Bonjour Katrin, Good Bye Lenin

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Katrin Saß war einer der bekanntesten Stars der DDR. Nach einem Tief taucht sie jetzt wieder auf: als rührende Heldin in einer traurigen Komödie.

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"Das ist wie ein Wunder." Wie sie das so sagt, klingt es wie eine Mischung aus vorsichtiger Erleichterung und lange vermisster Selbstbestätigung: "Nach Jahren ohne richtigen Kinofilm und nach dieser Krise, dem Outing meiner Alkoholsucht, die fast das Ende war, jetzt eine Einladung zur Berlinale – das ist wie ein Wunder für mich."
Wie Katrin Saß so vor einem steht, wirkt sie zierlicher als vermutet und merkwürdig vertraut. Schließlich begleiteten ihre Filme einen beim Erwachsenwerden in der DDR. Ihr als Nina Kern verzweifelt herausgeschriener Satz: "Jeden Abend zwei Bier vorm Fernseher, ich scheiß auf so einen leisen Tod", hat einen gegen das langweilige Leben der Eltern konditioniert. Mit jenem Film, der "Bürgschaft für ein Jahr", feierte sie ihren größten Erfolg. 1987 wurde sie gar "Schauspielerin des Jahres". In der DDR.
In Wolfgang Beckers anrührend schönem Film "Good Bye, Lenin!" spielt Katrin Saß eine Frau, die die Wende verschläft: die Pionierleiterin Christiane Kerner, die am 7. Oktober 1989 das Bewusstsein verliert. Unterwegs zur Geburtstagsparty der DDR im Palast der Republik, verweigert ihr das Herz die Gefolgschaft. Ihr wird schwarz vor Augen. Diese tragikomische Figur der Mutter habe sie sofort berührt, sagt sie, die Tochter einer Schauspielerin.
Sie selbst hatte sich bei der Wende umstandslos von der entfleuchenden DDR verabschiedet. Nach der Kündigung am Leipziger Theater erwartete sie nunmehr die große Herausforderung im deutschen Filmgeschäft. Schließlich war sie ein Star in der DDR gewesen und hatte sich die Rollen aussuchen können.
Den gesamtdeutschen Einstand gab der DDR-Star in einem Tatort: "Ich wohne nicht hier. Ich bin bloß die Putzfrau." Das war ihr ganzer Text. Und als wäre es eine hübsche Anekdote, erzählt sie weiter. Wie sie zu einer Pferdeserie eingeladen wurde: "Wer sind Sie? Haben Sie schon mal was gespielt? Ach so, stellen Sie sich mal da hinten hin!", manövrierte sie ein wichtiger Herr ahnungslos herum. "Damals dachte ich, ich muss ein anderer Mensch werden. Ich muss mich anders anziehen. Muss anders reden, darf nicht mehr ‚Scheiße‘ sagen. Dranbleiben, jung bleiben, gesund bleiben."
In jener schwierigen Anfangszeit bekam die Saß 1993 das Angebot für die Kommissarin im "Polizeiruf" des ORB. Im Überschwang der wiedergekehrten Popularität tat sie alles, um im Gespräch zu bleiben, und ließ freimütig Schwärme von Journalisten durch ihr Bauernhaus in der Lausitz ziehen: "Ich dachte, ich brauche das, und Klappern gehört dazu", meint sie heute spöttisch zum damaligen Treiben. Sie hat sich neckisch ins Gras geworfen für eine Momentaufnahme, burschikos Holz gehackt für eine Alltagsbeobachtung, sich aufs Pferd geschwungen, obwohl sie nicht reiten kann. Doch den großen Kinofilm hat das alles nicht gebracht.
Katrin Saß passte einfach nicht in die Filmwelt der 90er Jahre, in diesen ganzen Beziehungskomödienstadl. "Da wird immer was vorgeführt, nichts gelebt", sagt sie. Wer ihre Frauenfiguren kennt, weiß, was sie meint: Ihre Sonja aus "Bis dass der Tod euch scheidet" (1979), mit ihrer rigorosen Liebe und dem Überdruck an Hingabe, der sie kaputt macht. Ihre Nina aus "Bürgschaft für ein Jahr" (1981), jene kindliche, überforderte Mutter dreier Kinder, deren Leben nicht hält, was die Sehnsucht will.
"Vielleicht sind ja jetzt wieder Erwachsenenfilme gefragt", kommentiert sie ihre Rolle in "Good Bye, Lenin!": "Das habe ich seit zehn Jahren nicht mehr erlebt: so intensiv, so lange und so hart an einer Sache zu arbeiten. Es hatte mal wieder mit Schauspielerei zu tun."
Ihre Heldin macht sich in dieser traurigen Komödie selbstlos an der DDR zu schaffen. Aus Trotz, weil ihr Mann den Westen der eigenen Frau und den eigenen Kindern vorgezogen hatte. Doch angesichts ihres aufbegehrenden Sohnes und eines sich cholerisch und verständnislos gegenüber seinen Bürgern gebärdenden Staates fühlt sie sich zum zweiten Mal betrogen. Das bricht ihr so sehr das Herz, dass sie acht Monate lang ins Koma fällt und erst im Sommer 1990 wieder erwacht, als das Wesentlichste schon vorbei ist. Doch das Verschwinden der DDR soll die Mutter nicht weiter belasten. Innerhalb der Wände ihrer 79 Quadratmeter großen Plattenbau-Wohnung tut der Sohn einfach so, als sei sie noch da, die Deutsche Demokratische Republik.
Die Schauspielerin verfolgt in ihrer Rolle weitestgehend stumm das merkwürdige Treiben um sie herum und muss die Hälfte des Filmes aus dem Bett heraus spielen, mit strähnigem Haar, bleich und im immer gleichen Nachthemd. Geschichte wird ohne sie gemacht. Was sie bewegt, erzählt sie mit ihrer Mimik. Es ist der Ausdruck einer naiven Verwunderung über die Wucht der Veränderungen und die bleierne Ahnung des Verlustes.
Als sie jetzt am 9. Februar im Berlinale-Palast umjubelt auf der Bühne stand, schloss sich für Katrin Saß der Kreis. Schon einmal war sie hier. Das war vor 22 Jahren, als sie den Silbernen Bären bekam.
Heute ist Katrin Saß 46 Jahre. Und dass sie wieder vor dem Berlinale-Publikum stand, war nicht nur ein lang ersehnter Triumph, es war ein Sieg über sich selbst. "Als das bekannt wurde mit dem Alkohol, war für mich klar, dass keine Angebote mehr kommen würden. Frau und aus’m Osten und nicht Juhnke, das geht eben nicht."
Sie ist seit vier Jahren trocken. "Auch wenn ich oft gedacht habe, diese Zeit waren verschenkte Jahre, sie gehören doch zu mir", sagt sie, so als wolle sie sich noch einmal schütteln, um sicher zu sein, dass es vorbei ist.
Jens-Uwe Korsowsky, EMMA 2/2003

 

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