Liebe Angela, der Osten lebt!

3. März 1993, Leipzig: Stahlarbeiter protestieren gegen den Konkurs der Stamag. Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa
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2017 habe ich sechs Monate in einem Dorf bei Bautzen verbracht, entschlossen mich zu integrieren. Tagsüber versuchte ich, Syrern Deutsch beizubringen. Abends und am Wochenende suchte ich meinen kleinen Platz in den Lebenswelten zwischen Bautzen und Dresden. Ich besuchte AfD-Stammtische, Pegida-Demos, Kneipen, Sportvereine und Ortschaftsratsversammlungen. Alles war für mich, die West-Berlinerin, fremd und ­interessant.

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Anfangs waren die Menschen – meist Männer – mir gegenüber derart misstrauisch, wie ich es als ehemalige Nahost-Korrespondentin noch nicht einmal beim ­syrischen Geheimdienst erlebt hatte.

Immer wollten sie wissen, was mich denn in die Gegend verschlagen hätte („Hier zieht doch keine freiwillig hin“). Das erste Mal, als ich ehrlich antwortete: „Ich bin Ex-Nahost-Reporterin, jetzt Deutschlehrerin für Syrer“, wurde ich prompt als „naive Gutmenschin“ für die „Asylschmarotzer“ verhöhnt. Fortan behauptete ich, „mein Mann und sein Beruf“ hätten mich nach Ostsachsen gebracht.

So kam ich typischen „Abgehängten“ näher als andere JournalistInnen, die ja, ebenso wie Politiker, in der Region regelmäßig mit Tomaten beworfen und bei Versammlungen von Plätzen gejagt werden. Und vielleicht habe ich sogar ein ­wenig mehr erfahren, als die zahlreichen Soziologen, die sich mit dem Phänomen „Ost-Mann“ beschäftigen. (...)

Den ganzen Text in der aktuellen EMMA lesen

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Alice Schwarzer schreibt

Wanka: Die DDR war Heimat

Johanna Wanka hat sich auch von Stasi-Schikanen die Lebenslust nicht rauben lassen. Dominique Leppin/dpa
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Wir stehen am Fenster ihres Büros und blicken raus in den grauen Wintertag. Berlin kann so unnachahmlich trübe sein. „Ist dieser Ausblick nicht grandios?“ sagt sie. „Sehen Sie da: links die Kuppel des Reichtags, rechts das Kanzleramt.“ Und sie fährt fort: „Aber ist Ihnen klar, dass wir hier genau auf dem ehemaligen Grenzstreifen stehen?“ Nein, das ist mir nicht klar. Doch es passt.

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Denn für die 1951 in der DDR geborene Johanna Wanka ist die Zerrissenheit Deutschlands und seine Wiederzusammenfügung ein Lebensthema. Das hat die Wissenschaftlerin in die Politik geführt. Ganz wie Merkel. Ab dem Jahr 2000 war die Mathematikerin Wissenschaftsministerin in Brandenburg, 2010 wurde sie in Niedersachsen die erste ostdeutsche Ministerin im Westen, und seit 2013 nun ist sie Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Und genau da, wo sie jetzt steht, ist der Platz von Johanna Wanka. Darüber wollen wir reden: über ihr Leben in „beiden Lebenswelten“ – und darüber, ob sie Deutschland inzwischen als Einheit empfindet.

Johanna Wanka: als die Mauer fiel, waren wir total überrascht.

Die wenig konforme Tochter einer frommen, regimekritischen Flüchtlingsfrau aus dem tiefen Osten und eines resignierten, enteigneten Bauerssohnes in Sachsen ist die erste ihrer Familie, die studiert hat. Sie wählte statt der geliebten Literatur die scheinbar unverfängliche Mathematik. Trotzdem geriet sie, zusammen mit ihrem Mann, ebenfalls Mathematiker, rasch ins Visier des Überwachungsstaates: „Karriere hätten wir beide in der DDR nicht mehr gemacht.“ Ein enger, „politisch sehr harmloser Freund“ der beiden hat aus Verzweiflung über die Stasi-Bespitzelung sogar Selbstmord verübt.

Und dennoch. „Als die Mauer fiel, waren wir total überrascht. Und dann tief gerührt – aber auch tief beunruhigt. Als unser Sohn euphorisch nach Hause kam und uns so zersorgt da sitzen sah, spottete er: ‚Was habt ihr denn jetzt schon wieder? Freut ihr euch denn gar nicht?!‘ Doch, doch, habe ich gesagt. Aber wir machen uns Sorgen, was jetzt passiert. Hoffentlich gehen jetzt nicht alle rüber: die Ärzte, ­Ingenieure, Künstler. Mit wem wollen wir denn dann unser Land aufbauen?“ Denn das war für Wanka, die nie an Ausreise gedacht hatte, gleich klar: Sie würde bleiben. „Es ist doch meine Heimat“, sagt sie. (...)

Der vollständige Text steht in der März/April EMMA 2018.

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