Kommentiert Neumann das WM-Finale?

Foto: Peter Kneffel /ZDF
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Wer gehofft hatte, dass sich die Ewiggestrigen, die 2016 Gift und Galle gespuckt hatten, weil ihre Ohren bei der Fußball-EM eine weibliche Stimme ertragen mussten, inzwischen beruhigt haben, irrte. Auch anno 2018 sind jene auf Facebook, Twitter & Co. hyperaktiv, die der Ansicht sind, dass eine Frau bei einem Männerspiel nicht ans Mikro gehört.

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Sie moderiert allemal besser als Béla Réthy!

Zum Beispiel so: „Soll beim ZDF den Flur wischen!“ Oder so: „Claudia Neumann sieht nicht sehr weiblich aus. Wieder der klassische Beweis, dass für männliche Tätigkeiten auch männliche Eigenschaften ausgeprägt sein müssen.“ Oder so: „Ton abstellen! Fertig!!!“

Eins aber ist anders als bei der EM 2016: Im Jahr 2018 (und vielleicht ja nicht zufällig im #MeToo-Jahr) überrollt eine Welle der Solidarität die sexistischen Hater. Allen voran ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann. Dem platzte beim dritten Spiel, das Neumann kommentierte, angesichts der fortwährenden Beleidigungen in den sozialen Medien der Kragen.

“Wir akzeptieren natürlich Kritik, auch bei den Kommentatoren – was aber bei Claudia Neumann passiert, sprengt alle Grenzen”, sagte Fuhrmann. “Hier wird offensichtlich etwas Grundsätzliches berührt: Eine Frau kommentiert ein Spiel der Männer-WM. Manche drehen da im Netz völlig durch, das ist unterste Schublade.” Auch Reporterlegende Marcel Reif meldete sich zu Wort: “Das ist unsäglich, weil es mit Sachlichkeit nichts zu tun hat. Wenn einem Leute zuhören, gibt es immer Leute, die es gut oder nicht gut finden, richtig oder nicht richtig. Aber jemanden so in der Art anzugehen, das verbitte ich mir.”

Alles nur Bullshit Bingo von Pantoffelhelden!

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) schrieb „entsetzt“ an das ZDF: “Wir haben viele Jahre Erfahrung mit frauenfeindlichen Äußerungen, aber die entwürdigenden, demütigenden und gewaltdrohenden Kommentare haben ein Ausmaß erreicht, das uns fassungslos macht.” In dem Brief, der auch vom DJV-Vorsitzenden Frank Ueberall unterzeichnet wurde, fordert der Verband die strafrechtliche Verfolgung beleidigender Sprüche gegen die Kommentatorin.

Jetzt zeigten auch der Deutsche Olympische Sportbund und der Journalistinnenbund den Neumann-Bashern die Rote Karte. Es könne „nur eine Lösung geben: Mehr Frauen als Kommentatorinnen für vorgebliche Männer-Domänen und dringend mehr weibliche Stimmen im Fußball bei Welt- und Europameisterschaften wie auch in der Champions-League!“ Bisher ist die 54-jährige Neumann, die seit 27 Jahren als Sportredakteurin und -reporterin Dienst tut, bei internationalen Fußballturnieren der Männer die einzige KommentatorIN.

Dabei sind die Netz-Hasskommentatoren in der Minderheit: Zwei Drittel der Deutschen finden laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey eine Frau als Live-Kommentatorin bei einer Fußball-WM „positiv“ oder sogar „sehr positiv“. Nur jedeR achte lehnt einen weiblichen Kommentator ab.

Uns so dürfen wir nicht nur gespannt darauf sein, was sich beim Spiel Mexiko gegen Schweden auf dem Spielfeld tut, sondern auch darauf, ob die sexistischen Hater inzwischen begriffen haben, dass purer Hass gegen eine Frau am Stadion-Mikro ein ganz böses Foul ist.

https://twitter.com/schokozwergin/status/1010125407843217408

In den Sozialen Medien jedenfalls posten viele ihre Solidarität mit der gebashten Claudia Neumann. Zum Beispiel so: „Die Frau ist gut und Punkt. Alles nur Bullshit Bingo von Pantoffelhelden.“ Oder so: „Das Getue um die Moderation von Claudia Neumann verstehe ich beim besten Willen nicht. Sie kann's, moderiert angenehm ruhig und allemal besser als Béla Réthy. Aber selbst wenn nicht, hätte sie dasselbe Recht, schlecht zu sein, wie ihre Kollegen.“ Oder auch so: „Wir haben in Deutschland seit 13 Jahren eine Bundeskanzlerin, aber eine Frau, die WM-Spiele kommentiert und zwar kompetent, ist also zu viel des Guten? Dass soweit hinterm Mond überhaupt Leben existiert, ist wirklich erstaunlich.“

Und dann gibt es da sogar noch die Twitter-Kampagne #ClaudiaStattBela: „Teilt diesen Tweet, wenn auch Ihr wollt, dass Claudia Neumann im ZDF das Finale der WM 2018 kommentieren soll. Als angemessene Antwort auf all die kranken Hasskommentare!“

Viel Spaß beim Spiel!

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Erste Frau kommentiert Männer-EM

© Imgao/Hübner
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Natürlich hatte Claudia Neumann gewusst, dass ihre Berufung „nicht widerspruchslos“ durchgehen würde. Eine Frauenstimme bei einem Männerspiel? „Ich weiß, dass es auf jeden Fall Männer geben wird, die das nicht akzeptieren können und wollen. Die werden, sobald sie eine Frauenstimme hören, auf jeden Fall auf Durchzug schalten.“

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Hier geht Emanzipation eindeutig zu weit!!!

Aber wie heftig so manchen Fußball-Fan die Entscheidung des ZDF für die erste Live-Kommentatorin bei einem internationalen Männer-Fußballturnier aus der Fassung bringen würde, das ist nun doch erstaunlich. Kostproben: „Hier geht Emanzipation eindeutig zu weit!!!“ – „Gott sei Dank kann man(n) den Ton ja ausstellen!“ „Der größte Witz des Jahrhunderts!“ – „Wahnsinn, was sich die Öffentlich-Rechtlichen so ausdenken und wir MÜSSEN das auch noch bezahlen!“

Für einige der Kommentatoren scheint schwer vorstellbar, dass es sich bei einer Frau, die Ahnung von Fußball hat, tatsächlich um eine „richtige“ Frau handeln könnte: „Ich glaube, die Dame hieß früher mal Uwe“, schreibt einer. Ein anderer ist offenbar der Ansicht, dass Männer per se das schlauere Geschlecht sind und kontert: „Nein, dann würde sie nämlich nicht nur Quatsch erzählen.“ Und schließlich bringt einer auf den Punkt, was das Problem ist: „Bitte nicht das auch noch. Das sollte den Männern alleine bleiben. Zum Schluss spielen sie noch auf dem Feld mit!“

Frauen und Männer zusammen auf einem Fußballfeld – nicht auszudenken!

Kommen wir nach diesem amüsanten Ausflug in die Geschlechter-Steinzeit zur Sache: Claudia Neumann ist seit 25 Jahren als Sportreporterin und -kommentatorin unterwegs. Die gebürtige Dürenerin war sechs Jahre Redakteurin bei der Sat 1-Sportsendung ran, seit 1999 ist sie Redakteurin und Reporterin in der ZDF-Hauptredaktion Sport. Sie kommentierte als erste Frau bei der Frauen-Fußball-WM 2011 ein internationales Live-Fußballspiel – und war damit die erste WM-Kommentatorin im deutschen Fernsehen.

Gott sei Dank kann man(n) den Ton ja ausstellen!

Die 52-Jährige kickte schon als Mädchen mit den Jungs auf der Straße. Zum Leidwesen ihrer Mutter, wie sie dem Portal www.diespielerfrau.de erzählte: „Das letzte Mal, dass ich ein Kleid anhatte, war bei meiner Kommunion“, erinnert sich Neumann lachend, „und da wurde ich förmlich reingezwungen. Viel lieber habe ich die Fußballklamotten meines Bruders aufgetragen.“

Allein unter Männern – das kennt Neumann also schon ewig. Vielleicht ist sie deshalb so gelassen, was die Retro-Kommentare zu ihrer Nominierung anbelangt. „Einem Fußballfan, der nichts anderes hat als seinen Verein, seine Kneipe, sein Bier, seinen Schal, sein Gegröle in der Masse, können wir doch die Welt nicht neu erklären, und das will ich auch nicht.“ Stattdessen schreibt Claudia Neumann ab dem 10. Juni ganz entspannt Fußball- und Fernsehgeschichte. 

PS vom 20. Juni: Inzwischen gibt es als Reaktion auf den bis heute anhaltenden Shitstorm gegen die EM-Kommentatorin übrigens die Petition "Claudia Neumann soll das EM Finale kommentieren". Gar kein so schlechter Vorschlag, oder? 

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