Aufsichtsrätinnen: Les Patronnes

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Das Büro von MiddleNext, ein Zusammenschluss mittlerer französischer Börsen-Unternehmen, residiert im 2. Stock des historischen Börsengebäudes im Zentrum von Paris. Dort sitzt Caroline Weber vor ihrem Schreibtisch, vor gleich zwei Laptops. Parallel zu arbeiten ist die Endfünfzigerin gewohnt: Seit Jahren leitet Weber MiddleNext und war Chefin mehrerer Firmen. Jetzt hat sie ein Netzwerk für angehende Karriere-Frauen gegründet. Aktuell sitzt Weber bei einer Handvoll teils börsennotierter Unternehmen im Aufsichtsrat. Ein solcher Posten sei ihr erstmals vor über einem Vierteljahrhundert angetragen worden, erzählt Weber. Sie war damals 31 Jahre alt und aufstrebende Jung-Unternehmerin. „Ich war blutjung und eine Frau, kurzum: Eine absolute Ausnahmeerscheinung.“ Die erste Sitzung war beeindruckend: „Mir fiel gleich auf, dass ich viel zu salopp gekleidet war, der Dress-Code der Herren war gediegener Anzug und Krawatte. Da musste ich mich anpassen. Den Job selbst habe ich schnell in den Griff bekommen.“

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Heute erhält Caroline Weber mehr Anfragen von Unternehmen, die sie gern in ihrem Aufsichtsrat hätten, als sie annehmen kann. Auch der Talente-Pool ihres Netzwerkes hat schon viele Frauen auf solche Posten vermittelt. Häufig Frauen, deren Lebenslauf und Karriere nicht klassisch gradlinig verlaufen sind. Caroline Weber ist zudem dreifache Mutter und seit eh und je mit demselben Mann verheiratet. Dass sie sich voll im Job einbringen konnte, verdanke sie dem guten Krippen-System in Frankreich und ihrem „feministisch erzogenen“ Mann, der die Familienarbeit mit ihr teilte. Und ein zweiter Mann, Emmanuel Macron, spielt eine positive Rolle. Der Präsident hatte 2017 erklärt, die Gleichstellung der Frauen zu einem „nationalen Anliegen“ machen zu wollen. Seine Regierung verdoppelte im Herbst 2020 den Vaterschaftsurlaub auf 28 Tage, darunter sieben Tage Pflichturlaub. Im Jahr zuvor wurde ein ‚Paritäts-Index‘ eingeführt, der Privatunternehmen verpflichtet, geschlechtsbedingte Lohnunterschiede aufzudecken. Klafft das Einkommen zwischen männlichen und weiblichen Angestellten relevant auseinander, drohen Sanktionen.

Einen historischen Sprung nach vorn hatte ein im Januar 2011 erlassenes Gesetz gebracht: die Aufsichtsratsquote von 40 Prozent. Im Januar 2021, bei einer Feier im Pariser Wirtschaftsministerium zum Zehnjährigen des Gesetzes, konstatierte die Staatssekretärin für Gleichstellung, Elisabeth Moreno, die Aufsichtsräte hätten sich „spektakulär verweiblicht“. Moreno nannte Zahlen. „Waren 2009 an die zehn Prozent der Gremiumsmitglieder Frauen, sind es jetzt 45 Prozent.“ Auch Finanzminister Bruno Le Maire lobt die Aufsichtsrats-Quote: „Wir stehen europa- und weltweit an der Spitze!“

Die Quotenregelung hat sich eingebürgert, unter anderem, weil sie nicht mehr nur für an der Pariser Börse notierte Großkonzerne gilt, sondern seit 2020 für alle französischen Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten. Und: Im März 2012 trat ein Pendant für den öffentlichen Dienst in Kraft: Das Loi Sauvadet soll auch Frauen im Staatsdienst gleichberechtigten Zugang zu Führungsposten garantieren. Die zuständige Ministerin, Amélie de Montchalin, vermeldete: „2020 belief sich der Frauenanteil bei der Neubesetzung von Führungsposten auf 42 Prozent, neun Punkte mehr als noch 2017.“ Die Ministerin spricht von „Anzeichen eines kulturellen Wandels.“ Um den Elan noch anzufachen, hat de Montchalin im vergangenen Herbst ein innovatives Coaching-Programm aufgelegt. Bei ‚Les Talentueuses‘ werden fünfzig Frauen auf Führungsposten im öffentlichen Dienst gezielt dazu ausgebildet, weibliche Jungtalente auf Karriere-Kurs zu unterstützen.

Damit nicht genug. Ende 2021 wurde ein weiteres Gesetz verabschiedet, „zur Beschleunigung der wirtschaftlichen und beruflichen Gleichstellung“ um auf Ebene der Unternehmensführung „die gläserne Decke zu durchbrechen“. In Kraft ist jetzt eine Frauenquote in der Führungsetage von Unternehmen mit mehr als tausend Angestellten von 30 Prozent bis 2027 und 40 Prozent bis 2030. „Wir dürfen unsere Mühen nicht rein auf die ‚Kommandoposten‘ konzentrieren, sondern müssen die gesamte Organisationskette eines Unternehmens einbeziehen“, stellt Marie-Pierre Rixain, Abgeordnete der Regierungspartei La République en Marche und Initiatorin des Gesetzesvorschlags klar. Soll heißen: Talente-Pools aufbauen.

Unternehmen, die die Quote nicht beachten, drohen Strafen, in Höhe von bis zu einem Prozent der Betriebs-Lohnkosten. Für das Loi Rixain hatten berufliche Netzwerke von Frauen massive Lobbyarbeit betrieben. Im März 2020 gründeten sie die „Gender and Governance Platform“, abgekürzt: 2GAP. Dem Bündnis gehören Frauen aus der Privatwirtschaft ebenso wie Beamtinnen des höheren Diensts an, als Chefin fungiert Nathalie Pilhes. In den dreißig Jahren ihrer bisherigen Karriere hatte sie hohe Posten in mehreren Ministerien inne und ist derzeit im Innenministerium. Seit jeher engagiert sich Pilhes für mehr weibliches Leadership. Mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, sei, sagt sie, Sinn und Zweck von 2GAP. „Wir haben zusammengestellt, welche Hürden Frauen den Zugang zu Posten mit Entscheidungsgewalt verwehren und dann Vorschläge zur Abschaffung ausgearbeitet. Die umfassenden Kompetenzen unserer Netzwerk-Mitglieder befähigen uns, Einwände gegen unsere Vorschläge zu kontern“, sagt Pilhes. „Gleichzeitig können wir dank des Netzwerks vor Ort überprüfen, ob unsere Vorschläge funktionieren.“

Es gibt in der Tat selbst in Frankreich noch einiges zu tun. Und in Europa sowieso. Vom Erfolg im eigenen Land beflügelt, will Elisabeth Moreno, unterstützt von ihrer deutschen Amtskollegin Anne Spiegel, während der aktuellen französischen EU-Parlaments-Präsidentschaft nun auf europäischer Ebene für eine Aufsichtsratsquoten-Regelung werben.

SUZANNE KRAUSE

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