Kein Leben mit der Kleinfamilie

„Hausfrauen – Küchenschürze“, 1975, Estate Birgit Jürgenssen, Courtesy Galerie Hubert Winter, Vienna, Bildrecht Vienna, 2018
Artikel teilen

Sie ist die Tochter einer „EMMA-Leserin der ersten Stunde“. Die war erst 17, als sie mit Mariam schwanger wurde. Der Vater, ein iranischer Austauschstudent, verließ bald darauf das Land. Die gebürtige Innsbruckerin ist ­konsequenterweise Geschlechterforscherin geworden und lehrt an der University of New Orleans. Aus dieser Distanz wagt sie, an einem hiesigen Heiligtum zu kratzen: der Kleinfamilie.

Anzeige

Ist die Kleinfamilie Ursprung allen Übels?
(lacht) Naja, vielleicht eher: vielen Übels. Die Familie ist einer der Grundpfeiler des Patriarchats, neben Politik, Wirtschaft und Religion. Hätten Frauen die Definitionsmacht gehabt, würden Familien heute ganz anders ausschauen. ­Hatten sie aber nicht.

Wie definieren Sie Kleinfamilie?
Eine allgemeine Vorstellung ist, dass das Dreieck aus Vater-Mutter-Kind naturgegeben sei. Die Begründungsszenarien für diese angebliche Natur des Menschen haben sich historisch gesehen immer wieder verändert. Anfangs ging es um das Vererben von Eigentum an die „legitime“ männliche Nachkommenschaft. Dann kam die katholische Kirche mit dem Dogma der lebenslangen Ehe und der rigiden Sexualmoral. Und heute gründet sich die Ehe auf die angeblich ­dauerhafte Liebesbeziehung.

Mariam Tazi-Preve: Fragt vorher! Redet mit euren Müttern, Schwestern, Freundinnen.
Mariam Tazi-Preve: Fragt vorher! Redet mit euren Müttern, Schwestern, Freundinnen.

Erlebt die Kleinfamilie gerade eine Art Revival?
Ja, aber nicht zum ersten Mal. Ein ganz schlimmes Revival gab es nach dem Zweiten Weltkrieg. Quasi immer, wenn’s stressig wird. Das geht seit Jahrzehnten so dahin. Nur in den 1970er-Jahren gab es einen großen Ausbruch. Durch die Frauenbewegung, die gesagt hat: Hausarbeit ist Arbeit, das Private ist politisch. Die Indoktrinierung ist heute wieder sehr stark – als ob die Erkenntnisse der Frauenbewegung vergessen wären. Das hat auch mit einer als extrem stressvoll erlebten Arbeitswelt zu tun, in der Menschen sich nach einem emotionalen Zufluchtsort sehnen. Der Kleinfamilie.

Sie sagen: Das ist illusorisch.
Natürlich. Denn da ist ja auch Stress! Emotionaler Stress. Stress mit dem Partner. Stress mit der Kindererziehung. Rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Das macht doch höchst unzufrieden. Aber um aus dieser Vorstellung auszubrechen, müssen wir erst einmal verstehen, dass es sich lediglich um ein Glaubenssystem handelt, nicht um Natur. Wir müssen also vom Glauben abfallen.

Weil zu viele Ansprüche an die Kleinfamilie gestellt werden?
Ja. Ob es sich dabei um heterosexuelle oder homosexuelle Beziehungen handelt, spielt übrigens keine Rolle. Es geht um das Konzept, dass zumeist eine Person – die Mutter – alles leisten muss. Zuwendung, Zuhören, Sexualität. Die Kernthese meines Buches ist, dass die Kleinfamilie zum Scheitern verurteilt ist, weil auf kleinstem Raum gleichzeitig die romantische Liebesbesziehung und das sichere Aufziehen von Kindern gewährleistet werden sollen. Das kann überhaupt nicht funktionieren. Aber alle tun so, als ob das Gegenteil der Fall wäre. Und wenn sie dann scheitern, dann denken sie, es wäre ihr persönliches Versagen. Dabei gibt es die lebenslange Liebe nur in Ausnahmefällen. Und zwei Personen, oder gar nur eine, sind zum Aufziehen von Kindern viel zu wenig.

Wieso?
Ich halte es für grob fahrlässig, Mütter mit Kindern ganz allein zu lassen. Man würde ja auch einer Kindergärtnerin nicht zumuten, 24 Stunden am Tag sieben Tage die Woche für Kinder zuständig zu sein. Aber einer Mutter wird das einfach zugemutet. Und gleichzeitig muss sie dann noch ihre wirtschaftliche Existenz sichern und die ihrer Kinder.

Wer profitiert denn von dem Konzept der Kleinfamilie?
Wenn es keinen Nachwuchs mehr gäbe, was wäre dann? Wir hätten keine Politik mehr, keine Wirtschaft mehr, es geht überhaupt nix weiter. Aus! Und wenn man sich das mal so drastisch vorstellt, dann wird klar, dass es keine politischere Frage gibt als: Wie kommt der Staat zu seinem Nachwuchs? Der Staat profitiert also. Deswegen gilt der anhaltende Geburtenrückgang als so alarmierend.

Wie reagieren Männer, wenn Sie so etwas sagen?
Die Männer sehen das Thema Familie ja überhaupt nicht als das ihrige. Ich hatte zum Beispiel eine Lesung in München, und vor der Tür stand ein Mann, der das Plakat abfotografiert hat. Und da habe ich zu ihm gesagt: Sie können gern reinkommen. Und da meinte er: Ah, nein, das hab‘ ich jetzt meiner Frau geschickt. Er fühlte sich gar nicht angesprochen. Auch die so genannten neuen Väter sind nur ein kleiner Prozentsatz. Viele Männer haben ein totales Abspaltungsdenken: Hier Politik und Arbeitswelt – die angeblich wichtigen Bereiche – da Familie. Für Männer ist Familie lediglich eine emotionale Ressource – und eine Ressource für Sexualität. Und sie sehen bei einer Kritik ihr Versorgungssystem bedroht.

Die Indoktrinierung  ist stark – die Erkenntnisse der Frauenbewegung sind vergessen.

Und wie reagieren Frauen?
Viele sind extrem dankbar, dass es endlich mal eine offen ausspricht. Viele Frauen fühlen sich ja total betrogen von dem Heilsversprechen der Moderne: Glück durch Ehe, Kinder und Beruf. Denn es gibt ja immer nur miese Varianten. Entweder bleibe ich ganz zuhause und habe kein eigenes Einkommen. Oder ich bin halbtags zuhause, aber dann mache ich nie Karriere und habe auch kein existenzsicherndes Einkommen. Oder ich arbeite Vollzeit und geh dabei in Fetzen. Mütter haben also die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Nun gibt es ja Konzepte, mit denen die Politik in den letzten Jahren versucht hat, der Misere beizukommen. Elterngeld Plus zum Beispiel.
(Stöhnt) Diese ganze Vereinbarkeitsdebatte ist doch ein Schmäh, ich nenne das die Vereinbarkeitslüge. Für Berater natürlich ein ganz eigener Geschäftszweig. Wir hören die immergleichen leeren Worthülsen. Es werden nie die wesentlichen Fragen gestellt. Zum Beispiel: Von welcher Familie sprechen wir? Wie wollen wir Arbeit gestalten? Welches Wirtschaftssystem wollen wir? Stattdessen geht es immer um Maßnahmen, mit denen es höchstens ein bisserl besser geht. Ein paar Euro mehr hier, ein bisschen mehr Kinderbetreuung da, also eine Art Hineincoachen ins System.

Was wäre besser?
Zu begreifen, dass wir es bei Beruf und Familie mit zwei Prinzipien zu tun haben, die sich komplett widersprechen. Die Arbeitswelt fordert Flexibilität, Einsatzbereitschaft und ein hohes Planungsvermögen. Eine Familie aber ist chaotisch und braucht Empathie und allzeitige Verfügbarkeit. Typische Situation: Kind wird plötzlich krank in der Früh. Man war eigentlich schon dabei, aus dem Haus zu rennen, um Termine wahrzunehmen. Der Vater ist schon weg. Die Mutter muss sich nun schnell neu orientieren, sich um Hilfe umsehen oder alles absagen. Und so verbringen Frauen dann die entscheidenden zehn bis 20 Jahre mit der Unvereinbarkeit, während gleichzeitig am Arbeitsmarkt der Kuchen verteilt wird. Daran rütteln sie nie, diese Vereinbarkeitspropheten.

Es geht also immer nur darum, ein System zu erhalten, von dem alle wissen, dass es nicht funktioniert.
Ja, weil die Politik auf die Kleinfamilie angewiesen ist. Die Bezahlung aller Betreuungsleistungen – von Kindern, Alten und Kranken – wäre für den Staat unmöglich. Er baut also auf der kostenlosen Reproduktionsarbeit auf. Nur benennt das niemand offen.

Es gibt Männer, die klagen, dass Frauen nicht so richtig loslassen wollen.
Ja, das stimmt manchmal. Es gibt Frauen, die beobachten ihre Männer mit Argusaugen. Männer machen manche Sachen nämlich anders, was Frauen dann sehr irritiert. Aber auch das hat wiederum mit diesem besonders gnadenlosen deutschen Mutterbild zu tun! Da wirkt der Faschismus nach. Alle Schuld fällt auf die Mutter zurück, bei Schulversagen, Essstörung oder Drogenproblemen. Sogar dann, wenn sie das Kind beim Vater lässt.

Die Frauen sitzen also in der Falle.
Genau, in der Mutterfalle. Vorgeworfen wird der Mutter entweder ein „Zu viel“ oder ein „Zu wenig“. Oder sie habe gar nicht das Richtige getan. Man sperrt sie mit diesen Kindern zusammen und hält das für normal, obwohl dadurch notwendigerweise Neurosen und Agressionen entstehen müssen. Und am Ende liegen alle Menschen auf der Therapeutencouch und beschweren sich. Über wen? Die Mutter!

Warum tun die Mütter nichts dagegen?
Das alte römische Machtprinzip „divide et impera“, teile und herrsche, hat die Mütter erfolgreich gespalten: die Mutter gegen die „Nicht-Mutter“, die arbeitende Mutter gegen die Hausfrau usw. Und auch die Medien knicken ein. Man wird ja schier bombardiert mit Filmen über frohe Ehepaare mit den obligaten glücklichen zwei Kindern. Es ist grauenhaft! Das ist eine Gehirnwäsche! Dabei sind kinderlose Ehepaare nachweislich glücklicher als solche mit Kindern.

Sie schreiben in Ihrem Buch, die Gender­Wissenschaften und ihre Theoretikerinnen wie Judith Butler seien Teil des Problems.
Ich unterrichte ja selbst Gender-Theorie. Inzwischen haben sich bestimmte Strömungen durchgesetzt. Da gibt es zum Beispiel diesen Gender-Ansatz, der besagt: Geschlechterrollen sind nur Zuschreibungen und auch der Körper sei schon „präformiert“. Butler kommt ja aus der Linguistik und alles ist bei ihr Sprache. Und das neueste Modewort ist jetzt Intersektionalität. Diese theoretischen Konzepte haben etwas gemein: Die Zuschreibung von Frau wird unmöglich. Frauen gibt es einfach nicht mehr. Aus der Sozialwissenschaft kommend kann ich nur sagen: Wie soll politisches Denken möglich sein, wenn Frauen nicht mehr gemeinsam auftreten können? Wie soll so zum Beispiel Kritik an Reproduktionstechnologien wie der Leihmutterschaft möglich sein, die eine ganz neue Dimension der Kommerzialisierung der Frauenkörper mit sich bringt?

Sie beklagen auch, dass die Kleinfamilie der gefährlichste Ort überhaupt ist.
Ja, die Gewalt in der Familie ist ein riesiges Problem. Und es wird immer größer. Wobei der Ausdruck in die Irre führt, es geht ja nicht darum, dass die Großmama den Enkel haut. Nein, es geht fast immer um Männergewalt. Ich habe Kollegen, die sagen: Frauen schlagen ja auch Männer. Aber das Gros ist umgekehrt – und auch das Ausmaß der Gewalt ist nicht vergleichbar. Die Männergewalt ist epidemisch. Und die Folgen erst! In den USA hat der überwiegende Teil der Massenmörder eine Geschichte häuslicher Gewalt. Die Familie ist die größte Brutstätte von Gewalt. Auch deswegen ist es viel zu kurz gegriffen, immer nur von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu reden. Interessant finde ich übrigens, dass mich nie jemand nach der Sexualität fragt!

Dann mal los!
Die Mutter wird so sehr zur Mutter deklariert, dass sie zur Asexuellen wird. Dass Männer und auch Frauen fremdgehen, darüber redet man ja schon mal. Aber dass Männer auch zu Prostituierten gehen, das ist als Thema total tabu. Bloß, die Freier sind ja nicht irgendwelche dahergelaufenen Gestalten, sondern das ist der Vater von nebenan.

Und die Sexualität der Mütter?
Naja, die lässt vor lauter Stress natürlich nach. Die ganze Erotik und Spannung geht verloren.

Fragt vorher! Redet mit euren  Müttern, Schwestern, Freundinnen! Schafft ein Netzwerk!

Gibt es Lösungen?
Ich weise ja in diesem Zusammenhang immer auf die Matriarchatsforschung hin, weil die Leute da einfach zu wenig wissen. Das sind Gesellschaften, die immer noch existieren – und ganz anders leben. Und ja, da können wir uns durchaus etwas abschauen! Nehmen sie zum Beispiel die Mosuo in Südchina, die gut erforscht sind. Sie stellen nicht die eheliche bzw. romantische Beziehung in den Mittelpunkt. Familie definiert sich über die mütterliche Linie, also die Mütter und deren Töchter, Söhne und Geschwister. Die leben in einem Clan zusammen oder in unmittelbarer Nachbarschaft. Der Mutterbruder ist der soziale Vater. Die Partner beziehungsweise die biologischen Väter leben in ihrem eigenen Clan. Die Mosuo praktizieren die Besuchsehe, der Ehemann bleibt nur über Nacht. Ob diese Beziehungen mal enden oder nicht, hat also keinen Einfluss auf das Aufwachsen von Kindern.

Klingt utopisch.
Stellen Sie sich doch einfach nur vor, wir hätten auch immer sechs, sieben Bezugspersonen – was das für die Mutter bedeuten würde! Deswegen sage ich: Fragt vorher herum. Redet mit euren Müttern und Schwestern. Sprecht euch mit eurem mütterlichen Netzwerk ab. Das ist Familie! Dieses Modell muss aufgewertet werden. Wenn mal ein Vater dazu kommen will und seinen Anteil leistet – umso besser. Je mehr, desto besser! Es gibt nicht umsonst den afrikanischen Spruch: Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.

Das Gespräch führte Alexandra Eul.

Artikel teilen
 
Zur Startseite