Mai Thi Nguyen-Kim: Durch die Decke!

Foto: Thomas Duffé
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Wenn der Vater Chemiker ist und sich der große Bruder gerade an der Uni eingeschrieben hat, um ebenfalls Chemie zu studieren – na, was soll man da als Tochter machen? Die Familientradition fortsetzen oder bewusst mit ihr brechen? Mai Thi Nguyen-Kim wusste es zunächst auch nicht so recht. „Klar war mir nur: Ich möchte einen Beruf, der mich nicht eines Tages langweilen wird.“ Denn für Langeweile ist diese Frau, deren Eltern aus Vietnam nach Deutschland flohen und im hessischen Heppenheim ihre Heimat fanden, nicht geboren.

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Schließlich hat sich Mai Thi doch für die Chemie entschieden. Ihr Vater war selig. Und als sie auf ihrer Uni-Tour – mit Stationen in Mainz und Aachen, dem MIT in Boston und der Harvard University – ihren heutigen Mann kennenlernte (auch er natürlich Chemiker), schien die Laufbahn festzustehen.

5,8 Millionen klickten ihren Corona-Vlog

Doch wie bereits erwähnt: Mai Thi, Jahrgang 1987, langweilt sich nicht gerne. Nach Studium und Promotion stand die Entscheidung an: Ab in die Forschung oder einen gut dotierten Job in einem Konzern finden, zum Beispiel bei der BASF, wo ihr Vater viele Jahre lang tätig war?

Während sie noch grübelte, vertrieb sich Mai Thi die Zeit damit, bei „Science Slams“ auf die Bühne zu steigen und mit Hilfe rasanter Vorträge komplizierte Dinge zu erklären. Wer als „SlammerIn“ etwas auf sich hält, betreibt einen eigenen YouTube-Kanal. 2015 stellte Mai Thi ihre ersten Videos auf dieser Plattform online. „The Secret Life Of Scientists“ hieß ihr Kanal, denn: „Ich wollte uns WissenschaftlerInnen aus der Nerd-Ecke herausholen, zeigen, dass wir nicht nur eine Menge wissen, sondern dieses Wissen auch gut rüberbringen können.“

https://www.youtube.com/watch?v=3z0gnXgK8Do

Nun fängt jede YouTuberIn erst einmal bei Null an. Die Klicks kommen ja nicht von alleine. Also schrieb Mai Thi alle an: „Los, reinschauen, den Kanal abonnieren!“ Auch ihren Vater rekrutierte sie. Der ahnte nicht, dass bei seiner Tochter gerade die Karriere als Chemikerin auf der Kippe stand. Doch dann ging alles ganz schnell, denn einer ihrer Clips „ging viral“, wie es in der Netzgemeinde heißt.

Mai Thi erklärt in diesem Video, warum sich Faultiere die Mühe machen, für ihr großes Geschäft ihren Baum zu verlassen. Das ist nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich, denn unten sind die Faultiere eine leichte Beute für ihre natürlichen Feinde. Einfacher und sicherer wäre es, oben zu bleiben und runterzumachen. Die Erklärung für das Phänomen ist überraschend komplex und führt an dieser Stelle zu weit; das Video ist noch online und wirklich sehenswert.

Mai Thi langweilt sich nicht gerne

Eine Redakteurin des damals neuen öffentlich-rechtlichen Jugend-Digital-Angebots Funk war begeistert und engagierte Mai Thi vom Fleck weg. „Zeitlich passte das für mich perfekt, weil Funk startete, als ich gerade mit meiner Promotion fertig war. Ich dachte mir: Das machst du jetzt mal ein Jahr, als eine Art Auszeit, und dann geht die Karriere als Chemikerin weiter.“ Es kam anders. Heute ist sie der Shooting Star im deutschen Wissenschaftsjournalismus.

Mehr als 500.000 NutzerInnen haben ihren YouTube-Kanal maiLab abonniert, für das Fernsehen dreht sie zusammen mit Harald Lesch Beiträge für die ZDF-Reihe „Terra X“, beim WDR ist sie Moderatorin des Wissenschaftsmagazins „Quarks“ und Nachfolgerin von Ranga Yogeshwar. Nicht schlecht für eine, die noch vor drei Jahren davon ausgegangen war, im Arbeitsleben hauptsächlich weiße Kittel zu tragen.

Als Wissenschaftlerin versteht sich Mai Thi jedoch noch immer. Und als solche hat sie eine Mission: „Viele von uns WissenschaftlerInnen sind Idealisten“, sagt sie. „Wir wollen die Welt verbessern. Sei es, indem wir im Labor etwas entwickeln. Oder indem wir das, was wir herausgefunden haben, der Öffentlichkeit vermitteln.“ Sie macht das zum Beispiel als Aktivistin für die Bewegung „Scientists For Future“, die nicht müde wird, eine andere Klima­politik zu fordern. Warum sie das tut? „Weil wir es den nachfolgenden Generationen schuldig sind.“

Mai Thi zeigt auf ihren Bauch, ein paar Wochen noch, dann wird sie Mutter. Eines ist mal sicher: Langweilig wird Mais Leben so schnell nicht werden.

WEITERLESEN
„Komisch, alles ­chemisch“ (Droemer, 16.99 €)

IM NETZ
auf YouTube: maiLab; Quarks: immer dienstags, 21 Uhr, WDR

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