Imke Duplitzer, Fechterin

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Sie nehmen zum fünften Mal an den olympischen Spielen teil …
Es könnte sogar das sechste Mal sein, wäre das Degenfechten für Damen 1992 schon im olympischen Programm gewesen.

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Sie haben stolze 20 Jahre Olympia-Geschichte miterlebt. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Es sind einige Disziplinen für Frauen dazu gekommen, wie Gewichtheben oder diesmal das Boxen. Da bemüht sich das Internationale Olympische Komitee wirklich, den Proporz zwischen Frauen- und Männersportarten auszugleichen. Was sich aber massiv zum Negativen verändert hat: Bei der Vermarktung der Frauen zählt die Verpackung zunehmend mehr als der Inhalt. Die Leistung muss zwar ­einigermaßen stimmen. Aber du musst als Sportlerin auf jeden Fall das NLW-Programm mitmachen …

Was für ein Programm?
NLW – Nicken, Lächeln, Winken. Du kommst heutzutage nicht mehr um die ganzen Sportbälle drumrum, bei denen du am besten auch noch einen breitschultrigen Kanuten an deiner Seite präsentierst. Und vor allem müssen Frauen im Leistungssport sexistische Stereotype bedienen, die sie eigentlich gar nicht ­bedienen können. Eine Judoka oder eine Gewichtheberin muss auf Kraft trainieren – aber gleichzeitig soll der Rücken im Abendkleid zart und sexy aussehen. Das funktioniert natürlich nicht und damit sind diese Sportlerinnen per se aus dem Wettbewerb um Sponsorenverträge raus. Ich habe noch nie eine Gewichtheberin oder eine Ringerin getroffen, die von einem Kosmetikhersteller unter Vertrag genommen wurde. Das Phänomen hat man ja auch bei der Frauenfußball-WM gesehen: Rabumms, plötzlich sahen die alle aus wie aus dem Modekatalog.

Das WM-Motto lautete: „20elf von seiner schönsten Seite“ …
Man muss sich darüber aber eigentlich nicht wundern. Denn wer vermarktet’s? Männer! Es gibt sehr wenig Sportvermarkterinnen und wenige Frauen in Chefetagen, die über Werbeetats entscheiden und sagen: ‚Mir ist wurscht, ob die lange blonde Haare hat. Die ist gut, die macht das Maul auf und steht für Botschaften, die wir transportieren wollen. Die nehmen wir!‘ Ich zum Beispiel habe noch nie einen Einzel-Sponsorvertrag gehabt.

Sie sind 1,86 groß …
… das macht Männern Angst, deswegen wären High Heels für mich sowieso ganz schlecht.

… und lange blonde Haare haben Sie auch nicht.
Und ich habe durch das Fechten zwei ­unterschiedlich dicke Beine und Arme. Das ist nicht sehr abendkleidkompatibel (lacht). Ich ignoriere diesen Druck weitgehend. Ich liebe einfach meinen Sport und konzentriere mich darauf. Es ist nicht so, dass ich mich total verweigere. Ich färbe mir die Haare, weil ich schon so viele graue habe; ich ziehe keine grünen Socken zum gelben Anzug an, und ich ­rasiere mir auch die Beine (lacht). Aber ich ziehe eben meine Jeans und mein T-Shirt an und packe in meine Reisetasche Sachen, die ich knüllen kann.

Sie haben sich einmal öffentlich darüber beschwert, dass nicht Sie, sondern eine Fechtkollegin zum Interview eingeladen wurde. Die hatte zwar die schlechtere Leistung gebracht, sich aber für den Playboy ausgezogen.
Ich weiß ja, dass diese massive Sexualisierung inzwischen Mainstream ist. Und da ich dabei nicht mitmache, habe ich mich auch nicht weiter gewundert. Die gute alte Zeit, wo im Sport Charakterköpfe zählten, sind vorbei. Ich glaube, John McEnroe ist der letzte Sportler, der damit Geld verdient hat, dass er den Tennisschläger über den Platz gepfeffert hat. Der Leistungssport ­inszeniert sich ja immer glattgebügelter.

Bei der Olympiade 2008 in China haben Sie die Verletzung der Menschenrechte kritisiert, sind nicht zur Eröffnungsveranstaltung gegangen.
Der Leistungssport ist ja so herrlich unpolitisch geworden. Außer, es nützt der Imagepflege: „Wir bauen Brücken“ und solche Sprüche. Aber wenn es darum geht, wirklich mal die Menschenrechte in den Vergabekriterien zu verankern, dann heißt es plötzlich: „Wir sind doch keine Politiker!“

Von Frauenrechten ganz zu schweigen. Saudi-Arabien zum Beispiel tritt immer noch frauenfrei zu Olympia an.
Die saudi-arabischen Frauen könnten ja auch gar nicht hinfahren. Die dürfen ja nicht hinters Steuer (grinst). Ich wurde in China von einem Journalisten gefragt: „Are you a Rockstar in Germany?“ Das fand ich lustig, denn wenn ich loslege, geht tatsächlich schon mal ein Hotelzimmer zu Bruch.

Wie bitte?
Nein, keine Sorge! Ich meine bildlich ­gesprochen. Wenn ich einigen Herren in den Führungsetagen erkläre, dass sie mir kein X für ein U vormachen sollen, dann fliegen da schon mal die Fetzen. Und das hat manchmal auch Konsequenzen. Die Sportlerinnen meiner alten Mannschaften haben alle Karriere gemacht. Die eine sitzt beim Internationalen Olympischen Komitee, die andere beim Deutschen Olympischen Sportbund … Nur ich sitze immer noch in meiner Halle.

Woher haben Sie eigentlich den Mut zum Widerstand?
Da haben meine Eltern einen sehr soliden Grundstein gelegt. Wenn man mit meiner Statur auf dem Schulhof steht und außerdem noch die abgetragene Breitcordhose vom großen Bruder und einen Strickpullover von Oma trägt, hat man es nicht gerade leicht. Ich wuchs halt wie ein Pilz und kriegte nicht alle paar Wochen eine neue Hose. Aber wenn ich gehänselt wurde, hat mich meine Mutter immer gestärkt und gesagt: „Vergiss, was die sagen! Das ist doch völlig egal.“ Ich habe gelernt: Da muss ich durch. In der Pubertät wurde es dann zu Hause etwas unübersichtlich, und ich bin mit 16 ausgezogen. Ich habe mich also früh auf eigene Füße gestellt.

Sie sind zwischen Ihrem sechsten bis zehnten Lebensjahr in Nigeria aufgewachsen.
Ja, und das war hardcore. Da sitzt du in deinem Wohlstandsauto und siehst draußen ein gleichaltriges Kind, dem die Eltern die Hand abgehackt haben, damit die Leute aus Mitleid mehr Wasserflaschen von ihm kaufen. Im Gegensatz zu anderen Eltern haben meine nie einen Kokon um uns Kinder gebaut. Das hat aber ­bewirkt, dass ich es bis heute jeden Tag toll finde, dass ich den Wasserhahn aufdrehen kann und es kommt Wasser raus. Ich muss mir auch nicht ständig eine neue Trainingshose kaufen. Ich habe einen Blick gekriegt, der mich für die Glamourwelt Leistungssport eigentlich völlig ungeeignet macht. Der Punkt ist einfach: Ich liebe meinen Sport.

Mit dem Degenfechten assoziiert man ­gemeinhin Männer, die sich duellieren, und natürlich die drei Musketiere. Wie kommt ein elfjähriges Mädchen dazu, ­Degenfechten zu wollen?
Indem man schon elf Jahre lang sehr viele Drei-Musketier-Verfilmungen gesehen hat und sich dann sagt: Das mach ich auch! Wenn die drei Musketiere im Fernsehen kamen und mein kleiner Bruder wollte was anderes gucken, haben wir uns gezofft, und ich habe mich da in der Regel durch­gesetzt. Nun war mir aber auch als kleiner Stöpsel durchaus klar, dass Musketier ein etwas aus der Mode gekommener Beruf ist. Die eigentliche Initialzündung war dann eine Videocassette der Olympischen Spiele in Los Angeles 1984, die ein Bekannter mit nach Nigeria gebracht hatte. Und da habe ich den Kampf von Cornelia Hanisch ­gesehen ...

... die Weltmeisterin im Florettfechten ...
... die um die Goldmedaille gefochten hat. Und da dachte ich: Ja! Das gibt’s doch als Beruf! Geil! Ab da bin ich meinen Eltern tierisch damit auf den Geist gegangen, dass ich Fechten wollte.

Und dann sind Sie zufällig ausgerechnet nach Heidenheim gezogen, die Stadt, in der ein deutsches Fechtzentrum sitzt.
Genau. Da gab es sogar an meiner Schule eine Fecht-AG. In Heidenheim ficht Gott und die Welt, deshalb war es auch nichts Außergewöhnliches, dass ich es auch gemacht habe. Meine Eltern haben mich nicht gebremst. Hinzu kam: Es war, wie gesagt, in der Pubertät etwas schwierig zwischen uns. Deshalb waren wir alle froh darüber, dass ich durch das Fechten bald in der Weltgeschichte rumtingelte, weil ich so aus dem Haus war.

Wie schnell wurde klar, dass Sie professionell fechten würden?
Das klingt jetzt blöd, aber ich glaube, ich bin als Fechterin auf die Welt gekommen. Fechten ist ja nicht nur ein Sport, das ist eine Philosophie.

Und was fasziniert Sie so am Fechten?
Erstens, dass es unglaublich schnell ist. Ich bin eine Datenfresserin und langweile mich schnell, wenn Dinge zu langsam gehen. Und es erzieht den Charakter: Ich muss mit Niederlagen leben und immer wieder aufstehen. Ich habe in einem Gefecht 15 Treffer und muss mich nach jedem Treffer neu konzentrieren. Allerdings darf man auch nicht vergessen, wo das Fechten herkommt: Duell, Ehre, Studentenverbindungen und so. Im Dritten Reich wurde es ein regelrechter Nazisport, weshalb es nach dem Zweiten Weltkrieg ja auch erstmal verboten wurde.

Sie sind eine der wenigen offen homo­sexuellen Sportlerinnen in Deutschland. Mitte der 90er Jahre waren Sie eine der ersten, die ihr öffentliches Coming Out hatte. Ecken Sie damit immer noch an?
So richtig geschmeidig läuft das immer noch nicht. Sport ist eine dichotome Welt: Gut/böse, Sieg/Niederlage, Held/Depp, Mann/Frau, Ich Tarzan/du Jane. Und in dem Moment, wo Jane sich nicht für Tarzan interessiert, ist Tarzan verunsichert. Da die Sportwelt nun von vielen Tarzans regiert wird, wissen sie nicht, wie sie mit mir umgehen sollen. Da gibt es eine Menge ­Berührungsängste und Vorurteile. Ist ja ­eigentlich auch klar, wenn man sich mal das Durchschnittsalter der Herren im IOC anguckt. Und in diesem Herrenclub sind ja nicht nur Homosexuelle Zielscheibe der Frotzeleien, sondern auch heterosexuelle Frauen und Behinderte, und eigentlich können wir die Farbigen auch noch dazu nehmen. Deshalb ist es so: So lange du die Fassade wahrst, kannst du machen, was du willst. Wenn ich heimlich, still und leise lesbisch wäre und mir, wie so einige meiner Kolleginnen, noch den Alibimann mit auf sportliche Veranstaltungen nähme, dann kämen keine Fragen auf. Wenn ich aber bei der Sporthilfe-Gala auftauche und meine Lebensgefährtin an meiner Seite steht, dann ... (glotzt demonstrativ mit herunterhängender Kinnlade). Ich habe aber keine Lust, mich wie im Zoo beglotzen zu lassen. Wir sind mittlerweile an einem Punkt, wo die mich nicht mehr einladen und ich nicht mehr kommen will. Da haben wir eine Art Burgfrieden geschlossen.

Wie finden Sie eigentlich die Forderung, beim Sport ein „Drittes Geschlecht“ einzuführen? Die wurde laut, nachdem Gerüchte aufkamen, die südafrikanische 800-Meter-Läuferin Caster Semenya sei womöglich intersexuell.
Zunächst hoffe ich inständig, dass die arme Frau nicht lesen konnte, was in der deutschen Presse über sie geschrieben wurde. Die Kategorie Drittes Geschlecht finde ich interessant, weil das die Tarzan/Jane-Dichotomie durcheinanderwerfen würde. Aber mal im Ernst: Wäre es nicht passender, die Wettbewerbe bei den Läufern demnächst nicht mehr nach Mann/Frau zu trennen, sondern nach Beinlänge?

Wird diese Olympiade Ihre letzte sein?
Ich denke schon langsam ans Aufhören. Ob ich weiter fechte, hängt aber auch damit zusammen, wie es hier im Verein weiterläuft. Wir haben übrigens große Nachwuchssorgen. Denn die Mädchen, die anfangs noch begeistert fechten, hören so mit 16 fast alle wieder auf. Sobald ihnen der erste Junge sagt, dass er das ­unsexy findet, dass sie mit diesem Degen um sich hauen, sind die weg.

Imke Duplitzer: Helden Haft (Egoth, 19.90 €).

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