganter aus.“ Sogar begehrt fühlen darf ich mich. Nur eins wundert mich zunehmend: Warum färben Menschen überhaupt noch? Und sogar immer mehr Männer? Just don’t do it!