Julia Onken: Hirnlos rumgeböllert

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Mutterschaftsurlaub war für Schweizerinnen lange ein Fremdwort. Jetzt ist er seit neuestem ein kaum mehr zu überbietendes Ärgernis. Bis 2005 gab es per Arbeitsgesetz ein Arbeitsverbot für Mütter, das ihnen verbot, acht Wochen nach der Niederkunft zu arbeiten, ohne Mutterschafts- oder Elterngeld. Wie die Mütter wirtschaftlich über die Runden kamen war Privatsache. Arbeitete sie dennoch, machte sie sich strafbar.

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Als letztes europäisches Land hat die Schweiz seit 1.7.2005 nun eine Mutterschaftsversicherung. Während 14 Wochen (98 Tagen) wird 80 Prozent des Lohns ausbezahlt. Soweit so gut – wenn auch die Schweiz allen west- und nordeuropäischen Ländern hinterherhinkt.

Wenn Intellektuelle wie Köppel derart schwere Geschütze auffahren, müssen triftige Gründe dahinter stecken. Hier wird das ganze Ausmaß patriarchaler Argumentationsführung sichtbar: Während wild verbal und hirnlos herumgeböllert wird, bleibt die Logik auf der Strecke.

Zum einen geht es um den Versuch, die Komfortzone für den Mann zu schützen, nämlich um Erhaltung männlicher Privilegien im Privaten mit einem Rund-um-Dienstleistungsservice der Frau im häuslichen und familiären Bereich. Zum andern soll der weibliche Vormarsch auf die Führungsetagen gestoppt werden, schließlich bedeutet jede Frau für den Karrieremann eine gefährliche Konkurrenz.

Aber Frauen haben inzwischen die Einschüchterungstaktik durchschaut. Wenn Männer ein gorillaartiges Imponiergehabe an den Tag legen, steckt in der Regel eine Verweigerung dahinter, Realitäten anzuerkennen. Man denke nur an Alt-Kanzler Schröder in der Wahlnacht anno 2005.

Die Aufforderung, Frauen müssten sich "gut überlegen, was sie wollen", ob sie berufliche Karriere machen oder Kinder haben wollen, ist nicht nur abwegig, sondern auch kurzsichtig. Wie soll das denn gehen? Dies sind doch die alten Zuordnungen, allerdings neu verpackt.

Die Statistik über die Geburtenzahlen belegen, dass vor allem beruflich qualifizierte Frauen immer weniger Kinder gebären. In der Schweiz hat der Gebärstreik von Akademikerinnen bereits begonnen. Der Geburtenrückgang könnte nur noch aufzuhalten sein, indem die Männer sich Frauen aus Kulturen nehmen, in denen Frauen noch "echte" Frauen sind – und Männer Halbgötter. Einige Männer gehen schon diesen Weg, nicht nur in der Schweiz.

Das scheinheiligste Argument ist die Sorge um das Kindswohl! Wer sich für glückliche Kinder stark machen will, muss wissen: Das Glück der Kinder hängt vom Glück ihrer Mütter ab. Ein Kind gebären heißt noch lange nicht, dass die Frau auch eine gute Mutter wäre.

Es gibt Frauen, deren Interessengebiete nicht im familiären Dienstleistungsbereich liegt. Sie möchten Aufgaben übernehmen, wo sie Verantwortung für die Gestaltung in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur tragen! Sie möchten dort ihre Kompetenzen einsetzen, wo sie auch etwas zu bieten haben!

Und manche wünschen sich beides: Karriere und Kinder. Was ist daran so verwerflich? Schließlich wählen die meisten Männer dieses Modell. Doch Männer wissen nur zu gut, dass es eine nervenzermürbende Sache sein kann, sich mit dem Nachwuchs zu beschäftigen und halten sich entsprechend zurück. Bei der Geburt hecheln sie noch mit, hinterher aber geht ihnen rasch die Puste aus.

Aber das Rad lässt sich nicht mehr zurück drehen. Die Zeiten sind endgültig vorbei. Und das Klagelied der großen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, geboren 1797, gehört der Vergangenheit an:

Wäre ich ein Jäger auf freier Flur /
Ein Stück nur von einem Soldaten /
Wär ich ein Mann doch mindestens nur /
So würde der Himmel mir raten: /
Nun muss ich sitzen so fein und klar /
Gleich einem artigen Kinde /
Und darf nur heimlich lösen mein Haar /
Und lassen es flattern im Winde.

Im 21. Jahrhundert bleiben die Frauen nicht länger am Ufer hocken. Sie stehen auf der Kommandobrücke – und sitzen im Kinderzimmer. Oder auch nicht. Sie bestimmen selbst ihre Lebensmodelle und entscheiden selbstverantwortlich, was für sie das Beste ist.

Also Schluss mit dem männlichen Angstgebrüll über verlassene Kochherde, ungebügelte Hemden und verwahrloste Kinder.
Fertig gefaselt über den Mythos "Mutter ist die Beste".

Steigen wir endlich aus dem helvetischen Alleingang aus und machen uns auf zum europäischen Standard. Setzen wir alles daran, dass es selbst für Frauen in der Schweiz in Zukunft möglich sein wird, Berufstätigkeit und Muttersein problemlos zu vereinbaren.

Von der Autorin erschien zuletzt: Julia und Maya Onken: Hilfe, ich bin eine emanzipierte Mutter – ein Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter (C.H. Beck).

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