Internet: Romeos im Netz

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"Ich bin Opfer und Täter“, sagt Sabine Dreyer (Name geändert). Wie jeden Tag stapft sie durch den Wald in der Nähe ihrer Wohnung und lässt ihre Tat Revue passieren: Vor wenigen Wochen hat Sabine 51 000 Euro aus der Kasse ihrer Firma unterschlagen und an einen Mann namens Steven überwiesen. Steven, den sie im Internet kennenlernte. Ein angeblicher Geschäftsmann aus Schottland. Steven, der Romance Scammer.

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Romance Scammer, zu deutsch romantische Betrüger, versprechen die große Liebe, wollen aber in Wirklichkeit nur die Kohle. Sie nutzen Online-Single-Börsen wie ‚Friendscout24‘ oder ‚Meetic‘ und andere Soziale Online-Netzwerke, melden sich mit erfundenen Profilen an und bauen über Monate eine virtuelle Liebesbeziehung mit Frauen und Männern auf, die von ihren Absichten nichts ahnen. Dann fordern die virtuellen Heiratsschwindler plötzlich Geld. Die Frauen sind am Ende nicht nur finanziell ruiniert, sie haben ein gebrochenes Herz. Sie schämen sich, weil sie auf einen Schwindler reingefallen sind.

Mittlerweile sitzt Sabine mit Laptop in einem Café und hat sich in ihren E-Mail- Account eingeloggt. Eine neue Nachricht von Steven: „Happy Valentines Day“ blinkt in roten Großbuchstaben auf dem Bildschirm. „Unfassbar, der schreibt mir immer noch!“ Sabine öffnet den Ordner „Lüge“. Jeden Morgen und jeden Abend hat er ihr eine E-Mail gesendet. Dazu Telefonate und Treffen im Chat. „Ich war süchtig nach seinen Nachrichten.“

Die erste kam im September. Die 49-Jährige hatte sich bei ‚Friendscout24‘ angemeldet. Ihre beste Freundin hatte ihren neuen Freund dort kennen gelernt, auch Sabine hoffte auf die große Liebe. „Alles oder nichts“ tippte Sabine in das Mottofenster ihres Profils. Unter den Neuanmeldungen: Steven. Groß, durchtrainiert, grauschwarzes Haar, offenes Lächeln. Bei dem hab ich keine Chance, dachte Sabine. Steven schrieb: „Hallo meine Liebe, ich möchte dich kennen lernen!“ Es dauerte nicht lange, bis die Deutsche täglich Liebeserklärungen eines Mannes erhielt, den sie erst vor ein paar Tagen im Internet kennen gelernt hatte. „Guten Morgen meine Süße, wie hast du geschlafen, ich habe heute Nacht von dir geträumt!“ „Gemeinsam mit dir“, schrieb er, „will ich den Rest meines Lebens verbringen“. Er sang ihr am Telefon Liebeslieder ins Ohr. „Ich hätte doch wissen müssen, dass normale Männer so etwas nie machen“, sagt die Getäuschte heute.

Nebenbei lotete Steven ihr Privatleben aus. Ob sie Familie habe, Geld, ein Haus oder ein Auto besitze. Nach zwei Monaten verabredeten sie sich, ihr neuer Verehrer wollte nach Deutschland kommen. Sabine war aufgeregt und glücklich. Der angebliche Geschäftsmann aus Schottland schickte ihr sogar die Kopie seines gefälschten Flugtickets. Vor seinem Besuch müsse er allerdings geschäftlich nach Ghana, um im großen Stil mit Autoteilen zu handeln.

Kurz darauf kam der für virtuelle Romeos typische Anruf. Steven verlor in Ghana angeblich alle seine Papiere in einem Taxi. Die Autoteile könne er nun nicht von der Spedition abholen. Er müsse einen Anwalt zahlen. „Kannst du mir 10 000 Euro leihen?“ Sabine, Chefsekretärin in einem kleinen Unternehmen, besaß soviel Geld nicht. Steven schlug vor, dass Geld aus der Firmenkasse zu nehmen. „Ich überweise es sofort zurück, das bekommt niemand mit“, sagte er. Sabine überwies das Geld. Statt der Rückzahlung forderte Steven weitere 41 000 Euro, um eine Lagerhalle zu bezahlen. Sie überwies auch diesen Betrag. Wieder aus der Firmenkasse.

Das Telefon von Ute Mickerts klingelt das erste Mal um sechs Uhr morgens. Es ist Sabine, sie weint. Gegen zehn Uhr hat Mickerts sie zum dritten Mal am Apparat. Mittlerweile hat Sabine ihr alles erzählt. Auch das mit den 51 000 Euro. Ute Mickerts, 60, lebt in einem Bungalow am Stadtrand von Stuttgart, in ihrer Freizeit sitzt sie auf ihrem Wohnzimmersofa. Vor ihr ein Laptop, daneben zwei tragbare Telefone, ein Handy, ein Notizblock. Ute Mickerts analysiert Scammer.

In den vergangenen zwei Jahren hat die Heilpraktikerin ein Forum für Betroffene aufgebaut: contra-romance-scam.de. 504 Frauen haben sich bisher angemeldet. Der höchste finanzielle Schaden, von dem Mickerts gehört hat: 250 000 Euro. „Gib mir mal die Telefonnummer von dem Typ“, sagt sie. Mickerts wählt Stevens Nummer in Ghana und stellt die Lautsprecherfunktion ihres Telefons ein. Es rauscht und knackt in der Leitung, als sich ein Mann meldet: „Hello?“ „Was habe ich da gerade gehört?“ brüllt sie auf Englisch ins Telefon. Schweigen. „Du hast einer Frau 51 000 Euro aus der Tasche gezogen! Du bist ein Scammer, wir kriegen dich!“ Aus dem Lautsprecher ertönt ein dumpfes Scheppern. Dann bricht die Leitung ab. Mickerts triumphiert: „Ich kriege sie alle!“

Ute Mickerts selbst fiel auf einen Online-Betrüger rein. Ein Mann namens Olivier Hugo gab sich als in London lebender US-Amerikaner aus. Gaukelte ihr die große Liebe vor. An Weihnachten wollte er nach Deutschland kommen. Vorher allerdings müsse er aber geschäftlich noch nach Nigeria reisen. Kurz nach seiner angeblichen Landung rief er an und bat sie um 2 000 Euro. „Ich habe ein Kind angefahren“, sagte er. „Sie haben meinen Pass eingezogen, ich kann kein Geld abheben.“

Mickerts Söhne sind beide in der ITBranche tätig. Sie wurden skeptisch. Widerwillig leitete ihre Mutter den E-Mail-Verkehr an sie weiter. Eine ganze Nacht lang analysierten die Beiden die Sendedaten. Das Ergebnis: Der Absender war verschleiert, die E-Mail-Adresse gefälscht, die E-Mails waren umgeleitet. Hugos Handynummer mit Londoner Vorwahl – auch umgeleitet, weiß Mickerts heute. Auch Hugo hatte nie in England gelebt. Der Absender der Liebeschwüre saß seit jeher in Nigeria.

Heute ist Ute Mickerts die Miss Marple des Online-Scams. Anders als so genannte „Scam Baiter“, die Internet-Betrüger im Netz beschimpfen und bloßstellen, sammelt sie Informationen. Sie hat eine Datenbank mit über 5 000 Profilfotos, die Online-Betrüger verwenden, um ihre wahre Identität zu vertuschen. Sie lässt sich nach wie vor von ihnen in Online-Netzwerken anschreiben. Archiviert E-Mail-Adressen und Codenamen, unter denen sie auftreten. Schneidet im Chat heimlich ihre IP-Adressen mit und systematisiert sie.

Mickerts hofft, mit ihren Daten einen solchen Scammer-Ring aufdecken zu können: Internet-Romeos, die sehnsüchtige Frauen auf der ganzen Welt kontaktieren, während sie in Afrika gemeinsam in einem Büro vor ihren Laptops sitzen.

„Die Polizei beobachtet seit Jahren die Nigeria Connection, die häufig auch hinter dem Romance Scamming steckt“, sagt Harald Schmidt von der polizeilichen Kriminalprävention. Die Nigeria Connection ist bisher bekannt durch Massenversand von E-Mails, Briefen und Faxen in denen angebliche Geschäftsleute, Politiker oder sogar Könige den Adressaten Gewinne in Millionenhöhe versprechen, wenn sie sich vorher finanziell an dubiosen Geschäften beteiligen. Nun haben die Betrügerringe Partner-Börsen als neue Geldquelle entdeckt.

Die Mails dieser angeblichen Geschäftsmänner sind in katastrophalem Englisch verfasst; oft nicht mehr als eine zusammenhanglose Aneinanderreihungen schnulziger Floskeln. Manchmal, weiß Mickerts, verstricken sich die Männer in Widersprüche und vergessen beispielsweise den Wohnort ihrer Liebsten. Dass passiert vor allem dann, wenn sie sich beim Kontakt mit ihren Opfern abwechseln – wie auch im Fall Maxwell.

Bei Mickerts rufen drei verschiedene Männer an, die sich alle als ihr „Darling“ ausgeben. Manchmal zehn Mal an einem Vormittag. Die Naivität der Frauen auf der verzweifelten Suche nach der großen Liebe, sie bekommt dadurch bisweilen eine komische Note.

Scam-Opfer Sabine spricht schlecht Englisch. Warnungen aus ihrem Umfeld hat sie ignoriert. Den Geschäftsmann gegoogelt hat sie auch nicht. „Ich kontrolliere meine Partner nicht“, sagt die Witwe. Verdacht schöpfte sie nie. Selbst nicht, als sie nach Schottland flog, und ihr zukünftiger Ehemann plötzlich verreisen musste. Steven hatte behauptet, ein Juweliergeschäft zu haben. Sabine hat den Laden nicht gesucht.

Auch Julia Schweitzer hat alle Warnungen ignoriert. An den Betrüger mit dem Pseudonym Prince Carter, angeblich ein in Großbritannien lebender Spanier, erinnern sie heute nur noch sieben Überweisungsbelege von Western Union. Die E-Mails hat sie gelöscht. Julia sitzt in ihrem Wohnzimmer, neben ihr Sohn Raphael und seine Frau Sophie (alle Namen geändert). Sie blättert in den Belegen und zählt. Insgesamt hat sie 13 500 Euro an den Mann in Ghana gezahlt. Am 20. November waren es 1 400 Euro, sieben Tage später 3 500. „13. Januar, 400 Euro“, sagt sie.

„Du hast im Januar immer noch überwiesen? Das verstehe ich nicht!“ Sohn Raphael ist verärgert. Anfang Dezember war seine Mutter bei ihm gewesen und hatte ihn um Geld gebeten. Es ging um einen Goldhandel im Wert von 168 000 Britische Pfund, an dem Carter sie beteiligen wollte. Damals hatte Raphael gewarnt: „Der ist ein Betrüger, Mutter, schick ihm kein Geld!“ Doch je lauter die Warnungen aus ihrer Familie wurden, desto stärker schaltete Julia auf stur. „Vertraue niemandem, außer dir selbst“, schrieb Carter. Julia vertraute Carter. Selbst dann noch, als er bei ihrem Sohn anrief und seine Frau Sophie versuchte, mit ihm Spanisch zu sprechen – erfolglos.

„Ich habe an die große Liebe geglaubt“, sagt sie. Wie Sabine spricht Julia über eine Sucht. Sie sagte Termine ab, um mit Carter zu telefonieren, saß jeden Abend pünktlich um 18 Uhr vor ihrem Computer, um ihn im Chat zu treffen. Wenn Carter sich nicht meldete, fühlte sie sich körperlich krank. „Sie hat uns die Tür vor der Nase zugeschlagen“, sagt ihre Schwiegertochter über diese Zeit. „Wir mussten machtlos zusehen, wie sie ins Verderben rennt.“

Das Contra-Romance-Scam-Forum ist voll von solchen Geschichten. Geschäftsfrauen, Hausfrauen, Singles, die dem Charme ihrer Internet Bekanntschaften erliegen, emotional abhängig werden und danach bereit sind, alles für einen Mann zu tun, den sie noch nie getroffen haben. Die Internet-Romeos hingegen sind sogar schon Helden der nigerianischen Popkultur: Olu Maintain besingt die „Yahoo-Yahoo-Boys“ in seinem Song „Yahoozee“, beides umgangssprachliche Bezeichnungen für Scammer in Nigeria. Das Musik-Video zum Song zeigt den Wohlstand, den die Yahoozees sich auf Kosten naiver Europäerinnen erhoffen: schwere Autos, Champagner, Partys und schöne Frauen.

Eine Möglichkeit, das überwiesene Geld zurückzubekommen gibt es in der Regel nicht. Auch Sabine Dreyer muss den Verlust ihrer Firma aus eigener Tasche zurückzahlen. Ihren Job hat sie verloren.

www.contra-romance-scam.de

 

 

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